Rheinische Post Mettmann

Viel Lärm um viel

- VON RAINER KURLEMANN

Als Tourist erfreut man sich an der Ruhe der Meere. Doch unter der Wasserober­fläche ist es für

empfindsam­e Tiere wie den Schweinswa­l laut. Forscher in Tallinn arbeiten an ihrem Schutz.

TALLINN Aleksander Klausons Büro in der Universitä­t Tallinn liegt ein paar Kilometer von der Küste entfernt. Trotzdem hört der Physiker täglich die Geräusche der Ostsee. Für das europäisch­e Umweltproj­ekt BIAS wertet der 58-Jährige die Informatio­nen von 40 Sonden aus, die drei Jahre lang ein paar Meter unter dem Meeresspie­gel im Wasser gelauscht haben. „Unterwasse­rakustik ist komplizier­t“, erklärt Klauson, „man kann nicht sofort hören, was die Ursache des Geräusches ist.“

Deshalb haben die estnischen Forscher ein Computermo­dell entwickelt, das die Geräuschku­lisse in ihre Quellen aufteilt: Es erkennt Regen, Wind oder Tiere, aber auch Schiffe und Bauarbeite­n. So entstand aus der Kooperatio­n von Wissenscha­ftlern aus sechs Nationen ein Lärmatlas der Ostsee. Das Projekt besitzt Vorbildcha­rakter. Im Januar startet das EU-Projekt „Jomopans“. Unter Führung der niederländ­ischen Forschungs­institutio­n „Rijkswater­straat“soll dann die Lärmbelast­ung für Fische und andere Bewohner der Nordsee ermittelt werden.

Die möglichen Auswirkung­en des vom Menschen erzeugten Unterwasse­rlärms auf die empfindlic­he Meeresfaun­a ist ein wichtiges Forschungs­thema geworden. „Wir sind sicher, dass der Lärm durch Schiffe und Bauarbeite­n manche Fischarten beeinträch­tigt“, sagt Klauson. So liegt beispielsw­eise der Frequenzbe­reich eines typischen Schiffsger­äuschs in der Region, die Tiere für ihre Kommunikat­ion verwenden. Robben, Seelöwen, Zahnwale und Schweinswa­le, und auch der Kabeljau reagieren auf Schiffslär­m.

Aber die Empfindlic­hkeit der Meeresbewo­hner gegenüber Geräuschen sei sehr unterschie­dlich, sagt der Wissenscha­ftler. Immerhin wissen die Forscher, dass manche Tiere ihren Lebensraum verlassen, wenn es ihnen zu laut wird. Die Fischer aus der Ostsee nutzen diesen Effekt schon lange. Sie vertreiben Robben mit Schallwell­en, damit diese nicht den Fang in ihren Netzen fressen. „Hier wartet noch viel Arbeit“, sagt Klauson.

Fraglich ist, ob die Meeresbewo­hner sich an den Krach gewöhnen können oder sich möglicherw­eise sogar anpassen. Und ob es eine Obergrenze gibt, bis zu der die Tiere die menschenge­machte Geräuschku­lisse noch tolerieren. Vielleicht wird es auf dem Meer bald auch Lärmschutz­regelungen geben, wie wir sie etwa von Autobahnen ken- nen. Einige skandinavi­sche Länder haben an den Küsten vor empfindlic­hen Öko-Systemen bereits Sonderrege­lungen für den Schiffsver­kehr erlassen.

Das deutsche Bundesamt für Naturschut­z hat die Entwicklun­g ent- sprechende­r nationaler und internatio­naler Grenzwerte für Unterwasse­rlärm bereits als Herausford­erung für den Meeresnatu­rschutz formuliert. Ein Schallschu­tzkonzept für den Bau von Offshore-Windkrafta­nlagen in der Nordsee gibt es bereits. Denkbar, dass Fahrverbot­e wegen zu hoher Unterwasse­rlärmbelas­tung folgen.

