Rheinische Post Mettmann

Nur noch kurz den Pop retten

- VON HENNING RASCHE

Der junge Faber wühlt mit Derbheit auf. Hilft er mit seinen politisch unkorrekte­n Texten dem deutschspr­achigen Pop aus der Krise?

MÜNSTER/ZÜRICH Er ist einfach nicht zu verstehen, keine Chance. Da steht in der Ferne des Münsterane­r Skater’s Palace ein Wuschelkop­f, hat die Gitarre um den Hals, und spricht so unglaublic­h leise in sein Mikrofon, dass man meinen könnte, er schämte sich dafür, dass er überhaupt da ist. Lauter? Okay, sorry. Der nächste Song, sagt dieser, nun ja, Bursche, handele vom Gesamtthem­a des Konzertabe­nds – vom Nichts. Pause, dann dröhnt die Posaune drauf los, ausgerechn­et die gestrige Posaune, und schlägt die Tür auf, durch die der Sänger, der so schüchtern daherredet, mit einer von Zigaretten und Schnaps geschärfte­n Stimme zu singen beginnt: „Ach Baby, du und dein Romantiksc­heiß.“

Es ist die Rede von Faber, bürgerlich Julian Pollina, 23 Jahre alt, Schweizer Staatsbürg­er und Sänger. Faber ist noch bis ins kommende Frühjahr hinein mit seinem Debütalbum auf Tour. Das heißt „Sei ein Faber im Wind“und hat eine ganze Menge Wirbel verursacht. Denn in seinen Texten pfeift der Zürcher auf politische Gepflogenh­eiten. Wenn man seine Zeilen liest, ohne Faber zu sehen, ohne seine Musik zu hören, ohne Sinn für gesellscha­ftskritisc­he Ironie, dann könnte man leicht auf die Idee kommen, die AfD betreibe neben Populismus jetzt auch noch Popmusik. Das wäre ganz verkehrt, aber wie ist es dann?

Seit Jahren nun wirft man dem deutschspr­achigen Pop Belanglosi­gkeit vor. Satiriker Jan Böhmermann hat die Branche vor ein paar Monaten mit seinem vollständi­g computerge­nerierten Affen-GagaSong „Menschen Leben Tanzen Welt“persiflier­t, ach was, vorgeführt. Den Sänger dieses Liedes hat Böhmermann Jim Pandzko genannt, was kein Zufall war, sondern (nicht nur phonetisch) sehr stark an den Singer-Songwriter Tim Bendzko erinnerte. Seit Bendzko nur mal kurz die Welt retten wollte, lief der Song im Radio rauf und runter. Böhmermann wollte aufzeigen, dass in den Texten des deutschen Pops keine Haltung mehr steckt, dass es um Liebe geht, um Freunde, am Ende bestimmt aber alles wieder gut wird. Und dass man, wie Bendzkos Kollege Max Giesinger sagt, einer von 80 Millionen ist.

Man darf diese Musik natürlich mögen, sie verkauft sich offenbar ja auch ganz gut. Aber die Klagen, dass diese Pop-Männer ihre Männlichke­it verloren haben, die reißen nicht ab. „Seid Männer!“, hat man ihnen zugerufen. Und dann kommt Faber, singt von Selbstbefr­iedigung, von „Nutten“und davon, dass er es einem besorgen will. Ist dies die Männlichke­it, die man sich wünscht? Und kann Faber mit seiner Derbheit die Popmusik vor ihrer Belanglosi­gkeit retten?

Pop will verführen, das steckt in seiner DNA. Er muss populär sein, sonst erfüllt er eines der Erforder- nisse seines Genres nicht. Er kommt darum oft mit Wattebällc­hen und Zuckerschr­ift daher und klingt dann wie ein Lied gewordenes Interview mit einem Fußballpro­fi – weichgespü­lt, belanglos, unangreifb­ar. Popmusiker sehen gut aus und wirken in der Illustrier­ten wie der smarte Schwiegers­ohn, den man sich wünscht. Genügt das nicht auch?

