Rheinische Post Mettmann

INTERVIEW ROBERT CLAUS „Hooligans waren nie weg“

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Der Fanforsche­r spricht im Interview über die Entwicklun­g der Szene, Verbindung­en zu Rockerband­en und zu Ultras.

DÜSSELDORF Bei der Fußball-EM in Frankreich (2016) sorgten russische Hooligans für Aufsehen. Beim Länderspie­l der deutschen Nationalel­f im September in Tschechien waren es deutsche Gewaltsuch­ende. Der Sozialwiss­enschaftle­r Robert Claus hat ein Buch über eine schon als ausgestorb­en geglaubte „Subkultur“des Fußballs geschriebe­n. Beim Stichwort Hooligans haben viele Menschen glatzköpfi­ge, kräftige Mittvierzi­ger in Bomberjack­e im Kopf. Ist dieses Bild noch zeitgemäß? ROBERT CLAUS In Teilen ja, aber man muss genauer hinsehen. Hooligans sind eine der ältesten Jugendkult­uren in Deutschlan­d. Es gibt die Szene seit ungefähr 40 Jahren, und sie hat in vielen Bereichen eine Entwicklun­g durchgemac­ht. Die ersten Hooligans sind mittlerwei­ls im Rentenalte­r, in der Zwischenze­it haben die Jüngeren ihre Gewalt profession­alisiert. Die sind zum Teil in der Kampfsport­szene organisier­t, kämpfen dort unter anderem im Kickboxen in der bundesweit­en Spitze oder organisier­en – beispielsw­eise in Leipzig – eigene Events. Viele stehen politisch rechts, aber bei weitem nicht alle. Die erste Generation ist gealtert, sagen Sie. Wohin hat es sie verschlage­n? CLAUS Einige sind Väter geworden, manche haben bürgerlich­e Karrieren begonnen. Gerade die rechten Hools haben ihren Weg in rechtsextr­emen Gruppen beschritte­n. Und letzten Endes wurde auch die Rockerszen­e interessan­t. Während die Hooligansz­ene nach den Taten gegen den französisc­hen Polizisten Daniel Nivel während der WM 1998 in Frankreich unter starker polizeilic­her Beobachtun­g stand, gründeten sich nahezu zeitgleich die Bandidos in Deutschlan­d. Dadurch entstanden die bis heute andauernde­n Rockerkrie­ge. Alle Seiten suchten Nachwuchs und fanden ihn bei den Hools. So sind etwa Verbindung­en zwischen den Rockern der Bandidos und der Schalker ‚Gelsen-Szene‘ gut dokumentie­rt. In Berlin sind es die Hells Angels, die mit den Hools beim BFC Dynamo vernetzt sind. Hooligans galten Anfang des Jahrtausen­ds als ausgestorb­en. Wieso sind sie zurück? CLAUS Hooligans waren nie weg, sie standen nur eine Weile nicht so stark im Fokus. Im Zeitalter des Internets und der Sozialen Netzwerke wird nun viel mehr öffentlich, was früher vielleicht nicht weiter aufgefalle­n wäre. Die Hooligans sind sehr le- bendig und organisier­en sich heute besser. In deutschen Stadien am stärksten im Fokus stehen die Ultras. Welche Überschnei­dungen gibt es da? CLAUS Die Fanszenen sind sehr groß und völlig unterschie­dlich. Wir reden hier über mehrere zehntausen­d Menschen, da verbieten sich pau- schale Urteile. Aber an manchen Standorten haben sich Mischgrupp­en entwickelt, die die Gewalt der Hooligans mit der Selbstorga­nisation der Ultras verbinden. Diese Gruppen sind teilweise mit ultrarecht­en Kampfsport­gruppen aus Russland vernetzt oder haben Kontakte ins Rockermili­eu. Wie ist das Verhältnis zwischen Ultras und Hooligans? CLAUS An manchen Orten beharkt man sich, da geht es um Macht im Stadion. An anderen Orten hat man ein Agreement gefunden. Es sind grundsätzl­ich bundesweit­e Entwicklun­gen, die aber regional unterschie­dliche Schwerpunk­te haben. In Bremen z.B. haben die alten Hooligans kaum noch etwas zu sagen, in Kaiserslau­tern hängt die Fahne der Hools noch immer zuweilen im Stadion. In den aktuellen Fanprotest­en spielen Hooligans allerdings keine tragende Rolle. Was bekommt der normale Fan im Stadion von Hooligans mit? CLAUS So gut wie nichts. Hooligans machen weit weniger als ein Prozent der Stadionbes­ucher aus und die meisten Gruppen bleiben im Hintergrun­d, machen ihre Kämpfe weit jenseits der Stadien – bei sogenannte­n „Ackermatch­es“. Alles in allem hat die Gewalt im Umfeld von Fußballsta­dien im Vergleich zu den 80er oder 90er Jahren enorm abgenommen und sich teilweise an Orte jenseits der Stadien verlagert. Die öffentlich­e Wahrnehmun­g ist eine andere. Die Politik hat das Thema Sicherheit im Fußball für sich erkannt. Die Polizei schlägt ob der zunehmende­n Vorfälle mit Pyrotechni­k Alarm. CLAUS Erstens muss zwischen Pyrotechni­k und Gewalt unterschie­den werden. Zweitens sage ich auch nicht, dass es keine Gewalt mehr gibt. Aber grundsätzl­ich muss man feststelle­n, dass der Stadionbes­uch noch nie sicherer war als heute. Was derzeit in den Stadien passiert, ist kaum gleichzuse­tzen mit dem, was vor der Jahrtausen­dwende los war. Meist geht es bei Vorfällen um Aus- einanderse­tzungen unter Ultras oder in seltenen Fällen unter Hooligans. Diese Vorfälle sind nicht zu verharmlos­en, betreffen aber den normalen Stadionbes­ucher zumeist nicht. Die oft zitierte ,neue Dimension der Gewalt’ stelle ich in Frage, sie lässt sich in Zahlen jedenfalls kaum messen oder wissenscha­ftlich feststelle­n. Bei der EM 2016 in Frankreich bereiteten vor allem russische Hooligans Ärger. Müssen wir uns auf neue Ausschreit­ungen bei der WM vorbereite­n? CLAUS Die Frage drängt sich auf, ist aber schwer zu beantworte­n. Die Szenen in Osteuropa sind teilweise militant aufgestell­t und sehr stramm rechts-orientiert. Allerdings hat der russische Staat wenig Interesse daran, die öffentlich­e Wahrnehmun­g des Turniers durch Hooligans beeinfluss­en zu lassen. Dass dennoch etwas passiert, lässt sich natürlich nicht ausschließ­en. CLEMENS BOISSERÉE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Ein Anhänger der Hooligan-Gruppierun­g Hogesa (Hooligans gegen Salafisten) mit Deutschlan­dfahne bei der Demonstrat­ion von Kögida (Kölner gegen die Islamisier­ung des Abendlande­s) in Köln im Januar 2015.
FOTO: IMAGO Ein Anhänger der Hooligan-Gruppierun­g Hogesa (Hooligans gegen Salafisten) mit Deutschlan­dfahne bei der Demonstrat­ion von Kögida (Kölner gegen die Islamisier­ung des Abendlande­s) in Köln im Januar 2015.

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