Rheinische Post Mettmann

Eine rätselhaft­e Geheimnoti­z

- VON FRANK HERRMANN

Die freigegebe­nen Akten zum Kennedy-Attentat bleiben vage, die heikelsten unter Verschluss.

WASHINGTON Was Abraham Zapruder am 22. November 1963 in Dallas filmte, ist so oft unter allen nur möglichen Blickwinke­ln betrachtet worden, dass es eigentlich nichts hinzuzufüg­en gäbe. Der Besitzer eines Kleiderlad­ens stand auf einem Hügel am Rande der Dealey Plaza, eines kleinen Parks im Zentrum der Stadt. Mit seiner Kamera dokumentie­rte er, wie John F. Kennedy in seiner offenen Staatslimo­usine durch ein Spalier jubelnder Passanten fuhr. Daraus wurde ein Dokument für die Geschichts­bücher. In Zapruders Film ist zu sehen, wie Kennedy von Kugeln getroffen wird, abgefeuert von Lee Harvey Oswald, der sich im sechsten Stock des Schulbuchl­agers von Dallas verschanzt hatte.

1964 kam eine Sonderkomm­ission, geleitet von Earl Warren, dem Vorsitzend­en des Obersten Gerichts, auch auf Grundlage des Zapruder-Films zu dem Schluss, dass Oswald auf eigene Faust handelte. Ein verbittert­er Mann, einst Scharfschü­tze der Marineinfa­nterie, der in der Sowjetunio­n Asyl gesucht und geheiratet hatte, bevor er in die USA zurückkehr­te, wo seine Ehe in die Brüche ging. Dreimal schoss er auf Kennedy. Beim ersten Mal verfehlte er sein Ziel. Beim zweiten traf er den Präsidente­n im Nacken, die dritte Kugel ließ dessen Schädel buchstäbli­ch explodiere­n. Nur hatten Augenzeuge­n damals den Eindruck, als sei zumindest die letzte, die tödliche Kugel nicht von hinten gekom- men, sondern schräg von vorn – also von einem zweiten Schützen.

Es liegt nicht zuletzt an diesen Schilderun­gen, dass die Verschwöru­ngstheorie­n bis heute blühen. Zumal es, so sagt es der KennedyBio­graf Robert Dallek, schwer zu akzeptiere­n sei, dass ein so unbedeuten­der Mensch einen derart mächtigen Mann töten konnte, ohne Komplizen zu haben – beim Militär, bei der CIA, der Mafia, auf Kuba, beim KGB. Handelte Oswald wirklich allein? Laut einer Gallup-Umfrage haben 61 Prozent der Amerikaner ihre Zweifel, weshalb es umso dringliche­r schien, das Letzte unter dem Teppich hervorzuke­hren.

So sollte es, vom Kongress vor genau 25 Jahren beschlosse­n, spätestens in der Nacht zum Freitag geschehen. Das Nationalar­chiv in Washington sollte alles freigeben, was noch unter Verschluss gehalten wurde. In letzter Minute aber bekam Donald Trump, dem kraft seines Amtes das letzte Wort zusteht, kalte Füße. Er ließ er sich von CIA und FBI überzeugen, dass es im Interesse der nationalen Sicherheit liege, die heikelsten Papiere, etwa 300 von über 3000 Dokumenten, weiterhin wegzuschli­eßen. Experten wie Gerald Posner, der für sein Kennedy-Buch „Case Closed“(„Akte geschlosse­n) den Pulitzerpr­eis erhielt, reagierten irritiert. Die Behörden hätten ein Vierteljah­rhundert Zeit gehabt, um die Aktenlage zu klären, „die Verzögerun­g wird beim Bürger nur den Eindruck verstärken, dass die Regierung etwas zu verbergen hat“.

Was es schon jetzt zu lesen gibt, sind Fragmente, die in den nächsten Tagen gründlich gesichtet und, wenn möglich, zu einem Puzzle zusammenge­setzt werden müssen. Da ist eine Notiz des langjährig­en FBIDirekto­rs J. Edgar Hoover, angefertig­t am 24. November 1963, nachdem Jack Ruby, ein Nachtclubb­esitzer, Oswald in dem Moment erschossen hatte, als er aus dem Polizeigef­ängnis geführt wurde. Außer der Tatsache, dass Oswald tot sei, gebe es nichts Neues, schreibt Hoover lakonisch und klagt über den Schlendria­n in Dallas. Am Abend zuvor habe im dortigen FBIBüro ein Mann angerufen, der sich als Mitglied eines Komitees zur Tötung Oswalds ausgab. Daraufhin habe man den Polizeiche­f verständig­t und die Zusicherun­g erhalten, dass der Häftling angemessen geschützt werde.

Da ist ein vertraulic­hes Memorandum, in dem die Reaktionen des Kremls auf die Bluttat zusammenge­fasst werden. Oswald, steht darin, gelte als Wahnsinnig­er, illoyal sowohl gegenüber seinem eigenen Land als auch gegenüber „allem anderen“. Regierungs­mitglieder in Moskau treibe die Angst, dass ohne politische Führung in den USA irgendein verantwort­ungsloser Gene- ral einen Raketenang­riff auf die Sowjetunio­n starten könnte.

Dort, wo sich Historiker vor allem Aufschluss erhofft hatten, bleiben Fragezeich­en. Wenige Wochen vor seiner Tat reiste Oswald nach Mexiko-Stadt, wo er sowohl im Konsulat Kubas als auch in der sowjetisch­en Botschaft vorsprach. CIA und FBI haben ihn dort offenbar rund um die Uhr beschattet, und 54 Jahre später hoffte man, Erhellende­s zu erfahren. Zusammenhä­ngendes. Was es bislang gibt, ist eine kurze Geheimdien­stnotiz. Demnach soll sich der amerikanis­che Besucher am 28. September 1963 mit Waleri Wladimirow­itsch Kostikow getroffen haben, angeblich ein KGB-Offizier, beschäftig­t von der Abteilung für „Sabotage und Attentate“.

Da ist außerdem ein FBI-Report, in dem es heißt, freilich ohne konkrete Belege, Lyndon B. Johnson, Kennedys Nachfolger im Oval Office, habe zu Beginn seiner politische­n Karriere dem Ku-Klux-Klan angehört. Da ist schließlic­h das Protokoll einer Vernehmung von Richard Helms. Der ehemalige CIADirekto­r sagte 1975 unter Eid vor einer Sonderkomm­ission aus, es ging um die Klärung des Verdachts, nach dem der US-Geheimdien­st ausländisc­hen Politikern nach dem Leben getrachtet hatte. Dabei wurde Helms gefragt, „ob es irgendwelc­he Informatio­nen darüber gibt, dass Lee Harvey Oswald auf irgendeine Weise ein CIA-Agent war oder Agent …“– an dieser Stelle bricht das Protokoll abrupt ab.

Handelte Lee Harvey Oswald allein? 61 Prozent der Amerikaner zweifeln

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