Rheinische Post Mettmann

INTERVIEW ROLAND KAISER „Man muss Wurzeln im Leben haben“

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Der Sänger stammt aus Berlin, lebt aber in Münster. Dort hat die AfD weniger als fünf Prozent geholt – für das 65-jährige SPD-Mitglied ein gutes Ergebnis.

MÜNSTER „Stromaufwä­rts“heißt das brandaktue­lle Album von Roland Kaiser, bergauf geht es schon seit Jahren mit der Karriere. Sein vorletztes Album „Seelenbahn­en“erreichte Platinstat­us, sein letztes wurde bereits vergoldet. Zu seinen Kaisermani­a-Konzerten auf den Dresdner Elbwiesen pilgern alljährlic­h 50.000 Menschen. Aber der Schlagersä­nger engagiert sich auch abseits der Musik – politisch für die SPD sowie gesellscha­ftlich für sozial benachteil­igte Menschen. Sie leben in Münster, sind Sie gerade besonders stolz auf die Stadt? ROLAND KAISER Meinen Sie, weil wir bundesweit die einzige Stadt sind, in der weniger als fünf Prozent für die AfD gestimmt haben? Ja, schon. Dieses Ergebnis setzt sich hier aber auch aus der Bevölkerun­gsstruktur zusammen: Wir haben 20 Prozent Studenten, viele Menschen arbeiten in der Forschung, Lehre und Verwaltung. So erklärt sich das. Sie sind SPD-Mitglied und reklamiere­n auch für sich als Künstler das Motto „Unterhaltu­ng mit Haltung“. KAISER Dabei habe ich meinen großen Kollegen Udo Jürgens zitiert. Für mich bedeutet das, dass ich mich auch zu politische­n Themen äußere und meine Meinung vertrete, wenn es erforderli­ch ist. Wobei ich auch mal ungefragt etwas sage. Handeln genügend Künstler wie Sie? KAISER Ich will niemandem vorschreib­en, was er machen soll. Ich persönlich melde mich, wenn ich es für richtig halte. Das letzte Mal war das der Fall 2015 in Dresden, da habe ich bei einer Kundgebung vor der Frauenkirc­he zum Dialog und zur Toleranz aufgerufen. Ich habe in meiner Rede gesagt: „Ich bin stolz, in einem Land zu leben, in dem Menschen Asyl finden, die Angst um ihr Leben haben müssen und auf der Flucht sind“– nicht mehr und nicht weniger. Ich habe zu Toleranz aufgeforde­rt, zu Kommunikat­ion und Dialog. Wenn jemand das nicht tun will, dann ist das seine Sache. Warum war es gerade Dresden? KAISER Ich habe dieses Forum gerne genutzt, weil ich der Stadt auch etwas schuldig war. Ich habe dort sehr viele Freunde, sehr großen Erfolg, ich habe Dresden einiges zu verdanken – und wollte das zurückgebe­n, um klarzumach­en: Dresden ist nicht nur Pegida, sondern dort leben auch tolerante und weltoffene Menschen. KAISER In den sozialen Medien haben sich viele Heckenschü­tzen gemeldet und gemeint, sie müssten ihre Meinung kundtun. Ich lese so etwas gar nicht. Gab es Drohungen? KAISER Wie gesagt, ich habe das nicht gelesen, und wenn es Drohungen gäbe, würde ich sie nicht ernst nehmen. Ein Medium wie das Internet macht es einem leicht, anonym um sich zu schlagen. Haben Sie keine Konsequenz­en befürchtet für Ihre Karriere? Sie müssen eine Familie ernähren. KAISER Nein. Hat diese Unabhängig­keit auch etwas mit Ihrer Erkrankung zu tun? Vor sieben Jahren haben Sie eine Lunge transplant­iert bekommen. KAISER Es wäre ziemlich unsensibel, diese Krankheit nicht als Einschnitt zu verstehen. Sie hat die Prioritäte­n in meinem Leben verschoben. Ich habe dadurch gelernt, Nein zu sagen, gelassener an Dinge heranzugeh­en, entspannte­r zu sein und nicht alles so ernst zu nehmen. Wenn ich früher Konzerte gespielt habe, war ich darum bemüht, den größtmögli­chen Erfolg zu haben – das macht oft verkrampft. Heute sage ich, ich biete mit meiner Band das Optimale, und dann muss das Publikum entscheide­n, ob es ihm gefällt, und diesem Urteil muss ich mich beugen. Seitdem ich so arbeite, geht alles entspannte­r, gelassener und letzten Endes auch erfolgreic­her. Ich befinde mich nun in meinem zweiten Leben, ich bin ein positiv denkender Mensch und erfreue mich meines Lebens. In einem „Münster“-Tatort spielten Sie 2013 den blasierten Schlagersä­nger Roman König – haben Sie noch weitere Schauspiel­ambitionen? KAISER Ich war ein Mitwirkend­er ohne störende Auswirkung­en, ein Schauspiel­er ist etwas ganz anderes. Wenn mir jemand sagen würde, stelle glaubwürdi­g den Tod deiner Kinder dar, dann würde mir das nicht gelingen. Schauspiel­erei ist nicht mein Beruf. Aber ein Stück Distanz zu sich selbst aufzubauen und einen blasierten Sänger darzustell­en und dabei nicht den Text zu vergessen – das ist mir gelungen. Es hat viel Spaß gemacht, aber wenn es noch einmal ein Angebot gäbe, würde ich wohl nein sagen. Das hat einmal funktionie­rt, die Leute fanden es ganz witzig. So soll es bleiben. Im nächsten Jahr gehen Sie wieder auf Tour. KAISER Ja, 2018/19. Ich gebe Konzerte in mehr als 25 Arenen, im Sommer spiele ich alle großen Open-airs und im September zum ersten Mal auf der Berliner Waldbühne. Ich bin ja in Berlin-Wedding aufgewachs­en, und als ich mit der Musik angefangen habe, war die Waldbühne für mich so weit weg wie der Mars. Da haben die Rolling Stones, Paul McCartney und andere Giganten gespielt. Dass ich da spiele, ist für mich ein großes Ereignis. Ist Berlin immer noch Ihre Heimat? KAISER Ich bin immer wieder in Berlin und produziere meine Alben dort. Sie können wegziehen, aber Berlin nicht verlassen. Das wird Ihnen jeder Kölner oder Münchner so bestätigen. Man muss Wurzeln im Leben haben. Ich kann gut woanders leben, aber ich werde immer mehr als einen Koffer in Berlin haben.

M. STÖCKER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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