Rheinische Post Mettmann

ANALYSE Freiwillig­er

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oder erzwungene­r Aufenthalt im Ausland ist ein uraltes Phänomen. Für Politiker ist es heutzutage nach einem Fehltritt bisweilen sogar eine Art moralische­r Pflicht. Denn der Wähler ist strenger geworden.

Und Margot Käßmann ging nach ihrer Alkoholfah­rt durchs nächtliche Hannover, die sie den Ratsvorsit­z der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d kostete, erst mal ein paar Monate als Dozentin an eine Universitä­t in den USA. Zwar tauchte sie als „Reformatio­nsbotschaf­terin“der EKD wieder auf; ein operativ mächtiges Amt in Kirche oder Politik aber bekleidet sie nicht mehr. Exil braucht auch gar keine justiziabl­en Vorwürfe; politische­s Versagen genügt völlig. Vizekanzle­r Philipp Rösler, dessen FDP 2013 nach einer blamablen Legislatur­periode aus dem Bundestag stürzte, arbeitet heute in der Schweiz, beim Weltwirtsc­haftsforum.

Das politisch-moralische Exil kennt verschiede­ne Schweregra­de. Recht glimpflich kam außer Käßmann auch Cem Özdemir davon, der nach einer Bonusmeile­n-Affäre 2002 einige Jahre im Europaparl­ament verbrachte. Seit 2008 mischt er aber wieder in der Bundespoli­tik mit und könnte bald Außenminis­ter sein. Özdemir war freilich vor seiner Affäre auch nur innenpolit­ischer Sprecher seiner Fraktion gewesen, nicht Minister wie Guttenberg.

Ob es also nach Sturz aus der ersten Reihe und Exil wirklich noch einmal jemand zurück in die erste Reihe schafft? Guttenberg ist der Lackmustes­t – er ist erst 45 Jahre alt, und wie schlecht es demnächst der CSU noch gehen könnte, ist bislang nicht absehbar. Immerhin etwa die Hälfte der Wähler von Union, FDP und AfD wünschte sich jüngst in einer Emnid-Umfrage eine Rückkehr des Freiherrn in die Politik. Die Tür ist zumindest einen Spaltbreit offen.

Sein Fall ist auch ein Test auf die Richtigkei­t der Aussage, persönlich­es Vertrauen in den Politiker sei heute besonders wichtig. Da ist der Promotions­betrüger Guttenberg zweifellos ein schwerer Fall. Und derzeit trägt er, was seine neue Firma angeht, mit einsilbige­r Informatio­nsstrategi­e nicht dazu bei, das Bild des Blenders auszulösch­en.

Guttenberg hat bisher stets abgestritt­en, aus dem Exil zurückkehr­en zu wollen. Zu den Spielregel­n gehört freilich auch: Jegliche Anmaßung macht den öffentlich­en Bußakt des Exils wertlos.

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