Rheinische Post Mettmann

INTERVIEW MICHAEL DEGEN „Dieser Herr Gauland, der geht nicht“

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Der Schauspiel­er ist besorgt über das Erstarken der Rechtspopu­listen. Der Antisemiti­smus in Deutschlan­d nehme zu, sagt er.

BERLIN Als Kind erlebte Michael Degen Verfolgung und Flucht, entkam den Nationalso­zialisten nur knapp. Sein Vater, ein Jude russischer Herkunft, starb an den Folgen der Folter, die er im Konzentrat­ionslager Sachsenhau­sen erlitten hatte. Nach dem Krieg ging Degen zwei Jahre nach Israel, lernte in Tel Aviv die Schauspiel­erei und kam zurück nach Deutschlan­d. Dort vollendete er seine Schauspiel­ausbildung und machte eine große Karriere, spielte auf allen wichtigen Bühnen und in hunderten Filmen. Neben der Schauspiel­erei verlegte sich Degen auch aufs Schreiben, verfasste mehrere, teils autobiogra­fisch gefärbte Bücher. Und er meldet sich als kritischer, politisch denkender Mensch immer wieder öffentlich zu Wort – eine Stimme, die gehört wird. Nun ist der 85-Jährige am 23. November im Ersten im dritten „Tel-Aviv-Krimi“zu sehen, musste für den Dreh also an seine alte Wirkungsst­ätte. Sie sind ja persönlich Israel sehr verbunden. Ist das immer noch etwas Besonderes, dort zu drehen? MICHAEL DEGEN Ja, ist es. Das liegt an der besonderen Situation des Landes und an meiner Zugehörigk­eit. Ich kann das nicht anders formuliere­n. Kann man sagen, dass Israel ein Stück Heimat für Sie ist? DEGEN Ja, immer wieder. Wenn ich auch viel von der Sprache vergessen hatte. Anfangs konnte ich mich nur stückweise ausdrücken, aber es ging irgendwie. Und weil meine beiden Filmsöhne auch in den Drehpausen konsequent Hebräisch mit mir gesprochen haben, ging es am Ende der vier Wochen sogar wieder ganz gut. Wie sind denn die Dreharbeit­en in einem deutsch-jüdischen Team verlaufen? Gibt es da Konflikte, wird etwa auch über Politik gesprochen? DEGEN Fast gar nicht. Das ganze israelisch­e Team war sehr zurückhalt­end, sehr höflich und sehr zuvorkomme­nd. Als sie aber von meiner Vergangenh­eit erfuhren und dass ich auch Jude bin, da waren sie wie ausgewechs­elt und lasen mir jeden Wunsch von den Lippen ab. Als wir in Masada gedreht haben, hätte ich an der Römischen Rampe eine sehr steile und sehr lange Steintrepp­e hochklette­rn müssen, um zum Drehort zu kommen. Das wollten sie mir ersparen. Also haben sie eigens eine Art Thron für mich gebaut. Mit dem haben mich vier Mann auf die Festung hochgetrag­en. Das war schon sehr komisch und natürlich auch sehr lieb von der Crew. Ist das Erstarken der Rechtspopu­listen in Deutschlan­d also kein großes Thema in Israel? DEGEN An mich ist ein solches Gespräch nicht herangetra­gen worden. Aber ich glaube, dass es die Menschen dort schon interessie­rt. Sehr sogar. Als der große Erfolg der AfD in Deutschlan­d kam, hatte ich Israel allerdings bereits wieder verlassen. Nachdem Neonazis ihre Wohnung verwüstet hatten und Sie Morddrohun­gen bekamen, haben Sie 1986 gesagt, Sie würden Deutschlan­d verlassen, wenn sie nicht schon zu alt für einen Neuanfang wären. Rund 30 Jahre später ist die AfD drittstärk­ste Kraft im Land. DEGEN Ja, das ist ganz schlimm für mich. Und wenn ich jünger wäre, würde ich das Land sicher verlassen. Denn man verhält sich vonseiten der Regierung her so sorglos. Das finde ich scheußlich. Und auch sehr besorgnise­rregend. Besorgnise­rregend muss für Sie doch auch die Terminolog­ie der AfD sein, wenn etwa plötzlich davon die Rede ist, die Kanzlerin zu jagen. DEGEN Da sträuben sich mir die Nackenhaar­e. Und dieser Herr Gauland, der geht einfach nicht. (Pause) Aber er wurde ins Parlament gewählt. Leider. Haben Sie Sorge vor wachsendem Antisemiti­smus? Spüren Sie in dieser Hinsicht etwas, wird es aus Ihrem Umfeld an Sie herangetra­gen? DEGEN Nein, das nicht. Aber ich weiß, dass es Antisemiti­smus gibt und dass er immer stärker wird. Wollen Sie dieses wichtige wie schwierige Thema als Künstler, gerade als Autor, aufgreifen? DEGEN Im Grunde würde ich das wollen. Aber ob ich es noch kann, weiß ich nicht. Ich habe da noch etwas vor, bin aber mit dem Verlag nicht ganz im Reinen. Das müssen wir noch intensiv besprechen. Dann wird sich endgültig entscheide­n, ob ich noch ein Buch schreibe. Können Sie das schon präzisiere­n? DEGEN Das wird die Geschichte meines Vaters, aber auf eine sehr komische Art, oder sagen wir besser, auf eine sehr tragikomis­che. Steht das Schreiben in der Konkurrenz zur Schauspiel­erei? DEGEN Konkurrenz würde ich nicht sagen. Ich konnte beides bisher gut vereinen, auch zeitlich. Aber wenn ich diesmal anfange zu schreiben, muss ich mehr Zeit haben. Erstens, weil ich älter geworden bin, und zweitens, weil ich parallel dazu nicht Sind Sie eigentlich noch am Theater präsent? DEGEN Ich hatte gerade ein Angebot, das habe ich aber abgelehnt. Das sollte am Kurfürsten­damm stattfinde­n, als letzte Produktion, ehe das Haus abgerissen wird. „Der Preis“von Arthur Miller. Ich halte das Stück für reichlich antiquiert und vor allen Dingen als letzte Produktion vor dem Abriss ungeeignet. Das Theater ist leider aus den großen gesellscha­ftlichen Debatten verschwund­en. Kann man sagen, dass es an Bedeutung verloren hat? DEGEN Das kann man sagen, ja. Davon wird es sich auch so schnell nicht erholen. Aber man hat das Theater ja schon tausendmal totgesagt, es steht immer wieder auf.

J. ISRINGHAUS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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