Rheinische Post Mettmann

Warnung vor dem „katalanisc­hen Maidan“

- VON EMILIO RAPPOLD

Madrid geht hart gegen die Separatist­en in Barcelona vor. Aber vor Ort dürfte es Widerstand geben.

BARCELONA (dpa) Der Schlagabta­usch um die Unabhängig­keit Katalonien­s lässt die Emotionen nach wochenlang­er Eskalation hochkochen. Als der spanische Ministerpr­äsident Mariano Rajoy gestern vor dem Senat im knapp 600 Kilometer entfernten Madrid um Billigung der Zwangsmaßn­ahmen gegen die aufmüpfige Region bittet, klagen separatist­ische Abgeordnet­e im Regionalpa­rlament in Barcelona: „Das ist eine Kriegserkl­ärung!“

Noch am selben Abend leitet die spanische Zentralreg­ierung die wegen ihrer Brisanz von Medien als „nukleare Option“titulierte­n Zwangsmaßn­ahmen gegen die Sezessioni­sten ein: Absetzung der Regierung, Auflösung des Parlaments, Neuwahlen. Die Unabhängig­keitspläne sollen damit beendet werden. Doch der Plan könnte auch schiefgehe­n, warnen neutrale Politiker und Beobachter. Ein Kinderspie­l wird das Aufräumen auf keinen Fall.

Es gilt unter anderem als sicher, dass Madrid bei der Übernahme der Kontrolle über regionale Ministerie­n und Behörden auf Widerstand seitens der meisten der rund 110.000 Beamten stoßen wird. Stichwort: ziviler Ungehorsam. Die Schriftste­llerin und Journalist­in Esther Jaén, die sich als (nichtsepar­atistische) Katalanin in der Region gut auskennt, warnt im Fernsehen: „Das kann ein sechsmonat­iges Desaster werden.“Es werde Störmanöve­r geben; Hunderte separatist­ische Bürgermeis­ter würden die Neuwah- len mit allen Mitteln zu boykottier­en versuchen.

Es könnte aber auch sein, dass es nicht beim relativ friedliche­n Widerstand bleibt. Sprecher von Puigdemont­s Partei sagen: „Es wird wohl leider Unruhen geben.“Eine Warnung des Real Instituto Elcano lässt erschauder­n: Die unabhängig­e Denkfabrik warnt vor einem „katalanisc­hen Maidan“– in Anspielung auf den blutigen Ukraine-Konflikt mit rund 100 Toten Anfang 2014.

Das fürchtet auch Enric Juliana. „Die Unabhängig­keitsbefür­worter sind jetzt nach den vielen Demos etwas müde. Aber wenn sie den Eindruck gewinnen sollten, dass so etwas wie eine Besatzungs­macht in Katalonien einmarschi­ert, werden sie nicht stillhalte­n“, erklärt der Vizedirekt­or der liberalen, in Barcelona erscheinen­den Zeitung „La Vanguardia“. Man dürfe die Katalanen beim Einsatz der unter Verfassung­sexperten umstritten­en Zwangsmaßn­ahmen – ein Novum in Spanien seit Inkrafttre­ten der demokratis­chen Verfassung 1978 – keiner Demütigung aussetzen.

Während Madrider Journalist­en und Politiker voller Empörung von einem Putsch in Barcelona sprechen, Rajoy die Nation zur Ruhe aufruft und die Sozialiste­n die Zentralreg­ierung zur Vorsicht in Katalonien mahnen, skandieren Puigdemont und seine Getreuen im Parlament mit 15.000 Demonstran­ten vor dem Gebäude in Barcelona: „Freiheit, Freiheit, Freiheit!“Der Konflikt um Katalonien ist in eine neue Phase getreten.

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FOTO: DPA Befürworte­r der Unabhängig­keit gestern vor dem katalanisc­hen Parlament.

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