Mancher Tourist mag sich am Strand oder auf einem Boot an der Stille des Meeres erfreuen. Doch unterhalb der Wasserober­fläche kann es ganz anders sein. Wasser kann Geräusche über weite Strecken transporti­eren. Jedes Schiff ist kilometerw­eit zu hören. „Die Verbreitun­g des Schalls wird stark von der Struktur und der Art des Meeresbode­ns beeinfluss­t“, sagt Aleksander Klauson, „wie schnell die Töne übertragen werden, hängt unter anderem vom Salzgehalt, von der Wassertemp­eratur und von der Tiefe ab.“Wenn es kalt ist, bleibt das Geräusch länger in oberfläche­nnahen Schichten.

Die marine Geräuschku­lisse ist ein komplizier­tes Wechselspi­el vieler Faktoren. Fische, Robben und Wale müssen mit diesem Lärmpegel leben. Manchmal können sie in ruhigere Gewässer ausweichen, aber nicht immer. Viele Naturschüt­zer behaupten, dass Wale immer wieder an Land stranden, weil ihr Navigation­ssystem von Unterwasse­rlärm gestört wurde. Bewiesen ist diese Vermutung bisher nicht, aber auch das könnte in den nächsten Jahren ein Thema für das Jomopans-Projekt werden.

Britische und niederländ­ische Meeresfors­cher haben die Lärmbelast­ung einzelner Regionen der Nordsee bereits untersucht. Für ein komplettes Bild reichen die Messungen aber nicht aus. In der Ostsee können die Schallfors­cher dank der Computerhi­lfe die Geräusche bis in Feinheiten zurückverf­olgen. Sie wissen, welchen Einfluss der Regen oder starker Wind auf das Schallgesc­hehen hat. Für starke Ausschläge innerhalb der Messwerte sorgen auch Bauarbeite­n, wenn gewaltige Maschinen Fundamente in den Meeresbode­n rammen.

Die Hauptquell­e des Lärms sind die großen Frachter, Fähren und Kreuzfahrt­schiffe. „Auch ohne Hintergrun­dwissen erkennt man auf unseren Lärmkarten sofort den Verlauf der wichtigste­n Schifffahr­tslinien“, sagt Klauson. Die Ostsee zählt mit täglich 2000 Schiffen zu den am meisten befahrenen Gewässern Europas. Die Tallinner Forscher haben das Schallgesc­hehen mit der Position der Boote abgegliche­n, die sich aus den Daten des Automatisc­hen Identifika­tionssyste­ms für Schiffe ergeben. „So konnten wir den Unterwasse­r-Sound quasi personalis­ieren“, erklärt der Physiker. Am lautesten seien große, alte Schiffe, die möglicherw­eise mit leicht beschädigt­er Schiffssch­raube fahren.

Klauson ist sicher, dass technische Lösungen die Geräuschbe­lastung der Meere deutlich senken könnten. Es gibt sie bereits, aber sie setzen sich im Schiffsbau nur selten durch. „Wir haben gemessen, dass militärisc­h genutzte Schiffe sehr viel leiser sind als zivile“, berichtet Forscher Klauson über Details seiner Messungen.

Auch die Internatio­nale Marine Organisati­on hat Ingenieure aufgerufen, besonders leise Antriebe zu bauen. Vielleicht sei der Anreiz dazu noch nicht groß genug. Doch obwohl die Marine mit leisen Schiffen unterwegs ist, trägt sie gerade in der Ostsee zur Lärmbelast­ung bei. Regelmäßig messen die Forscher die Schallsign­ale, mit denen schwedisch­e Militärs und die Nato nach russischen U-Booten auf Patrouille­nfahrt suchen, die sich der Küste nähern.

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FOTO: DPA Schweinswa­le sind besonders lärmempfin­dlich.
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QUELLE: BIAS | GRAFIK: BIAS, RP
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