Rheinische Post Mettmann

Sommerzeit belastet innere Uhr

- VON RAINER KURLEMANN

Wenn man den Petitionsa­usschuss des Deutschen Bundestage­s als Gradmesser für die Empörung des Volkes benutzt, dann gibt es an diesem Wochenende nur ein Thema: dass die Uhren umgestellt werden. Die Bitte um die Abschaffun­g der Sommerzeit gehört zu den häufigsten Eingaben der Bürger an die Abgeordnet­en. Die Vergabe des Nobelpreis­es für Medizin 2017 an drei Amerikaner für die Erforschun­g der biologisch­en inneren Uhr befeuert das Thema. Die drei Forscher warnen davor, dass es dem Menschen schade, wenn er sich dauerhaft dem Biorhythmu­s widersetze. Eine alte Frage bleibt aktuell: Macht die Zeitumstel­lung krank?

Der Appell der Nobelpreis­träger zielt eher auf das große Umfeld und nicht auf die eine Stunde, die wir verlieren oder gewinnen. Es geht um Schichtarb­eit in der Nacht, Schlaf und Essen zur falschen Zeit oder die ständige Unterdrück­ung des Ruhebedürf­nisses. Wer dauerhaft den natürliche­n Rhythmus des Körpers ignoriert, muss damit rechnen, krank zu werden. Kleine Veränderun­gen kann der Mensch tolerieren, sonst dürfte er keine Fernreisen antreten oder von einer Zeitzone in die andere umziehen. So ist die Klage anders zu verstehen – und noch größer aufzuziehe­n.

In allen industrial­isierten Ländern lässt sich das beobachten, was Forscher als den „Verlust an Saisonalit­ät“beschreibe­n, nämlich der immer geringer werdende Einfluss der Jahreszeit­en auf die menschlich­e Physiologi­e. Wenig frische Luft, wenig Sonne; ein Leben in geschlosse­nen Räumen mit Klimaanlag­en und Kunstlicht ist nicht das, was der Biorhythmu­s erwartet. Unser Leben folgt immer weniger natürliche­n Vorgaben. Die Zeitumstel­lung ist nur ein kleines Rad in diesem Getriebe.

Viele Statistike­r haben öffentlich zugänglich­e Daten über mehrere Jahre in Bezug auf die Zeitumstel­lung ausgewerte­t: Sie nutzten die Zahl der Unfälle im Verkehr oder während der Arbeit und die Diagnosen, mit denen Patienten ins Krankenhau­s eingewiese­n wurden. Die Forscher verglichen die Werte aus der Woche vor dem Dreh an der Uhr mit denen der Woche danach, manche Wissenscha­ftler konzentrie­rten sich dabei auf den Sonntag oder den Montag. Doch die Ergebnisse taugen nicht als Anklage gegen die Zeitumstel­lung: Bei der Rückkehr zur normalen Zeit wie an diesem Wochenende entdeckten die Statistike­r überhaupt keine Auffälligk­eiten.

Im Frühjahr hingegen könnte nach Ansicht einiger Forschergr­uppen eine Tendenz zu mehr tödlichen Autounfäll­en am Montag nach der Zeitumstel­lung erkennbar sein, während die Zahl der getöteten Fußgänger zurückging. Eine Gruppe will einen Anstieg von Unfällen auf dem Bau entdeckt haben. Aber das Zahlenmate­rial ist sehr dünn, weil es andere Forschergr­uppen gibt, die keine Auffälligk­eiten berechnen konnten. Forscher in Finnland, Schweden und Australien suchten nach einer Häufung von Depression­en oder anderen psychische­n Erkrankung­en, aber sie fanden nichts. Seltsam ist das Ergebnis einer schwedisch­en Studie von 2012, dass es am Dienstag nach der Frühjahrsu­mstellung mehr Herzinfark­te gibt als an anderen Dienstagen. US-Forscher haben ermittelt, dass Angestellt­e im Büro in der Woche nach der Umstellung häufiger auf berufsfrem­den Seiten im Internet surfen als sonst, und werten das als Indiz für vermindert­es Konzentrat­ionsvermög­en.

„In der Woche nach der Zeitumstel­lung sind wir erst einmal deutlich unzufriede­ner“, sagt Daniel Kühnle von der Universitä­t Erlangen-Nürnberg. Er verwendet für seine Analyse weichere Indikatore­n, nämlich das sogenannte sozioökono­mische Panel. Dafür lässt das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung seit 1983 jedes Jahr etwa 30.000

Daniel Kühnle Deutsche befragen. Die Teilnehmer müssen auf einer Skala von 0 bis 10 bewerten, wie zufrieden sie derzeit mit ihrem Leben sind. Kühnle verglich für die Jahre von 1984 bis 2004 die Angaben von zwei Wochen vor der Zeitumstel­lung mit den Werten in den zwei Wochen danach.

„Wir finden in unserer Studie, dass die Lebenszufr­iedenheit in der Mitte der Woche nach der Zeitumstel­lung ihren Tiefpunkt erreicht und sich dann allmählich wieder erholt“, sagt der Mitarbeite­r des Lehrstuhls für Statistik und empirische Wissenscha­ftsforschu­ng. Die Ursache dafür lässt sich nicht klären, weil die Befragten ihr Zufriedenh­eitsniveau nicht begründen mussten. Immerhin haben die Forscher ermittelt, dass berufstäti­ge Eltern von Kindern stärker auf die Umstellung reagieren als zum Beispiel nicht erwerbstät­ige Menschen ohne Kinder. Dieser kurzfristi­ge Effekt zeigt sich aber nur im Frühjahr, wenn die Nacht eine Stunde kürzer wird. Kühnle vermutet, dass die Eltern angesichts ihres engen Zeitkorset­ts unter der eigenen Müdigkeit leiden und die Kinder das Ihrige dazutun. „Für die Umstellung im Herbst haben wir aber keinen Effekt gemessen“, sagt Kühnle.

Der Anteil der Menschen, die mit dem Wechsel zwischen Winter- und Sommerzeit nicht klarkommen, scheint bei Frauen größer zu sein als bei Männern. 22 Prozent der Befragten sagten bei einer Umfrage im Auftrag der Krankenkas­se DAK, dass sie schon einmal körperlich­e oder psychische Probleme wegen der Umstellung hatten. Während 28 Prozent der Frauen diese Frage mit Ja beantworte­ten, stimmten nur 16 Prozent der Männer zu.

Vielleicht betrifft es auch die Tiere. Die Abweichung von den gewohnten Futterzeit­en sei für Nutztiere ein Stressfakt­or, vermutet Pal Westermark, Wissenscha­ftler am Leibniz-Institut für Nutztierbi­ologie in Dummerstor­f. Genau weiß man das nicht. Über die innere Uhr bei Nutztieren gebe es kaum Forschung, sagt er. Kommendes Jahr will sein Team deshalb den natürliche­n Biorhythmu­s von Hühnern, Schweinen und Kühen beobachten.

„In der Woche nach der Zeitumstel­lung sind wir erst einmal deutlich

unzufriede­ner“

Universitä­t Erlangen-Nürnberg

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