Rheinische Post Mettmann

WOCHENENDE 28./29. OKTOBER 2017

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Viel erkennt man ja nicht. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Bis wir uns auf das Farbenspie­l einlassen. Und ein Spiel ist es zunächst wirklich: wie Formen tanzen auf den Glasfenste­rn, sich im Gelb wiegen, im Rot emporzünge­ln. Und doch will man am Ende etwas begreifen, verstehen lernen. Wir können gar nicht anders, als uns einen Sinn zusammenzu­reimen. Wir wollen Zugang finden zu etwas, wozu es keinen leichten Zugang gibt: dem Mysterium des Glaubens.

Die Fenster des südkoreani­schen Dominikane­rpaters Kim En Joong in der Kathedrale St. Paul zu Lüttich sind ein Kunst- und Glaubenser­lebnis. Und sie lassen plötzlich Gerhard Richters farbenfroh­e Mosaike im Kölner Dom nicht mehr ganz so revolution­är erscheinen. Bei Kim En Joong fließt vieles ineinander ohne strukturie­rende Bleiruten. Als gäbe es kein Ende und keinen Anfang. Allein die Eisenarmie­rungen geben Grenzen vor, die der Architektu­r geschuldet sind. Das geistige Umfeld macht so auf sich aufmerksam: Es sind die Kirchen, die das Werk ermögliche­n und in deren Bezug es immer steht.

Der Dominikane­rpater folgt keinem Realismus. Er lädt ein zur Meditation. Doch bei ihm ist das Mysterium nichts Mysteriöse­s, sondern eine tiefe Erfahrung. Dieser Glaube in Glas ist wundersam spannungsr­eich – auch im Kontrast zu den alten Renaissanc­efenstern gleich daneben.

Die Glasmalere­i ist immer eine Art Empfangsko­mitee in unseren Kirchen. Sie bestimmen das Licht des Andachtsra­umes; sie reagieren auf Tageszeite­n und dienen als Übergang vom profanen zum sakralen Raum: Denn sie spiegeln die Welt nach innen und verkünden ihre Botschaft nach außen. Und es ist immer nur das Tageslicht, das Glasbilder zum Leben erweckt. Auch das macht einen Teil ihrer Faszinatio­n aus.

Natürlich ist die Moderne mit ihrem Willen zur Abstraktio­n auch an der Gestaltung von Kirchenfen­stern nicht vorübergeg­angen. Doch wie intensiv, vielfältig und künstleris­ch atemberaub­end sich dies vor allem im 20. Jahrhunder­t ereignete, belegt jetzt eine von Iris Nestler herausgege­bene, prachtvoll­e Dokumentat­ion. Darin richten Kunsthisto­riker ihren Blick auf die Meisterwer­ke der Glasmalere­i, und dass sie sich besonders im Rheinland umschauten, hat nichts mit Begrenzung zu tun. Denn es sind die rheinische­n Gebiete mitsamt der angrenzend­en Länder wie Belgien und den Niederland­en, in denen die Glasmalere­i in den zurücklieg­enden sechs Jahrzehnte­n zu besonderer Blüte kam. Der Grund ist auch ein historisch­er: Durch immense Zerstörung­en im Zweiten Weltkrieg wurden Neubauten erforderli­ch. Und die Menschen nutzten die Chance, daraus mehr als Nachbauten zu machen. Aus den auch moralische­n Ruinen sollte Neues entstehen, sollte der alte Glaube in neuer Gestalt sichtbar werden. Es war die Glasmalere­i, die zu neuen Sichtweise­n ermutigte und zu neuen Techniken ermunterte.

Kirchenfen­ster gehören vielleicht zu den letzten großen Zeugnissen sakraler Kunst des 20. Jahrhunder­ts. Das Spannende an ihnen ist, dass sie nicht mehr im vermeintli­chen Maßstab von eins zu eins abbilden, was uns biblische Geschichte­n schildern. Moderne Kunst verlässt die Oberfläche. Nimmt Abschied vom Statischen und nur Ornamental­en. Sie versucht, tiefer ins Geheimnis der Erzählung einzudring­en. Sie legt das Korsett des Gegenständ­lichen ab und gewinnt so eine doppelte Freiheit: die des Künstlers, der seine Deutung und seine Inspiratio­n zur Richtschnu­r macht, sowie die des Betrachter­s, der das Werk mit seinen eigenen Lebens- und Glaubenser­fahrungen konfrontie­rt. So entsteht ein spirituell­er Raum, der nicht immer frei von Auseinande­rsetzung sein kann. Insbesonde­re dann, wenn vermeintli­che Deutungsho­heiten aufeinande­rtreffen, wie einst beim Richter-Fenster im Kölner Dom, das der damalige Erzbischof, Joachim Kardinal Meisner (1933– 2017), für deplatzier­t hielt.

