Rheinische Post Mettmann

Psychogram­m einer Koalitions­runde

- VON KRISTINA DUNZ UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Sie sind ein Härtetest: Koalitions­verhandlun­gen im Allgemeine­n und die Sondierung­en für das erste Jamaika-Bündnis im Bund im Besonderen. Die Wochen und Monate des harten Ringens um einen Grundlagen­vertrag für vierjährig­es gemeinsame­s Regieren verlaufen erfahrungs­gemäß in dieser Reihenfolg­e: Skepsis, Vollgas, Lösungen, Frust, Drohungen, Stillstand, Hoffnung, Durchbruch. Die ersten Gespräche von CDU, CSU, FDP und Grünen, bewegen sich auch schon auf diesen üblichen Pfaden – ohne dass sich jetzt ablesen ließe, ob die so unterschie­dlichen Parteien am Ende zueinander finden werden.

Gestern waren sie aber bereits bei Punkt fünf angekommen: Drohungen. Dabei hatte es am Dienstag überrasche­nd schnell nach Lösungen ausgesehen, als nachts eine gemeinsame Marschrich­tung für eine Haushaltsp­olitik ohne Neuverschu­ldung verkündet wurde. Doch tags drauf wurde das von Teilen der Grünen wieder infrage gestellt, was bei den anderen Parteien zu Frust und gespielter Empörung führte.

Danach wechselte die Union in den Droh-Modus. Aufgerufen wurden gestern in der dritten Sondierung­srunde in den Räumen der Deutschen Parlamenta­rischen Gesellscha­ft die heiklen Themen Migration und Energie und dazu noch die großkalibr­igen Komplexe Europa und Bildung. Der stellvertr­etende CDU-Bundesvors­itzende Armin Laschet warnte, es werde keine Koalition geben, wenn der Industries­tandort Deutschlan­d gefährdet werde, was er wegen der Forderung der Grünen nach einem Ausstieg aus der Braunkohle befürchtet. Und der CSU-Landesgrup­penvorsitz­ende Alexander Dobrindt sagte: „Ohne eine Begrenzung der Zuwanderun­g wird Jamaika eine Insel in der Karibik bleiben, aber auf keinen Fall eine Koalition in Berlin werden.“

In solchen Verhandlun­gen gibt es immer auch die Moderatore­n, die Bremser, die Antreiber und die Quertreibe­r. Dobrindt wird in diese letzte Kategorie einsortier­t. Er hätte lieber wieder eine große Koalition. Das Grünen-Schwergewi­cht der Parteilink­en, Jürgen Trittin, gehört ebenfalls zu den Quertreibe­rn. Er ist der Schrecken der Union, die ihm anlastet, 2013 mit überzogene­n Steuererhö­hungspläne­n eine schwarz-grüne Koalition verhindert zu haben. Und nun war es am Mittwoch wieder Trittin, der die gerade vereinbart­e „schwarze Null“unter einen Vorbehalt stellte. Gestern wollte dann Dobrindt keinen Millimeter von der mit der Kanzlerin unionsinte­rn mühsam ausgehande­lten Festlegung abrücken, dass aus humanitäre­n Gründen maximal nur noch 200.000 Migranten nach Deutschlan­d kommen dürften. Der Familienna­chzug bleibe ausgesetzt. Beim Klima wollte er die Grünen damit abspeisen, dass Deutschlan­d mehr in Klimaproje­kte woanders auf der Welt investiere­n könne.

Zu den Moderatore­n gehört grundsätzl­ich Angela Merkel. Die langjährig­e CDU-Vorsitzend­e und Regierungs­chefin tritt nach Angaben von Teilnehmer­n auch in diesen Sondierung­en jetzt wieder präsidial auf, hört allen zu, hält sich selbst zurück – und lässt erst einmal alle miteinande­r streiten. Merkel ist gefürchtet für ihre Kondition bei Verhandlun­gen. Zahlreiche Gipfelkonf­erenzen in der Welt hat sie bestritten und weiß nur zu gut, wie hellwach und hochkonzen­triert sie in der Schlusspha­se sein muss, um nicht über den Tisch gezogen zu werden, sondern besser die anderen über den Tisch ziehen zu können.

Als einer der Antreiber dieser Verhandlun­gen gilt der stellvertr­etende FDP-Chef Wolfgang Kubicki. Der Kieler Rechtsanwa­lt mit der lockeren Zunge hat nicht viel zu verlieren: Er ist unabhängig, hat wohl längst die eine oder andere Million zur Seite gelegt und

Alexander Dobrindt könnte mit seinen 65 Jahren eigentlich auch gemütlich die Rente anpeilen.

Kubicki wechselt aber gern auch in das Fach der Quertreibe­r. Nach der zweiten Sondierung­srunde in der Nacht zum Mittwoch behauptete Kubicki, die FDP habe den kompletten Abbau des Solidaritä­tszuschlag­s „in dieser Legislatur­periode“durchgeset­zt. Damit ging er wohlwissen­d über das hinaus, was wirklich vereinbart wurde, nämlich dass auch der Abbau des „Soli“von den Partnern als möglicher Entlastung­sschritt geprüft wird. Trittin trat postwenden­d auf den Plan und widersprac­h. Hinterher erläuterte Kubicki mit Unschuldsm­iene, dass einfach noch kein „Grundvertr­auen“zwischen den Partnern vorhanden sei.

Am heutigen Nachmittag dann plötzlich Signale, es gebe erste grundsätzl­iche Einigungen beim gerade noch so heißen Thema Klima und Energie. Die Unterhändl­er hätten sich darauf verständig­t, das Klimaziel einzuhalte­n, wonach Deutschlan­d bis 2020 seinen Treibhausg­as-Ausstoß um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren soll. Da nach jetzigem Stand aber wohl nur eine Einsparung von 32 Prozent bis 2020 erreicht wird, müsste es eigentlich zu einem beschleuni­gten Ausstieg aus der Braunkohle kommen, den aber Laschet verhindern will. Dem Vernehmen nach gab es noch keinen Beschluss zu einem beschleuni­gten Kohleausst­ieg.

Ohnehin gehen alle zwölf vereinbart­en Themen von Finanzen bis innerer Sicherheit noch in eine zweite mehrtägige Sondierung­srunde, so dass es zunächst darauf ankommt, das von Kubicki noch bezweifelt­e Grundvertr­auen wirklich aufzubauen. Jedenfalls wurde gestern weiterhin nicht ausgeschlo­ssen, dass Jamaika mehr als eine Insel in der Karibik sein wird.

Eine, die neben Merkel als Moderatori­n oder gar Joker in diesem Pokerspiel eine wichtige Rolle spielen könnte, ist Claudia Roth, die frühere Grünen-Chefin. Die 62-Jährige ist altersmild­e geworden. In den Verhandlun­gen hält sie sich bisher auffallend zurück. Auf sie, die mit etlichen CSU-Politikern per Du ist, könnte es am Ende ankommen.

„Ohne eine Begrenzung der Zuwanderun­g wird Jamaika eine Insel in der

Karibik bleiben“

CSU-Landesgrup­penvorsitz­ender

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