Politische Buße im Exil
Da sitzt er also. In der Sonne, auf der Lehne einer Bank im New Yorker Central Park, den Blick aufwärts in die Ferne gerichtet: So zeigen Fotos dieser Tage Karl-Theodor zu Guttenberg, den früheren Wirtschafts- und Verteidigungsminister, Shootingstar a.D. der deutschen Politik. Er ist Exilant, seit 2011 herauskam, dass er seine Doktorarbeit großteils abgekupfert hatte. „KT“lebt in den USA und versucht sich dort mit einer Investment- und Beratungsfirma eine neue Existenz aufzubauen.
Dass Guttenberg in Amerika lebt und nicht in Deutschland, hat weder juristische noch, so darf man annehmen, finanzielle Gründe – er könnte jederzeit zurückkehren. Allein die politische Moral hält ihn vorerst im Exil. Mit Guttenberg ist derzeit schlicht (noch?) kein Staat zu machen. Und auch Unternehmer brauchen eine gewisse Reputation, die Guttenberg (noch?) fehlt.
Eins ist am Fall Guttenberg typisch für unsere Zeit: das Exil als politische Bußübung. Dabei ist das (freiwillige oder unfreiwillige) Exil uralt. So konnten sich im alten Griechenland Straftäter der Blutrache entziehen. Durch Exil per Scherbengericht schafften sich die Athener allzu ehrgeizige Politiker auf Zeit vom Halse. Das Exil war Strafe – die Briten deportierten nach Australien, die Zaren nach Sibirien. Exil bedeutet Überleben, ob nun für deutsche Juden nach 1933 oder heute für die Christen des Nahen Ostens und die Rohingya aus Myanmar. Das Exil war schließlich aber auch immer wieder ein Sprungbrett zu weiteren Taten – Thronprätendenten und politische Aspiranten aller Art weilten immer schon gern im Ausland, um dann zum passenden Zeitpunkt daheim nach der Macht zu greifen.
Noch heute ist das Exil regelmäßig eine Angelegenheit von Leben und Tod. Da scheint es fast anstößig, Karl-Theodor zu Guttenberg Exilant zu nennen, zumal er in der Neuen Welt offenbar nicht schlecht lebt. Dann aber muss man ein passenderes Wort für seine Lage finden – denn ein Exil in der Wortbedeutung als „Leben in der Fremde“ist es für den Oberfranken allemal, so vertraut ihm die USA auch sein mögen.
Wer über Auswanderung aus Gründen der politischen Moral spricht, der kommt nicht umhin festzustellen, dass die Maßstäbe strenger geworden sind. Guttenbergs Parteifreund Franz Josef Strauß etwa mischte sich als Verteidigungsminister 1962 in die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen den „Spiegel“ein und belog darüber auch noch die Öffentlichkeit – insgesamt dann doch ein anderes Kaliber als Guttenbergs Plagiate. Strauß trat zurück, war aber vier Jahre später schon wieder Bundesminister, dieses Mal für Finanzen. Ein solch unverschämtes Comeback wäre heute undenkbar.
Das Publikum, also der Wähler, ist nämlich unduldsamer geworden, und zwar nicht erst, seit die AfD den Generalverdacht gegen Politiker zum Prinzip erhoben hat. Schon 2009 stellte der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner fest, Vertrauen und Glaubwürdigkeit seien den Wählern inzwischen wichtiger als Kompetenz. Und zwei Drittel der Befragten stimmten 2012 beim ZDF-„Politbarometer“der Aussage zu, für Politiker sollten strengere Regeln gelten als für den Normalbürger.
Dieser Wert sei, sagen die Demoskopen, über die Jahre ziemlich stabil. Die Brisanz steckt in der Kombination mit der ersten Beobachtung: Wenn Glaubwürdigkeit mehr zählt als Kompetenz, ist eine Karriere nach einem größeren Fehltritt eben beendet. Wer fatale Fehler gemacht hat, tut deshalb besser daran, von der Bildfläche zu verschwinden. Guttenberg tat das, auch Bildungsministerin Annette Schavan, der ebenfalls der Doktor aberkannt worden war – sie ist heute Botschafterin im Vatikan. Für die engagierte Katholikin schon fast folgerichtig, was auch daran liegen mag, dass ihr Fall längst nicht so eindeutig war wie bei Guttenberg.
Guttenberg ist der Lackmustest, ob die Rückkehr in die erste Reihe gelingen kann