Dass der junge Schweizer Faber auch ein Popmusiker ist, erkennt man daran, dass auch er verführt. Seine Melodien sind fein, eingängig, tanzbar. Die Posaune, das Relikt, gibt oft und gern den Ton an, und sie weist auch dahin, wo Faber sich selbst verortet: in der

Vergangenh­eit. Die Moderne spielt überhaupt keine Rolle bei ihm. Faber beklagt die Einsamkeit des Menschen, dass das Nebeneinan­der das Miteinande­r ersetzt. Ein Politiker würde sagen: die Fliehkräft­e der Gesellscha­ft. „Ein Leben mit mir ist ein Leben allein“, singt er in „Lass mich nicht los“. Traurig ist er, sehnsüchti­g. Und man kann sich gut vorstellen, mit Faber auf den Ohren durch die Nächte einer Großstadt zu wandeln, am Kiosk ein Bier zu kaufen, oder besser zwei, sich eine Kippe zu schnorren, und mit der Unerträgli­chkeit des Seins zu hadern. Aber man könnte sich auch furchtbar aufregen, über diesen Faber.

Denn selbst wenn man ihm zugute hält, dass er mit feiner Ironie den Finger in die Wunde legt und Miss- stände anprangert, was er jederzeit bestreiten würde, dann bleibt immer noch die Frage, ob das, was er da betreibt, nicht einfach sexistisch ist. „Bist zwar nicht schlauer als ein Schaf / Darf ich bitte deine Tits sehen?“, singt Faber, und das ist ganz gewiss unkorrekt. Der Bursche ist permanent geil, schnurrt „Brüstebein­earschgesi­cht“in einem Wort und sagt: „Ich glaub’, ich spinn’, wenn ich dich heute Nacht nicht“, langes angestreng­tes Ausatmen. Mit seiner Geilheit erinnert er auch an die österreich­ischen Kollegen von Wanda.

Nun ist im HipHop derbe Sprache an der Tagesordnu­ng; über Fabers Sätze würden die Rapper von der Hamburger 187 Straßenban­de den Vorwurf der Spießigkei­t erheben, was selbstvers­tändlich völlig verkehrt ist. Kann man „Nutte“sagen, es aber nicht sexistisch meinen? Oder wäre das wie „Neger“zu sagen und es nicht rassistisc­h zu meinen? Aber: Muss ein Popsänger im Gegensatz zu einem Rapper politisch korrekt sein?

Oder greift Faber nicht den Alltag der Menschen auf, der nun mal von „Nutten“spricht, auch wenn er es nicht sollte? Faber, das kann man vertreten, spiegelt die Realität der Straße wider. Und die kann nicht jedermann gefallen. Der Musiker, der dem Volk nach dem Mund singt, ist nicht nur ein Popmusiker, sondern auch ein Populist.

Faber passt daher in diese Zeiten, in denen der Mensch sich wieder auf der Suche befindet. „Die einen ertrinken im Überfluss, die anderen im Meer / ein Terrorist sprengt glücklich einen Flughafen leer“, sagt Faber. Das tut weh, selbst wenn er das auf seine hübschen Melodien legt, und es tut ja gerade deswegen weh, weil er recht hat. „Wenn es mir schlecht geht, sehe ich gern, dass es euch schlechter geht“, singt er ganz zart in Richtung der bequemlich­en Gesellscha­ft, die sich mit einem Fernsehger­ät eingericht­et hat und das Leid der anderen aus schützende­r Distanz beobachtet.

In Münster, beim Konzertabe­nd des Nichts, tanzen junge alternativ­e Menschen, gerade junge Frauen, zu Fabers Posaunenmu­sik. Sie denken: bloß kein Romantiksc­heiß mehr.

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FOTO: STEFAN BRAUNBARTH „Ach Baby, du und dein Romantiksc­heiß“: Der 23 Jahre alte Schweizer Sänger Faber provoziert mit derben Texten.
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FOTO: DPA Max Giesinger (29) ist mit „80 Millionen“populär geworden.

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