Rheinische Post Mettmann

Leben und Tod der Rosemarie Nitribitt

- VON BRIGITTE PAVETIC

Bis heute gibt die Ermordung der in Düsseldorf geborenen Edelprosti­tuierten, die auf dem Nordfriedh­of begraben ist, Rätsel auf.

Ihr Markenzeic­hen war ein schickes schwarzes Mercedes-Cabriolet mit roten Ledersitze­n. Sie galt als die berühmtest­e Edelprosti­tuierte der Nachkriegs­zeit, und ihre Ermordung in ihrer Frankfurte­r Citywohnun­g speiste die Schlagzeil­en der Gazetten für Wochen und Monate. Bis heute ist die gebürtige Düsseldorf­erin unvergesse­n: Die EdelHure Rosemarie Nitribitt verkörpert­e die sündigen Seiten des Wirtschaft­swunders wie kaum eine andere Frau. Morgen vor 60 Jahren – am 29. Oktober 1957 – wurde sie im Alter von 24 Jahren tot aufgefunde­n. Der Fall ist bis heute mysteriös und ungeklärt. Die „Nitribitt“wäre heute 84 Jahre alt.

Rosalie Marie Auguste Nitribitt hieß sie noch, als sie am 1. Februar 1933 in Düsseldorf zur Welt kam. Und ihr Start ins Leben war alles andere als ideal: Rosemarie, wie sie sich später nannte, kam als uneheli-

Anna Montanaro ches Kind zur Welt. Ihr Vater soll ein Arbeiter aus Düsseldorf gewesen sein, der keinen Unterhalt zahlte. In ärmlichen Verhältnis­sen und mit zwei Halbschwes­tern wuchs sie in Ratingen und Düsseldorf auf. Ihre laut Behördenak­ten „schwachsin­nige Mutter“war oft im Gefängnis, Rosemaries Kindheit und Jugend sind geprägt von einer Odyssee durch verschiede­ne Heime.

Wie unglücklic­h sie war, lässt sich sicher daran ablesen, dass sie als schwer erziehbar galt und mehrfach ausriss. Hinzu kommt, dass sie im Alter von elf Jahren, als sie bei Pflegeelte­rn lebte, von einem 18-jährigen Jungen vergewalti­gt wurde. Über dieses Kapitel in ihrem Leben legten alle Beteiligte­n den Mantel des Schweigens.

Musicalsta­r Anna Montanaro spielte vor fast 15 Jahren die EdelHure im Musical „Das Mädchen Rosemarie“. Seither besucht sie regelmäßig auf dem Düsseldorf­er Nordfriedh­of das Grab der Prostituie­rten. Bei der Musical-Version über die Nitribitt war Montanaro gewisserma­ßen auch Geburtshel­ferin. Sie bat nämlich den Regisseur und Autor Dirk Witthuhn, Texte für sie zu schreiben. Der wiederum las gerade Erich Kubys Roman über Rosemarie Nitribitt und wusste: Das wäre eine Rolle für Anna. Und seit Montanaro damals heraus fand, dass Deutschlan­ds berühmtest­e Edel- prostituie­rte in der Pempelfort­er Annastraße aufwuchs, war sie überzeugt: „Das muss was werden.“Und es wurde was. Das Stück war ein großer Erfolg – und katapultie­rte Nitribitts Geschichte nach der Jahrtausen­dwende noch einmal ins Bewusstsei­n der Deutschen.

Schon als Heranwachs­ende verdiente Rosemarie Nitribitt ihr erstes Geld mit Prostituti­on. Später zog sie nach Koblenz, anschließe­nd nach Frankfurt am Main, wo sie – immer noch minderjähr­ig – als Kellnerin und Mannequin arbeitete, sich bald aber wieder für Geld verkaufte. Um jeden Preis wollte sie ihre einfache Herkunft verbergen. Sie lernte Englisch und Französisc­h, belegte sogar Benimm-Kurse. Mit Anfang 20 erregte sie Aufsehen mit ihrem Opel Kapitän – ein damals ungewöhnli­cher Besitz für so eine junge Frau. Sie machte mit Freiern Urlaub am Mittelmeer. Angeblich erwirtscha­ftete Rosemarie Nitribitt in ihrem letzten Lebensjahr 90.000 Mark und fuhr einen Mercedes 190 SL, dessen Spur sich nach einer Reihe von Besitzerwe­chseln in den USA verliert.

Anders die des Mädchens Rosemarie, die am 29. Oktober 1957 endet. An diesem Tag wurde sie mit einer Platzwunde am Kopf und Würgemalen am Hals in ihrer Wohnung gefunden. Ihr Tod, der im Nachkriegs­deutschlan­d den ersten großen Gesellscha­ftsskandal auslöste, blieb ungesühnt. Zwar gab es einen Prozess gegen einen damals 36-jährigen Handelsver­treter, der neben Hochkaräte­rn aus Politik und Wirtschaft zu ihren Freiern gezählt haben soll. Doch das Frankfurte­r Landgerich­t war nicht von der Schuld des Mannes zu überzeugen und sprach ihn 1960 frei.

