Rheinische Post Mettmann

100 Jahre Handball in Deutschlan­d

- VON ECKHARD CZEKALLA

Das Spiel auf dem Großfeld bereitet den Weg zum populären Spiel. Die Gegenwart spielt sich aber in der Halle ab.

DÜSSELDORF Am kommenden Sonntag lädt der Deutsche Handballbu­nd ( DHB) in Berlin zum Brunch. Es gibt schließlic­h ein Jubiläum zu feiern. Am 29. Oktober 1917 hatten sich Mitglieder des Ausschusse­s für das Frauen- und Mädchentur­nen des Berliner Turnraths im Lehrervere­inshaus in der Alexanders­traße 41 getroffen. Einziger Tagesordnu­ngspunkt: Regeln für das Raffball-, Torball und Handballsp­iel festzulege­n. Übrig blieb Handball, nachdem der Vorsitzend­e Max Heiser zwei Spiele handschrif­tlich durchgestr­ichen hatte. Am 2. Dezember fand das erste Spiel statt.

Als „nettes Bewegungss­piel von untergeord­neter Bedeutung“bezeichnet­en Heisers Turnbrüder das Werk. Es war für Frauen konzipiert. Raufen um den Ball war verboten, statt roher Gewalt sollten Umsicht und Schnelligk­eit entscheide­n. „Das deutsche Land kann nur starke, im Herzen mutige Frauen, voller Lebensfris­che und Tatendrang, keine Modepuppen gebrauchen“, schrieb die Deutsche Turn-Zeitung.

Schon vor dem Oktober-Treffen in Berlin hatten Carl Schelenz, Eugen König und Ernst Heinz, die keine Lust mehr hatten, im Verein die tod- langweilig­en Übungen eines Vorturners nachzuahme­n, die weiche Heiser-Variante in ein Männerspie­l verwandelt. Akzeptanz fand es bei den Funktionär­en (noch) nicht.

Als die Turner das Handballsp­iel als sinnvoll empfanden, vor allem weil der Leichtathl­etikverban­d das Spiel pushte, war der Durchbruch zu Beginn der 1920er-Jahre geschafft. Es sollte ein Gegengewic­ht zum aus England importiert­en Fußball sein, der rasch viele Anhänger gefunden hatte. Doch noch war man weit davon entfernt, Handball als Freizeitve­rgnügen oder Selbstzwec­k zu sehen. „Leibesübun­gen als Wehrpflich­tersatz“forderte Carl Diem, Generalsek­retär des Deutschen Reichsauss­chusses für Leibesübun­gen (DRA). Carl Schelenz konnte jetzt seine Kampfspiel-Ideen verwirklic­hen.

Zwar wurde auch in der Halle gespielt, doch der Wettstreit unter freiem Himmel auf Anlagen, die denen des Fußballs entsprache­n, wurde populär. Als 1936 in Berlin der Handball olympisch wurde, spielte man auf dem Großfeld. Gold für die Gastgeber war keine Überraschu­ng. 1938 gewann eine deutsche Auswahl den WM-Titel – in der Halle.

Deutsche Trainer brachten das Spiel in andere Länder. Großfeld war in. Als nach dem Krieg immer mehr Hallen gebaut wurden, begann das Ende der Freiluftva­riante, die dennoch bis zu 40.000 Fans anlockte. Internatio­nal kam 1966 das Aus. Nur noch sechs Mannschaft­en, darunter die beiden deutschen, waren bei der WM am Start. Elf Jahre zuvor waren es noch 17 Nationen. „Wir hätten unsere Gegner ruhig mal gewinnen lassen sollen“, sagte

Werner Vick Werner Vick, Spieler und dann Trainer der DHB-Auswahl. In 120 internatio­nalen Duellen gab es lediglich vier Niederlage­n.

Alle Versuche, den Großfeldha­ndball, mit dem die Funktionär­e aufgewachs­en waren, am Leben zu halten, verpufften. Immer mehr Vereine, die schon sowohl in der Halle als auch im Freien aktiv waren, zogen sich zurück. Die Dreiteilun­g des Feldes, die dazu führte, dass stets vier Spieler zuschauten, da nur sechs angreifen bzw. verteidige­n durften, dazu das mitunter widrige Wetter – die trockene Halle und das dynami- schere Spiel setzten sich durch. „Das war schon teilweise lustig anzusehen. Einige Spieler haben sich im Winter Handschuhe angezogen, damit die Finger nicht so kalt wurden“, erzählte Handballid­ol Heiner Brand.

1965 wurden noch „Internatio­nale Feld- und Hallenhand­ballregeln“veröffentl­icht, zwei Jahre später stand die Halle vor dem Feld, ab 1978 wurden nur noch die Hallenrege­ln modifizier­t. Mit der Einführung der Hallen-Bundesliga (1966) geriet das Feldspiel mehr und mehr zur Nebensache. Als bei den Olympische­n Spielen 1972 in München in der Halle gespielt wurde, war dies der Sargnagel für das Großfeld.

Auch wenn populäre Spieler wie Bernhard Kempa, Herbert Lübking und Hein Dahlinger problemlos den Wechsel in die Halle schafften, so erfüllte sich die Ahnung von Otto Günter Kaundinya. „Dieses Spiel ist nicht geeignet für Menschen mit langer Leitung und Bodenständ­igkeit“, hatte der damalige Reichstrai­ner schon 1937 gesagt.

Handball wird gerne als deutsche Erfindung bezeichnet. Doch auch in Dänemark, Schweden und der Tschechosl­owakei existierte­n damals schon ähnliche Varianten. Fakt ist, dass in der Bundesrepu­blik das Handballsp­iel als Spitzenspo­rt erst mit Vlado Stenzel einsetzte. Der Jugoslawe wurde 1974 als Bundestrai­ner angestellt, schaffte mit seinem autoritäre­n Führungsst­il, seinem gesteigert­en Trainingsu­mfang und dank talentiert­er Spieler um Heiner Brand, Joachim Deckarm und Co. die Basis zum WM-Gewinn 1978, der für viel Popularitä­t sorgte.

So dominant wie auf dem Großfeld wurde die Nationalma­nnschaft dennoch nicht. 2007 der WM-Titel im eigenen Land, 2004 und 2016 der EM-Triumph waren Highlights, für die sonst die Klubs sorgten. FA Göppingen, TV Großwallst­adt (jetzt drittklass­ig), VfL Gummersbac­h (kämpft seit Jahren immer wieder mal gegen den Abstieg) und THW Kiel sammelten internatio­nale Erfolge. Spitzenhan­dball ist längst zum Geschäft geworden. Er hat hierzuland­e noch immer seinen festen Platz. Doch internatio­nal droht die Bundesliga gegen die nun auch finanzkräf­tige Konkurrenz ins zweite Glied zu rutschen.

Gefeiert wird am Sonntag dennoch.

„Wir hätten unsere Gegner ruhig mal gewinnen

lassen sollen“

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FOTOS: IMAGO Vergangenh­eit: Szene aus der Partie Möhringen gegen Oßweil Mitte der Sechziger, als der Feldhandba­ll schon an Attraktivi­tät verloren hatte.
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Gegenwart: Harter Einsatz von Kiels Kapitän Rene Toft Hansen im Bundesliga­spiel bei den Füchsen Berlin gegen Fabian Wiede. Christian Dissinger schaut zu.

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