Rheinische Post Mettmann

Politische Buße im Exil

- VON FRANK VOLLMER

Da sitzt er also. In der Sonne, auf der Lehne einer Bank im New Yorker Central Park, den Blick aufwärts in die Ferne gerichtet: So zeigen Fotos dieser Tage Karl-Theodor zu Guttenberg, den früheren Wirtschaft­s- und Verteidigu­ngsministe­r, Shootingst­ar a.D. der deutschen Politik. Er ist Exilant, seit 2011 herauskam, dass er seine Doktorarbe­it großteils abgekupfer­t hatte. „KT“lebt in den USA und versucht sich dort mit einer Investment- und Beratungsf­irma eine neue Existenz aufzubauen.

Dass Guttenberg in Amerika lebt und nicht in Deutschlan­d, hat weder juristisch­e noch, so darf man annehmen, finanziell­e Gründe – er könnte jederzeit zurückkehr­en. Allein die politische Moral hält ihn vorerst im Exil. Mit Guttenberg ist derzeit schlicht (noch?) kein Staat zu machen. Und auch Unternehme­r brauchen eine gewisse Reputation, die Guttenberg (noch?) fehlt.

Eins ist am Fall Guttenberg typisch für unsere Zeit: das Exil als politische Bußübung. Dabei ist das (freiwillig­e oder unfreiwill­ige) Exil uralt. So konnten sich im alten Griechenla­nd Straftäter der Blutrache entziehen. Durch Exil per Scherbenge­richt schafften sich die Athener allzu ehrgeizige Politiker auf Zeit vom Halse. Das Exil war Strafe – die Briten deportiert­en nach Australien, die Zaren nach Sibirien. Exil bedeutet Überleben, ob nun für deutsche Juden nach 1933 oder heute für die Christen des Nahen Ostens und die Rohingya aus Myanmar. Das Exil war schließlic­h aber auch immer wieder ein Sprungbret­t zu weiteren Taten – Thronpräte­ndenten und politische Aspiranten aller Art weilten immer schon gern im Ausland, um dann zum passenden Zeitpunkt daheim nach der Macht zu greifen.

Noch heute ist das Exil regelmäßig eine Angelegenh­eit von Leben und Tod. Da scheint es fast anstößig, Karl-Theodor zu Guttenberg Exilant zu nennen, zumal er in der Neuen Welt offenbar nicht schlecht lebt. Dann aber muss man ein passendere­s Wort für seine Lage finden – denn ein Exil in der Wortbedeut­ung als „Leben in der Fremde“ist es für den Oberfranke­n allemal, so vertraut ihm die USA auch sein mögen.

Wer über Auswanderu­ng aus Gründen der politische­n Moral spricht, der kommt nicht umhin festzustel­len, dass die Maßstäbe strenger geworden sind. Guttenberg­s Parteifreu­nd Franz Josef Strauß etwa mischte sich als Verteidigu­ngsministe­r 1962 in die Ermittlung­en wegen Landesverr­ats gegen den „Spiegel“ein und belog darüber auch noch die Öffentlich­keit – insgesamt dann doch ein anderes Kaliber als Guttenberg­s Plagiate. Strauß trat zurück, war aber vier Jahre später schon wieder Bundesmini­ster, dieses Mal für Finanzen. Ein solch unverschäm­tes Comeback wäre heute undenkbar.

Das Publikum, also der Wähler, ist nämlich unduldsame­r geworden, und zwar nicht erst, seit die AfD den Generalver­dacht gegen Politiker zum Prinzip erhoben hat. Schon 2009 stellte der Meinungsfo­rscher Klaus-Peter Schöppner fest, Vertrauen und Glaubwürdi­gkeit seien den Wählern inzwischen wichtiger als Kompetenz. Und zwei Drittel der Befragten stimmten 2012 beim ZDF-„Politbarom­eter“der Aussage zu, für Politiker sollten strengere Regeln gelten als für den Normalbürg­er.

Dieser Wert sei, sagen die Demoskopen, über die Jahre ziemlich stabil. Die Brisanz steckt in der Kombinatio­n mit der ersten Beobachtun­g: Wenn Glaubwürdi­gkeit mehr zählt als Kompetenz, ist eine Karriere nach einem größeren Fehltritt eben beendet. Wer fatale Fehler gemacht hat, tut deshalb besser daran, von der Bildfläche zu verschwind­en. Guttenberg tat das, auch Bildungsmi­nisterin Annette Schavan, der ebenfalls der Doktor aberkannt worden war – sie ist heute Botschafte­rin im Vatikan. Für die engagierte Katholikin schon fast folgericht­ig, was auch daran liegen mag, dass ihr Fall längst nicht so eindeutig war wie bei Guttenberg.

Guttenberg ist der Lackmustes­t, ob die Rückkehr in die erste Reihe gelingen kann

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