Rheinische Post Mettmann

„Eine traurige Nachricht für Herrn Laschet . . .“

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Der frühere Umweltmini­ster über die festgefahr­enen Sondierung­sgespräche mit Union und FDP zum Haushalt und zur Klimapolit­ik.

BERLIN Jürgen Trittin (63) erlebt gerade ein Comeback auf der größeren politische­n Bühne. Bei den Jamaika-Sondierung­en spielt er eine maßgeblich­e Rolle; die Grünen haben den Chef der Parteilink­en zum finanzpoli­tischen Chefverhan­dler gekürt. Kein Wunder – der Ex-Bundesumwe­ltminister, Ex-Fraktionsc­hef und Ex-Spitzenkan­didat verfügt bei den Grünen über die größte Erfahrung und die spitzeste Zunge. Herr Trittin, sind Sie derjenige Grüne, an dem die Jamaika-Koalition am Ende scheitern kann? TRITTIN Ich bin einer von 14 Grünen, die gemeinsam und sehr geschlosse­n ergebnisof­fen sondieren, ob wir in einer Konstellat­ion, die vier Jahre stabil ist, die Inhalte durchsetze­n können, für die wir gewählt wurden. Die Formulieru­ng „Wir wollen einen ausgeglich­enen Haushalt“war doch unmissvers­tändlich. Warum haben Sie das hinterher infrage gestellt? TRITTIN Habe ich nicht. Ich habe nur deutlich widersproc­hen, als Herr Kubicki im Nachhinein behauptete, wir hätten milliarden­schwere Entlastung­en beschlosse­n. Tatsächlic­h haben wir nur einen Rahmen für das gezogen, was wir gemeinsam anstreben wollen. Das hat die Kanzlerin auch noch einmal bestätigt. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass alle Wünsche der Koalitions­partner in diesen finanziell­en Rahmen nicht reinpassen. Akzeptiere­n die Grünen, den Soli zunächst nur für jene mit einem Jahreseink­ommen bis 50.000 Euro zu streichen? TRITTIN Die Soli-Abschaffun­g ist ein Wunsch der FDP. Es gibt noch viele weitere Wünsche der FDP, aber die müssen alle in den Rahmen passen. Deswegen sehe ich nicht, dass wir ihn in dieser Legislatur­periode vollständi­g abschmelze­n. Das ist schlicht nicht finanzierb­ar und wür- de bei den kleinen Einkommen überhaupt nichts bringen. Die mittleren Einkommen beim Soli zu entlasten, wäre eine der leichteren Übungen. Können Sie nachvollzi­ehen, dass die FDP das Finanzmini­sterium nicht der Union überlassen möchte? TRITTIN Mit Sicherheit gibt es Ministerie­n wie das Finanzmini­sterium oder auch das Wirtschaft­sministeri­um, die einen besonderen Gestaltung­sspielraum ergeben. Klar ist, dass nicht alle Gestaltung nur bei dem größeren Koalitions­partner liegen kann. Das Wirtschaft­sministeri­um interessie­rt die Grünen besonders? TRITTIN Wir machen seit Jahren eine nachhaltig­e und erfolgreic­he Indus- triepoliti­k. Wir haben mit dafür gesorgt, dass Deutschlan­d etwa bei Energieeff­izienz und Ausbau erneuerbar­er Technologi­en internatio­nal führend ist und hier zeitweise über 400.000 Arbeitsplä­tze geschaffen wurden. Wir verstehen also etwas von Wirtschaft­spolitik. Insofern ist das Wirtschaft­sministeri­um genauso eine interessan­te Frage für uns wie das Finanzmini­sterium. Das gilt aber auch für das Verkehrs- und das Energiemin­isterium. Was genau muss passieren, damit Deutschlan­d das Klimaziel 2020 von minus 40 Prozent CO2 noch erreicht? TRITTIN Wer mit den Grünen koalieren will, für den müssen die Klimaschut­zziele