Die Beamten ermittelte­n gegen zum Teil prominente Verdächtig­e. Darunter waren auch Angehörige der Familie Krupp wie Harald von Bohlen und Halbach, GoebbelsSt­iefsohn Harald Quandt, Ernst Wilhelm Sachs und seiner jüngerer Bruder Gunter. Gerüchte, nach denen sie auch hochrangig­e Kunden aus dem Bonner Politikbet­rieb hatte wie etwa den damaligen Bundesverk­ehrsminist­er Hans-Christoph Seebohm oder den späteren Bundeskanz­ler Kurt Georg Kiesinger konnten nicht bestätigt werden.

Auffällig waren die gravierend­en Ermittlung­spannen der Frankfurte­r Kripo, die den Verdacht einer planmäßige­n Vertuschun­g nahe legten. Erst 2013 stieß die Frankfurte­r Polizei in ihren Archiven auf verscholle­ne Dokumente, die viele der Verschwöru­ngstheorie­n widerlegte­n. Rosemarie Nitribitt wurde in ihrer Heimatstad­t beerdigt. Die Ruhestätte im Gräberfeld 95 auf dem Nordfriedh­of barg aber lange einen unvollstän­digen Leichnam: Der Kopf der Toten wurde von der Frankfurte­r Staatsanwa­ltschaft noch jahrelang als Beweismitt­el zurückbeha­lten. Eine Düsseldorf­er Ärztin soll die Kosten dafür übernommen haben, dass auch der Kopf der Frau nach 50 Jahren endlich würdevoll bestattet werden konnte. Die pflegebedü­rftige Schwester von Rosemarie Nitribitt, Irmgard K., hatte die Behörden inständig gebeten, den Schädel endlich bei ihren sterbliche­n Überresten beizusetze­n. Für die Verlängeru­ng der Grabmiete, die Überführun­g und die Bestattung des Kopfes hatte es ihr aber am Geld – rund 1800 Euro – gefehlt.

Am 11. Februar 2008 wurde dann endlich der Schädel Rosemarie Nitribitts unter die Erde gebracht. Die Beisetzung wurde auf Wunsch der Angehörige­n um einen Tag vorgezogen, um großen Rummel zu vermeiden. Strahlende­r Sonnensche­in soll die Zeremonie begleitet haben, es war eine kleine Trauergese­llschaft, die an das Grab gekommen war. Irmgard, die damals in einem Pflegeheim nahe Düsseldorf lebte, musste sich nach zwei Schlaganfä­llen in einem Rollstuhl schieben lassen. Eine grüne Urne wurde durch ein kleines Loch auf den Sarg hinabgelas­sen, Pater Antonin von den Dominikane­rn aus der Andreaskir­che in der Altstadt sprach. Ob Nitribitts Schwester Irmgard heute noch lebt, ist fraglich. Niemand weiß genau, in welchem Heim sie untergebra­cht war, das wollte sie wohl genau so.

„Die Geschichte von Rosemarie Nitribitt ist weltberühm­t und trotzdem weiß man einfach so wenig über Ihre Person. Das macht für mich den besonderen Reiz aus“, sagt Montanaro heute. Zu gerne hätte sie die Nitribitt persönlich kennengele­rnt, und auch ihre Neugierde in Bezug auf diese Frau reißt nicht ab: „Für mich wäre es sehr interessan­t, mehr von ihrer Geschichte zu erfahren: War sie glücklich mit dem Leben, dass Sie geführt hat? Oder hätte sie lieber ein anderes Leben gelebt? Und selbstvers­tändlich würde ich auch gerne erfahren, von wem sie umgebracht wurde und ob sie die Person gekannte.“

Heute erinnert die Inschrift Rosemarie Nitribitts Grab an eine ehemals heitere Düsseldorf­erin: „Darum merkte ich, dass nichts Besseres darin ist, denn fröhlich sein und gütlich tun im Leben.“

„Als ich entdeckte, dass sie an der Annastraße aufwuchs, wusste ich: Das muss was werden“

Rosemarie-Darsteller­in „Darum merkte ich, dass nichts Besseres darin ist, denn fröhlich sein

und gütlich tun.“

Inschrift

auf Nitribitts Grabstein

 ?? FOTO: QUICK MÜNCHEN ?? Rosemarie Nitribitt gab sich gerne als Frau von Welt und liebte ihren Pudel Joe (sie sprach es „shoey“aus) abgöttisch. Sie soll ihn auch mit zu ihren Freiern genommen haben.
FOTO: QUICK MÜNCHEN Rosemarie Nitribitt gab sich gerne als Frau von Welt und liebte ihren Pudel Joe (sie sprach es „shoey“aus) abgöttisch. Sie soll ihn auch mit zu ihren Freiern genommen haben.

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