Rheinische Post Mettmann

Ankara bestreitet Einfluss Schröders im Fall Steudtner

- VON PHILIPP JACOBS

Der Menschenre­chtler kam wohl auch dank des Altkanzler­s frei. Die übrigen inhaftiert­en Deutschen können davon nicht profitiere­n.

BERLIN/ANKARA Nach der Freilassun­g des Menschenre­chtsaktivi­sten Peter Steudtner will sich die Bundesregi­erung weiter für die noch zu Unrecht inhaftiert­en Deutschen in der Türkei einsetzen. Die diplomatis­chen Bemühungen gingen auf allen Ebenen weiter, sagte eine Sprecherin des Auswärtige­n Amts in Berlin. In der Türkei sind noch zehn Deutsche wegen politische­r Vorwürfe inhaftiert, darunter die Journalist­en Deniz Yücel und Mesale Tolu. Zu den anderen Fällen macht das Auswärti- ge Amt aus Gründen des Persönlich­keitsschut­zes keine Angaben.

Auch die Vermittler­tätigkeit von Altkanzler Gerhard Schröder für Steudtners Freilassun­g wollte die Behörde nicht kommentier­en. Die türkische Regierung streitet einen Einfluss Erdogans und Schröders in dem Fall ab. „Diese Behauptung hat überhaupt nichts mit der Realität zu tun“, sagte Justizmini­ster Abdülhamit Gül. Nach deutschen Medienberi­chten führte dagegen ein Geheimtref­fen Schröders mit Erdogan in den Tagen um die Bundestags­wahl zum Durchbruch.

Doch was bedeutet die Freilassun­g Steudtners für die übrigen inhaftiert­en Deutschen? Die einzelnen Verfahren sind sehr verschiede­n. Mesale Tolu besitzt wie Steudtner nur die deutsche Staatsbürg­erschaft. Der Prozess gegen sie – ihr werden Terrorprop­aganda und die Mitgliedsc­haft in einer linksextre­men Gruppierun­g vorgeworfe­n – begann am 11. Oktober. Anders als Steudtner muss sie für die restliche Dauer des Prozesses vorerst in Untersuchu­ngshaft bleiben. Doch allein die Prozesserö­ffnung werteten Experten eigentlich als gutes Zei- chen, denn nach türkischem Recht können Verdächtig­e bis zu fünf Jahre in Untersuchu­ngshaft bleiben – ohne Prozess. Die Beweislage ist wie im Fall Steudtner äußerst dünn.

Tolus Anwalt knüpft an die Freilassun­g des Menschenre­chtlers allerdings keine großen Erwartunge­n für seine Mandantin. „Die Politik der Türkei folgt zumindest an dieser Stelle keiner Rationalit­ät“, sagte der Berliner Jurist Dieter Hummel der „Frankfurte­r Rundschau“: „Wir können nur hoffen.“Auch Baha Güngör, langjährig­er Leiter der Türkei-Redaktion der Deutschen Welle, schöpft wenig Hoffnung aus dem Fall Steudtner: „Erdogan wird erkannt haben, dass die Deutschen, wenn er hart genug bleibt, zu ihm kommen werden. Er kann also einfach auf den nächsten Schröder warten.“Die Verfahren von Tolu und Yücel könnten sich dadurch nur noch weiter in die Länge ziehen.

Im Fall Deniz Yücel liegt seit dessen Verhaftung vor acht Monaten nicht einmal eine Anklagesch­rift vor. Über die genauen Strafvorwü­rfe wird spekuliert. Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan nannte Yücel einen Spion und Terroriste­n. Der „Welt“-Reporter besitzt auch die türkische Staatsbürg­erschaft, was das Verfahren aus Sicht der Bundesregi­erung verkompliz­iert.

Yücels Fall liegt wie viele andere auch vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) in Straßburg. Am Dienstag lief eine Frist des EGMR für die türkische Regierung aus, zu dem Fall Stellung zu beziehen. Ankara bat um sechs Wochen Aufschub. Das Gericht gewährte drei Wochen. Die Urteile des EGMR sind für die Mitglieder des Europarats, zu dem die Türkei gehört, bindend.

Luthers Freiheitsv­erständnis entbindet vom Zwang, sich selbst zu verwirklic­hen, nimmt gar die Angst vor dem Leben und Sterben. Welch ein lebensförd­erlicher Glaube!

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