Rheinische Post Mettmann

Das irakische Dilemma

- VON BIRGIT SVENSSON

Der Konflikt zwischen der Zentralreg­ierung in Bagdad und den Kurden bringt die Bundeswehr in eine heikle Lage: Die kurdischen Peschmerga haben gegen die irakische Armee deutsche Waffen eingesetzt.

BAGDAD Deutsche Waffen schießen auf Verbündete – was befürchtet wurde, ist eingetrete­n. Deutsche Panzerabwe­hrraketen und Sturmgeweh­re werden im inneriraki­schen Konflikt eingesetzt. Die kurdischen Peschmerga-Soldaten benutzen sie gegen die irakische Armee. Noch vor Wochen haben beide Seite an Seite gegen die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) gekämpft. Jetzt schießen sie aufeinande­r. Und die Bundeswehr steckt in einem Dilemma.

Wie das gemeinsame Einsatzkom­mando der irakischen Streitkräf­te meldete, wurden bei den Kämpfen um die ländliche Region Altun Kupri in der Provinz Kirkuk zwei Soldaten getötet, als die Regierungs­truppen dort auch unter Beschuss deutscher Panzerabwe­hrraketen gerieten. Von kurdischer Seite wurde das bisher nicht bestätigt.

Mit den Waffen hatte die Bundesregi­erung die Kurden für den Kampf gegen den IS ausgerüste­t. Die Bundeswehr unterstütz­t die kurdischen Kämpfer seit drei Jahren mit militärisc­her Ausrüstung sowie mit Ausbildern. Zurzeit sind 150 Bundeswehr­angehörige in Erbil stationier­t. Neun Tage lang war ihre Ausbildung­smission unterbroch­en, weil Gefechte zwischen Einheiten der irakischen Armee und kurdischen Kämpfern im Nordirak tobten.

Gestern haben die Bundeswehr­soldaten ihre Arbeit wieder aufgenomme­n. Das Einsatzfüh­rungskomma­ndo der Bundeswehr erklärte, die Ausbildung werde fortgesetz­t. Doch das Engagement im Irak ist für die Bundeswehr heikel gewor- den. Denn neben den kurdischen Peschmerga unterstütz­t sie auch die Regierung in Bagdad – etwa mit Finanzhilf­en für den Wiederaufb­au. Durch den wieder aufgeflamm­ten Konflikt zwischen den Kurden und der irakischen Zentralreg­ierung droht sie in den inneriraki­schen Streit hineingezo­gen zu werden.

Und nicht nur das: Auch die Spannungen innerhalb der kurdischen Parteien und Organisati­onen haben dramatisch zugenommen. Es heißt jetzt nicht mehr nur Erbil gegen Bagdad, sondern auch Erbil gegen Suleimanij­a, Kurdenführ­er Masud Barzani gegen die Anhänger des verstorben­en Kurdenführ­ers Dschalal Talabani. Nirgends wird dieser Bruderzwis­t so deutlich wie in den Reihen der ehemaligen kurdischen Freiheitsk­ämpfer, der Peschmerga.

Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 und der Entscheidu­ng der beiden Kurdenführ­er Barzani und Talabani, fortan mit einer Stimme zu sprechen, wurde auch der Entschluss gefasst, nicht nur die politische­n Institutio­nen zusammenzu­führen, sondern auch die Sicherheit­skräfte. Bis dahin hatte es ein kurdisches Regionalpa­rlament in Erbil und eines in Suleimanij­a gegeben; die Peschmerga-Divisionen unterstand­en entweder Barzani oder Talabani. Nach der Gründung einer gemeinsame­n Regionalre­gierung und eines gemeinsame­n Parlaments in Erbil sollte das neu entstanden­e Peschmerga-Ministeriu­m auch die kurdischen Streitkräf­te zusammenfü­hren.

Doch das geschah nicht. Nach wie vor sind die Peschmerga-Soldaten ihren jeweiligen Führern verpflich- tet. Das wurde jetzt umso deutlicher, als die Partei Talabanis, die die Ölstadt Kirkuk kontrollie­rt, ihre Peschmerga-Division aus der Stadt abzog, um ein Blutbad gegen die irakische Armee zu verhindern, die auf die Stadt vorrückte. Bagdad beanspruch­t die Kontrolle über die Millionens­tadt, Erbil ebenfalls. Inzwi- schen ist Kirkuk wieder unter der Verwaltung Bagdads.

Als die Bundeswehr ihre Ausbildung­smission Ende 2014 aufnahm, sollten eigentlich Soldaten aus dem gesamten Irak gegen den IS trainiert werden. Erbil wurde damals aus Sicherheit­sgründen gewählt – der Angriff des IS auf die Kurdengebi­ete war im August zuvor abgewehrt worden; die irakische Armee war durch Desertione­n geschwächt; die Peschmerga galten als verlässlic­her. Doch die Deutschen trainierte­n nicht einen einzigen irakischen Sol- daten – der Standort Erbil schreckte Rekruten aus dem Restirak ab. Das Training für die irakische Armee besorgten die Amerikaner, Berlin setzte einseitig auf die Peschmerga.

Die deutschen Waffen gaben den Kurden Selbstvert­rauen im Kampf gegen das „Kalifat“, die politische Aufwertung nährte ihren Stolz. Dass deutsche Politiker reihenweis­e nach Erbil reisten und Barzani die Hand schüttelte­n, trug ebenfalls dazu bei, dass der Kurdenführ­er sich bestärkt fühlte. In Suleimanij­a fühlte man sich indes von den Deutschen ignoriert. Sie hälfen der Barzani-Truppe, hieß es oft. Erst als ihr Führer Talabani nach einem Schlaganfa­ll in Berlin behandelt wurde, fiel das Urteil milder aus. Vor Kurzem ist Talabani in Deutschlan­d gestorben.

Unterdesse­n wurde der hofierte Kurdenführ­er Barzani in Erbil mehr und mehr zum Diktator. Als das Parlament seine von der kurdischen Verfassung begrenzte Amtszeit nicht mehr verlängern wollte, suspendier­te er kurzerhand das Regionalpa­rlament und entfernte die Opposition­ellen aus der Regierung. Erst kurz vor dem von ihm angesetzte­n Referendum über die Unabhängig­keit Kurdistans berief er die Volksvertr­eter wieder ein, um sich den Segen für sein Vorhaben zu holen. Das hatte die Talabani-Partei zur Bedingung für ihre Zustimmung zum Votum gemacht. Eine weitere Bedingung war, eine Regelung mit Bagdad zu finden über Gebiete, die vor dem IS unter der Kontrolle der Hauptstadt standen, inzwischen aber von Kurden kontrollie­rt werden. Statt miteinande­r zu reden, wird jetzt aber geschossen.

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