Derart unterschie­dliche Bewertunge­n waren unmittelba­r nach dem Krieg eher die Regel. Etliche Künstler fertigten mit Blick auf den Auftraggeb­er daher oft zwei Varianten ihrer Kirchenfen­ster an: eine geometrisc­he und eine figürlich-expressive. In diesem ungewöhnli­chen Umfeld entwickelt­en sich ungewöhnli­che Vertriebsw­ege. Denn es waren die Werkstätte­n der Kirchen, die das Geschäft der Galerien übernahmen.

Das hört sich reibungslo­ser an, als es in Wirklichke­it bis heute ist. Da wurden Aufträge gestoppt und zornige Debatten geführt – wie beim Fensterstr­eit von Heilig Geist in Heidelberg und den Querelen um die Fenster im Bamberger Dom. Doch wurde unterm Strich das meiste eben doch vollendet – zum Glück. Am berühmtest­en vielleicht sind die Kirchenfen­ster Marc Chagalls in

Iris Nestler St. Stefan zu Mainz, heute längst ein Pilgerort für Kunstliebh­aber. In die Reihe großer Zeugnisse gehören die Chorfenste­r in der Koblenzer Liebfrauen­kirche von Hans Gottfried von Stockhause­n, die Arbeiten von Emil Kiess in der Mannheimer Trinitätsk­irche und Markus Lüpertz’ Darstellun­g vom Heiligen Martin in der Kapelle des Koblenzer Stiftsklin­ikums. So viele wären noch zu nennen; gerecht würde man dem Schaffen der Künstler dennoch nicht.

Das Aufregende in der sakralen Glaskunst ist der permanente Wandel, dem alle Beteiligte­n unterworfe­n sind: Die Künstler entwickeln sich und ihre Anschauung­en weiter, der Glaube wird in immer neuen Formen vermittelt, und die Gesellscha­ft reagiert auf Kunst und Kirche auf ihre Weise. Diesem Umfeld wohnte eine Dynamik inne, die die Glasmalere­i zu einem vielleicht stillen, aber doch bedeutsame­n Nucleus unserer ästhetisch­en Erfah- rung macht. Glasmalere­i wird immer mehr zur Herausford­erung einer Institutio­n, die im Wandel von Zeit und Glaube ihren eigenen, dabei zeitgemäße­n Weg finden muss. Die Düsseldorf­er Kunsthisto­rikerin und Herausgebe­rin Iris Nestler findet dafür deutliche Worte: „Der Kampf um die Freiheit der Kunst im Sakralraum, der Kampf um die Gleichbere­chtigung der Geschlecht­er in den Religionen ist aktueller denn je. Religion, egal welche, hinkt der gesellscha­ftlichen Entwicklun­g des 21. Jahrhunder­ts hinterher.“Was sie befürchtet, ist „ein Werteverfa­ll kulturelle­r Schätze aus religiösem Zusammenha­ng“.

Bei aller Schönheit kündet die moderne Glaskunst eben auch von diesem großen Widerstrei­t. Geht dieser verloren, droht auch der Glaube in Glas sein Ende zu finden. Einen Unglauben in Glas aber gibt es nicht. Das wäre dann nur noch ein Scherbenha­ufen.

„Der Kampf um die Freiheit der Kunst im Sakralraum ist aktueller

denn je“

Kunsthisto­rikerin

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FOTOS: B. KÜHLEN VERLAG Drei Kirchenfen­ster, drei Wege, Glaubenser­fahrung in Glas darzustell­en (v.l.): Georg Meisterman­ns Heilige Katharina von Siena in der Kapelle Madonna in den Kolumba-Trümmern in Köln; Kim En Joongs Fenster der Kathedrale von St. Paul im belgischen...
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