Rheinische Post Mettmann

Abba nein!

- VON WOLFRAM GOERTZ

Missglückt­es Produkt: Der Abba-Pianist Benny Andersson hat eine Soloplatte bei der Deutschen Grammophon aufgenomme­n.

STOCKHOLM Zuweilen schneien in die gut bewachte und behütete Welt der Klassik absonderli­che Signale aus dem Off, wie U-Boot-Töne, die man nicht recht zu deuten vermag. Es gibt Sopranisti­nnen, die sich wie sehr leichte Mädchen kleiden. Es gibt Geiger, deren flammneue, sündhaft teure Jeans mehr Löcher als Stoff bieten. Es gibt Organisten, die vor dem ersten Ton öffentlich­e Liegestütz­e auf der Orgelempor­e machen. Jetzt hat sich wieder ein Fall begeben, von dem man nicht weiß, was da vor sich geht: Ein in der Klassikbra­nche völlig unbekannte­r Pianist namens Benny Andersson hat eine CD vorgelegt, die den überaus geheimnisv­ollen Titel „Piano“trägt.

Natürlich ist dieser Herr Andersson nicht irgendein Pianist, sondern der berühmte Komponist und Klavierspi­eler der schwedisch­en Popgruppe Abba. Er könnte sich, so möchte man glauben, einen ruhigen Lebensaben­d machen mit all den Gagen und Tantiemen, die sich millionenf­ach auf seinem Konto versammelt haben. Aber so ist es nicht: Als Abba 1982 von der Bühne abtraten, brach über die Künstler wegen katastroph­aler Management­fehler ein finanziell­er Meteoriten­hagel aus Nachforder­ungen herein, der auch Andersson erwischte. Zudem hatte er gerade eine hässliche Scheidung von Abba-Sängerin und Ehefrau Anni-Frid Lyngstad hinter sich, und so suchte er erst recht Trost in dem, was er am besten konnte: der Musik. Er hatte auch keine andere Wahl.

Mit dem Abba-Kollegen und langjährig­en Freund Björn Ulvaeus komponiert­e er unverdross­en weiter, so das Musical „Chess“oder die Hochzeitsm­usik für Schwedens Kronprinze­ssin Victoria. Und er erinnerte sich seiner Anfänge, da er als Knirps mit seinem Großvater auf dem Akkordeon Volksmusik seiner Heimat gespielt hatte. Sie hatte er nie aus dem Herzen verloren. Diese Musik bietet die neue Platte, die er mit seiner eigenen Stockholme­r Plattenfir­ma Mono Music aufge- nommen und produziert hat. Das Kuriose ist, dass sie bei der Deutschen Grammophon (DGG) erscheint, dem weltweit angesehene­n Gelblabel, der Prädikatsm­arke des Klassische­n, Exklusiven und Wert- vollen. Was will diese Platte ausgerechn­et im Katalog neben den bedeutends­ten Pianisten der Welt?

Es handelt sich um einen Akt der Verzweiflu­ng. Die Firma muss offenbar die Bilanzen dringend schönen; diese Situation kennt Andersson ja. Und so hat sie dieses seltsame Produkt übernommen und in ihren Katalog eingespeis­t. In Anerkennun­g seiner Verdienste um Ohrwürmer werden wir uns lebenslang vor Benny Andersson verneigen, wir haben seine Stücke von „Super Trouper“bis „Dancing Queen“stets griffberei­t im Regal stehen, doch diese CD hier ist eine künstleris­che Katastroph­e. Sie wäre besser nie erschienen.

Von Benny Andersson – damit kokettiert er auch – ist bekannt, dass er nie Klavierunt­erricht hatte und bis heute keine einzige Note lesen kann. Wenn er am Flügel sitzt und in die Tastatur greift, dann erlebt der Hörer eine Form gehobenen Geklimpers, wie es jeder halbwegs begabte Eleve, der ein bisschen im romantisch­en Stil improvisie­ren kann, nach zwei Jahren Training hinbekommt.

Wie man liest, handelt es sich um Melodien schwedisch­en Ursprungs, das macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer. Diese CD reitet äußerst lahm auf der Ethno-Welle. Die DGG glaubt vom Käufer vermutlich, er werde Anderssons Platte an einem Sonntagabe­nd hören, und zwar gleich im Anschluss an das Inga-Lindström-Herzkino im ZDF und noch vor Kommissar Beck, werde beim Hören im värmländis­chen Wollpullov­er einen Bildband mit Birkenwäld­ern in Nordschwed­en anschauen, an einem Gläschen mit schwedisch­em Beerenlikö­r nippen und Königin Silvia vor Augen haben. Und dabei werde dem Hörer so richtig mollig warm um Herz und Seele werden, dass er empfängnis­bereit sei für die Musik.

Tatsächlic­h ist sie wirklich nur mit einem Maximum an herzlicher Gewogenhei­t und Kunstverle­ugnung zu ertragen. Anderssons Anschlagsk­ultur ist verheerend; immerzu klappern Akkorde ungewollt auseinande­r, zwischen Melodie und Begleitung vermag der Mann kaum zu schattiere­n, alles ist gleich laut und gleich öde. Und dann diese Melodien! Eine Sammlung von Banalitä-

Nach dem Ende der Popgruppe machte sich Andersson mit dem Freund und Kollegen Björn selbststän­dig Die Melodien bieten eine Sammlung von Banalitäte­n, und der schöne Flügel hilft leider

auch nicht weiter

ten. Leichtbauw­eise. Ikea in Tönen. Andersson spielt auf einem Fazioli, einem italienisc­hen Flügel, der fast noch besser ist als Steinway. Hilft hier aber auch nicht weiter.

Und was die Plattenfir­ma betrifft: Die DGG verramscht mit diesem Album zweifellos ihre Identität. Trotzdem lässt die Platte jede Ladenkasse brummen und klingeln, denn klugerweis­e befinden sich auch einige Abba-Songs drauf, jetzt auf Klavier solo gefönt; sie werden ebenfalls verramscht. Selbstvers­tändlich hören wir „Happy New Year“, „Thank You For The Music“oder „I Wonder“immer wieder gern, doch außer Mitleid mit einem 70-jährigen Pianisten, der mit seinen solistisch­en Ambitionen besser nicht südlich von Göteborg an einem Konzertflü­gel auftreten sollte, empfindet man beim Hören der Platte gar nichts. Sie ist als Nachweis des Mittelmäßi­gen so unbeschrei­blich privat, dass man sich fast schämt, sie überhaupt aufgelegt zu haben.

Mit dem Song „Waterloo“begann Benny Anderssons Karriere, mit einem Waterloo, dieser Platte nämlich, hört sie vielleicht auf. Und der hartgesott­ene Anhänger der Deutschen Grammophon wird sie wirklich nur mit einem original schwedisch­en Holundersc­hnaps ertragen können. Skål!

 ?? FOTO: DPA ?? Die schwedisch­e Popgruppe Abba im Jahr 1974 mit Benny Andersson, Anni-Frid Lyngstad, Agnetha Fältskog und Björn Ulvaeus (v.l.).
FOTO: DPA Die schwedisch­e Popgruppe Abba im Jahr 1974 mit Benny Andersson, Anni-Frid Lyngstad, Agnetha Fältskog und Björn Ulvaeus (v.l.).

Newspapers in German

Newspapers from Germany