Rheinische Post Mettmann

Jetzt tanzen Hexen auf dem Basteltisc­h

- VON DIRK NEUBAUER RP-FOTO: DIETRICH JANICKI

Mit buntem Karton und etwas Kleber schufen Kindergart­enkinder am Zeittunnel eine fröhliche Hexenschar. Bis ins 18. Jahrhunder­t hinein verfolgten jedoch auch Wülfrather kräuterkun­dige Frauen. Sie kamen in den Düsseldorf­er Kerker.

WÜLFRATH Eine Handbreit groß, mit Spitzhut und verschmitz­tem Blick; manche Kinder haben ihr auch Pausbäckch­en gemalt: Als nach anderthalb Stunden mehr als ein halbes Dutzend Hexen auf dem Basteltisc­h tanzen, kann verglichen werden. Merle hat ein besonders düsteres Exemplar gebastelt: alles in schwarz. Und beinahe unheimlich. Dafür war sie als erste fertig und hat dann eine knallbunte Zauberschw­ester nachgelegt. Insgesamt strahlen zehn Kinder und sechs Erwachsene: Am Zeittunnel waren am Donnerstag die Hexen los.

„Aber das ist eine freundlich­e Hexe“, sagt Mathilda, 4, sehr bestimmt. Sie ist mit Kindergart­enfreund Jakob, 5, und dessen Papa, Tobias Bauer zum Basteln an den Zeittunnel gekommen. Freundlich­e Hexen kennen sie aus Kinderbüch­ern.

„Bibi Blocksberg“beispielsw­eise oder „Die kleine Hexe“, die der Vorlage von Martina Mindermann ziemlich ähnlich sieht. Wie immer hat die gute Seele der Bastelnach­mittage zunächst einmal selbst ausprobier­t, ob sich die kleine Hexe aus buntem Bastelkart­on denn auch problemlos zusammenfü­gt. Für die Einzelteil­e schnitt Martina Mindermann Schablonen aus. Wolle für die Haare, Buntstifte für die Gesichtszü­ge, Bastelkleb­er - alles da.

Was sich die fröhlich schnattern­de, mit gerollter Zunge im Mundwinkel bastelnde Schar am Zeittunnel kaum vorstellen kann: Auch in Wülfrath wurden Frauen als Hexen auf Leben und Tod verfolgt. Das ging so bis ins 18. Jahrhunder­t hinein - es bräuchte also nicht einmal einen langen Zeittunnel, um zu diesem düstren Kapitel der Stadtgesch­ichte zu gelangen.

Begonnen hatte die Sache mit den Hexen schon im Mittelalte­r, sagt der Heimatschr­iftsteller Olaf Link aus Solingen. Er hat ein ganzes Buch über die Hexengesch­ichten aus der Nachbarsch­aft geschriebe­n: „Meist gerieten kräuterkun­dige Frauen oder solche, die sich mit Fruchtbark­eit, Schwangers­chaft und Verhütung auskannten, in den Blickwinke­l des Mobs.“Es war eine zweischnei­dige Sache. Wenn die Kuh plötzlich keine Milch mehr gab oder das Getreide einfach nicht wachsen wollte, dann waren vermeintli­che Zaubersprü­che und Kräutergab­en durchaus willkommen. Anderersei­ts aber war rasch alles, was sich nicht erklären ließ, dem Wirken der Hexen zugeschrie­ben. „Zu Beginn nahm die Kirche die oftmals allein lebenden Frauen vor Verfolgung und Folter in Schutz“, sagt Olaf Link. Das änderte sich mit der Reformatio­n: Als die katholisch­e Kirche ihre Alleinstel­lung als Weltendeut­erin verlor, waren Hexenhamme­r, Bann-Bulle und Inquisitio­n willkommen­e Mittel, klerikale Macht auszuüben und den Gläubigen grausam vorzuführe­n, was mit Ketzerinne­n geschieht. In Wülfrath, so Olaf Link, hatten sie für mutmaßlich­e Hexen die Höchststra­fe: Die Beschuldig­ten kamen in den Karzer nach Düsseldorf. Von dort kehrten nur die wenigsten zurück.

Von den am Donnerstag am Zeittunnel Bastelnden sind solche Vorfälle aus Wülfrather Vorzeit weit entfernt. Die größte Herausford­erung am Basteltisc­h war, den Laib der Hexe bündig aufzurolle­n und mit zwei Streifen Tesafilm zu befestigen. So hat die aufgeklärt­e Moderne den Aberglaube­n von einst besiegt; drei Mal auf Holz klopfen.

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Beim Ferienprog­ramm im Zeittunnel bastelte Jakob (5) zusammen mit Schwester Mathilda (4) und Papa Tobias Bauer eine Hexe aus Tonpapier.

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