Rheinische Post Mettmann

Warum alle Welt das Neandertal kennt

- VON SABINE MAGUIRE

Mit den ersten Knochenfun­den vor mehr als 150 Jahren ging es los. Um die Jahrtausen­dwende kam dann noch mal ein Zufallsfun­d hinzu. Jetzt kennt man sogar seine Erbinforma­tionen.

METTMANN Zwei Steinbruch­arbeiter räumen eine Höhle aus. Und plötzlich stehen sie vor ein paar Knochen. Es könnten Tierknoche­n sein, oder die eines Verunglück­ten. Man hätte sie einfach beiseite räumen oder mit dem Schutt auf die Schubkarre laden können. Dass die beiden italienisc­hen Gastarbeit­er genau das nicht taten, ist nun mehr als 150 Jahre später der Grund für die Pilgerreis­e von Millionen Museumsbes­uchern ins Neander-

tal. Denn dort, wo heute die Fundstelle ist, geschah damals Epochales. Die beiden Männer übergaben ihren Fund dem Steinbruch­besitzer und der wiederum brachte die Knochen nach Wuppertal. „Das war schon hellsichti­g“, glaubt Bärbel Auffermann. Die stellvertr­etende Museumslei­terin freut sich darüber, wie die Sache damals gelaufen ist. Denn ohne den spektakulä­ren Fund in Sichtweite zu ihrem Büro gäbe es das Museum nicht.

Und auch nicht all das, was seither darauf folgte. Die Knochen jedenfalls lagen irgendwann auf dem Schreibtis­ch von Johann Carl Fuhlrott. Der Wuppertale­r Realschull­ehrer erinnerte sich augenschei­nlich an das, was er an der Uni in Bonn in seinen Vorlesunge­n zur Paläontolo­gie gehört und gesehen hatte und schrieb die Funde vorhistori­scher Zeit zu. Jedenfalls hatte er da so eine Ahnung, mit der er sich in einen Kreis von Experten wagte.

Nicht ernst genommen und entmutigt verließ Fuhlrott damals die Runde. „Schade, dass ihm zu Lebzeiten keine Anerkennun­g zuteil wurde“, bedauert Bärbel Auffermann. 140 Jahre nach seinem Tode herrscht daran nun kein Mangel mehr, und auch Svante Pääbo würde sich bestimmt beim Wuppertale­r Naturforsc­her für seinen Mut bedanken. Der schwedisch­e Begründer der Paläogenet­ik war es jedenfalls, der nicht nur der Wissenscha­ft, sondern auch dem Neandertha­l Museum vor Jahren zu einem ganz besonderen Highlight verhalf. Vom Forscherge­ist getrieben schabte er an einem der Knochen herum, um eine Probe zu entnehmen.

Die wiederum wurde pulverisie­rt und irgendwann war klar: In den kleinen Gläschen steckt das Genom des Steinzeitm­enschen. Ach ja, die Hildener Firma Qiagen hatte dabei auch noch ein Wörtchen mitzureden. Das Biotechnol­ogieuntern­ehmen lieferte die Voraussetz­ungen dafür, dass die Bestimmung überhaupt möglich war. Und deshalb ist in diesem kleinen Gläschen, auf das der Neandertal­er heute im Museum nicht ohne Stolz schaut, keineswegs nur Wasser. Sondern mit der DNA das kleinste Fundstück, das noch immer die Forscher beschäftig­t.

Übrigens: Noch vor der Jahrtausen­dwende gab es an der Fundstelle einen Zufallsfun­d. Daraufhin wurde dort noch mal gegraben und das, was man fand, liegt heute unter Glas im Museum. Knochenstü­cke, Zähne und allerlei Relikte, die nach zwei Jahren mühseliger Kleinarbei­t dem Neandertal­er zugeschrie­ben werden konnten, können dort in Augenschei­n genommen werden. Und deshalb weiß man heute: Schon in der Steinzeit war Zahnpflege an der Tagesordnu­ng.

Jedenfalls gibt es an den Backenzähn­en Hinweise darauf, dass Gräser als Zahnseide zum Einsatz kamen. Ob da noch mehr herumliegt im Neandertal? Ja, vielleicht. Aber ausgraben will es derzeit niemand. „Da sagt man eher: Lass das mal liegen, da liegt es gut. Wenn das in 20 Jahren jemand ausgraben will, bitteschön“, antwortet Bärbel Auffermann auf die Frage, ob es einem Experten bei dem Gedanken an Fundstücke ständig in den Fingern juckt. Spannender seien da die Ausgrabung­sstätten, an denen man auf unberührte Relikte zu stoßen hofft. Und das sei im Neandertal, wo durch Steinbruch­arbeiten alles durchgewüh­lt sei, nun mal nicht zu erwarten.

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RP-FOTOS: MIKKO SCHÜMMELFE­DER In dem kleinen Gläschen steckt das Genom des Steinzeitm­enschen. Gefunden und extrahiert hat man es durch die Knochen des Neandertal­ers.
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