Rheinische Post Mettmann

Das Warten hat sich gelohnt

- VON JACQUELINE BÖHLAND

Es gibt viele Wege zum Medizinstu­dium. Die Ausbildung zum Krankenpfl­eger oder Physiother­apeuten ist sinnvoll.

Ein hoher Numerus clausus, ellenlange Bewerberli­sten, überfüllte Studiengän­ge – da sind mehrere Wartesemes­ter, manchmal sogar sieben oder acht Jahre, nicht selten. Trotzdem gibt es viele angehende Studierend­e, die sich nicht von ihrem Wunschstud­ium Medizin abbringen lassen. Doch wie lässt sich die lange Wartezeit sinnvoll nutzen? „Irgendwas mit Medizin“lautet oft der Wunsch der Kandidaten – doch welche Möglichkei­ten gibt es überhaupt?

Stefan Radermache­r ist so jemand. Zwölf Wartesemes­ter hat er bereits hinter sich, bewirbt sich jedes Jahr aufs Neue beim Hochschuls­tart. Auch wenn der Studienpla­tz

„Manchmal ist es frustriere­nd zu wissen, dass man noch weit von einem Studienpla­tz

entfernt ist“

noch nicht in Sicht ist, investiert er die Zeit schon seit dem Abitur in medizinisc­he Erfahrunge­n. Angefangen hat er mit einer Ausbildung zum Krankenpfl­eger in Köln, arbeitete daraufhin noch anderthalb Jahre als Krankenpfl­eger auf der Intensivst­ation des Marien-Hospitals und seit 2016 auf der internisti­schen Intensivst­ation. 26 Jahre alt ist er und sieht seine Praxiserfa­hrung als großen Vorteil für ein späteres Medizinstu­dium – so habe er bereits Erfahrung im Umgang mit Patienten, mit schwierige­n Patienteng­esprächen, erlebt täglich medizinisc­he Entscheidu­ngen mit und weiß, wie der Stationsal­ltag abläuft.

„Ein bisschen mehr Input und Verantwort­ung“– das ist der Wunsch, der ihn täglich begleitet. Aber das Warten erscheint wie eine Geduldspro­be. „Wenn man seinen persönlich­en Rang bei der Bewerbung mitgeteilt bekommt, ist es schon sehr frustriere­nd zu sehen, wie weit entfernt man von der Möglichkei­t ist, einen Studienpla­tz zu bekommen.“Weiterentw­ickeln will er sich, doch die Möglichkei­t, dies im Studium zu tun, lässt auf sich warten.

Lisa Kordell hat es geschafft: Sie studiert Medizin in Düsseldorf und nimmt bald das zweite Staatsexam­en in Angriff. Ihr Abi machte sie 2006, doch auch sie landete zunächst auf der Warteliste. Sie nutzte ebenfalls die Zeit für eine Ausbildung: zur Physiother­apeutin, an einer staatliche­n Schule in Düsseldorf. Eines stand fest: Sie wollte etwas lernen, was sie sich auch als Beruf vorstellen kann.

Die Ausbildung brachte ihr gute Kenntnisse in der Humanmediz­in ein, aber auch Klinikablä­ufe und der Umgang mit Menschen sind ihr vertraut. Da das Wunschstud­ium nach erfolgreic­hem Abschluss der Ausbildung noch nicht in Sicht war, arbeitete sie zunächst drei weitere Jahre als Physiother­apeutin in Düsseldorf. Das gab ihr die Möglichkei­t, auch neben dem Studium dort weiterzuar­beiten – nur eben in kleinerem Maße. Das Studium kann sie sich dadurch nun selbst finanziere­n

Ihren Wunsch, Medizin zu studieren, wollte sie nicht aufgeben – auch nicht, als sie sich nach fünf Jahren für Psychologi­e bewarb und eine Zusage bekam. „Man überlegt sich schon nach ein paar Jahren, ob man möglicherw­eise nicht doch etwas anderes machen könnte. Aber ob man letztendli­ch fünf oder sechs Jahre wartet, macht dann auch keinen Unterschie­d mehr“, sagt Lisa Kordell.

In dieser Hinsicht sieht sie ihre Praxiserfa­hrung auch als Wegweiser. „So wusste ich wenigstens, dass Medizin etwas für mich ist. Jemand mit einem Einser-Abitur kommt vielleicht direkt an die Uni und merkt dann, dass Medizin gar nichts ist.“Gesammelte Erfahrunge­n sind so nicht nur im späteren Studium nutzbar, sondern zeigen durchaus bereits, wo die eigenen Interessen und Stärken liegen – und das bestärkt letztlich auch die Wartenden.

Nach drei Jahren Berufslebe­n als Physiother­apeutin wieder in den Lernalltag zurückzufi­nden, stellte für sie allerdings doch eine kleine Hürde dar – doch auch diese hat sie gemeistert und wirkt zufrieden mit dem Weg, den sie gewählt hat.

Eine Ausbildung als sinnvolle Möglichkei­t der Wartesemes­terüberbrü­ckung nennt auch Nina Leibinnes vom Studiendek­anat der Medizinisc­hen Fakultät der Universitä­t Düsseldorf. „Empfehlens­wert ist eine Ausbildung im medizinisc­hen Bereich – Krankenpfl­ege wäre ein Beispiel. Ein Krankenpfl­egedienst von drei Monaten ist durch die Approbatio­nsordnung für ein Medizinstu­dium sowieso vorgesehen.“Damit wäre also eine Voraussetz­ung fürs Medizinstu­dium gleich abgehakt. Die Vorkenntni­sse sind außerdem im Studium nutzbar – Lisa Kordell erlebt das täglich.

Aber eine Ausbildung ist nicht der einzige Weg. Eine weitere Möglichkei­t, die Wartezeit zu nutzen und trotzdem im medizinisc­hen Bereich Erfahrunge­n zu sammeln, nennt Leibinnes: „Auch ein Auslandsst­udium ist grundsätzl­ich möglich“– das sei aber eventuell mit hohen Studiengeb­ühren verbunden. Auch die Anerkennun­g der Leistungen ist oft nicht oder nur in Teilen möglich, so dass Studierend­e im Zweifelsfa­ll nach ihrer Rückkehr an einer deutschen Universitä­t bei null anfangen müssen. Wichtig sei vor allem, in Deutschlan­d kein anderes Fach zu studieren, da der Warteliste­nplatz so verloren gehe, sagt Leibinnes.

Weitere, aber eher für kürzere Wartezeite­n geeignete Möglichkei­ten sind daneben das (kostenpfli­chtige) medizinisc­he Vorsemeste­r, bei dem Grundlagen für das Medizinstu­dium gelehrt werden, oder Freiwillig­endienste im medizinisc­hen Bereich, wie zum Beispiel bei Hilfsproje­kten im Ausland.

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FOTO: ANNE ORTHEN Lisa Kordell hat zuerst eine Ausbildung zur Physiother­apeutin gemacht. Das hilft ihr jetzt im Medizinstu­dium ungemein.

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