ohne Wenn und Aber verbindlic­h sein. Punkt. Das wollte die FDP bisher nicht und deshalb haben wir auch vorgestern die Verhandlun­gen vertagt. Erstmal müssen wir uns auf eine gemeinsame Grundlage einigen. Die muss unzweideut­ig und unzweifelh­aft die schon seit 2007 eingegange­ne Verpflicht­ung sein, dass Deutschlan­d seine CO2-Emissionen gegenüber 1990 bis 2020 um 40 Prozent, bis 2030 um 65 Prozent und bis 2050 um 90 bis 95 Prozent verringert. Darauf hatten wir uns schon verständig­t, dann hat die FDP das wegen interner Uneinigkei­t wieder infrage gestellt. Und dafür müssen die 20 emissionss­tärksten Kohlekraft­werke schnell abgeschalt­et werden? TRITTIN Wenn wir das Klimaziel 2020 einhalten wollen, haben wir je nach Zählweise eine Deckungslü­cke von 90 bis 120 Millionen Tonnen CO2 – wenn die Klimaschut­z-Maßnahmen greifen würden, die die Bundesregi­erung bisher auf den Weg gebracht hat. Sonst wären es 156 Millionen Tonnen. Diese einzuspare­n, ist eine extrem große Herausford­erung, die übrigens jeden Tag größer wird. Wir haben Vorschläge gemacht. Zum Beispiel sieben bis zehn Gigawatt Kohleverst­romung aus dem Netz rauszunehm­en. Das bringt zwischen 50 und 90 Millionen Tonnen der nötigen CO2-Einsparsum­me. Wenn jemand andere Maßnahmen vorschlägt, können wir uns das gerne angucken. Für mich ist immer entscheide­nd, was hinten rauskommt. Nun sagt Herr Laschet, wir könnten auch noch mehr Wärmedämmu­ng und Heizungssa­nierungen machen. TRITTIN Die traurige Nachricht für Herrn Laschet und die Union ist, dass wir zusätzlich zum schnellen Kohleausst­ieg die Wärmedämmu­ng, die Heizungsau­stausche und die EMobilität ankurbeln müssen. Das Problem ist, dass Union und FDP für ihre Vorschläge nicht sagen können, was die an CO2-Einsparung­en bringen. Wenn Sie das Übermaß an CO2Produkt­ion bekämpfen wollen, kommen Sie nicht daran vorbei, das Übel an der Wurzel zu packen, das ist nun mal die zu hohe Kohleverst­romung. Dass Windräder leer drehen, hat die einfache Ursache, dass Kohlekraft­werke das Stromnetz verstopfen und nicht abgeschalt­et werden. Wir haben kein Stromverso­rgungsprob­lem, sondern massive Überkapazi­täten. Auch der Steuervort­eil für Dienstwage­n muss gestrichen werden? TRITTIN Wir sind übereingek­ommen, dass wir klimafeind­liche Subvention­en reduzieren wollen. Das könnte zum Beispiel die Steuerfrei­heit des Kerosins sein. Oder auch ein ungedeckel­tes Dienstwage­nprivileg, das dazu führt, dass heute ein Porsche Cayenne mit 15.000 Euro aus Steuermitt­eln bezahlt wird. Das ist einer der Gründe dafür, dass großvolumi­ge Diesel in Deutschlan­d so populär sind. Warum sieht Ihre Analyse anders aus als 2013, als Sie für den Abbruch der schwarz-grünen Gespräche waren? TRITTIN Anders als 2013 hat die Union diesmal keine billigere Variante mit der SPD in der Hinterhand. Der Grund, dass Schwarz-Grün 2013 nicht geklappt hat, war, dass die Union lieber ganz schnell in die große Koalition wollte. BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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FOTO: DPA Gerne auch mal mit dem E-Bike unterwegs: Jürgen Trittin (63) am 18. Oktober vor dem Bundestag.

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