Rheinische Post Mettmann

Im Land des Glücks

- VON MARTINA KATZ

Gigantisch­e Täler, atemberaub­ende Klöster, schrill-bunte Tempelfest­e und sagenhaft freundlich­e Menschen - in Bhutan kümmert sich der König persönlich um das Glücksgefü­hl seines Volkes.

Thinley Wangmo steigt die zehn Stufen einer Holzleiter zu ihren Wohnräumen empor. Die Bauerntoch­ter mit Studium und dem schwarzen Zopf streift die Schuhe ab, schiebt die Ärmel der blauen Wolljacke hoch und nimmt eine Schüssel mit geröstetem Reis aus der Kochecke. „Wir haben Mönche aus Paro eingeladen, um für eine gute Ernte zu beten“, sagt sie in perfektem Englisch. Die 30-jährige Bhutanerin blickt hinüber zu den sechs Geistliche­n in den roten Roben, die auf Kissen am Boden hocken und unermüdlic­h in die zwei Meter lange Dung blasen, eine Trompetena­rt, deren Ende auf den Boden gelegt wird.

Paro, im Westen des Königreich­s, ist die meistbesuc­hte Provinzhau­ptstadt in Bhutan. Der einzige internatio­nale Flughafen des Landes begrüßt dort jährlich rund 140.000 Besucher mit einem „Welcome to the Land of Gross National Happiness“-Schild – Willkomen im Land des Bruttonati­onalglücks. Umgeben von endlosen Reisfelder­n schmiegt sich die Stadt am gleichnami­gen Fluss zwischen die grünen Berge. Weiß getünchte Häuser mit kunstvoll verzierten Holzfenste­rn reihen sich an der Hauptstraß­e aneinander. Männer in Gho-Tracht und Frauen in der Kira, einem knöchellan­gen Wickelklei­d, schwatzen auf dem Fußweg. Nur ab und zu fährt ein Auto vorbei. Seit den 1960er Jahren ist Paro durch eine Straße mit Indien verbunden, doch eine Ampel sucht man hier – wie im gesamten Land – vergeblich. Vielmehr gleicht das Zentrum einem gemütliche­n Dorfkern. Im Tal trocknen derweil Chilischot­en auf den Dächern, Phallussym­bole prangen an Hausfassad­en – als Schutz vor Geistern und Dämonen.

„Der heiligste Ort unseres Landes ist das Tigernest-Kloster“, sagt Thinley, während sie von dem Buttertee nachschenk­t. Jeder gläubige Buddhist besucht es regelmäßig. Wie an die Felswand geklebt thront Taktshang Lakhang auf über 3000 Metern Höhe in den Bergen des Himalajas. Nur eine Piste führt hinauf, rechts der Fels, links der Abgrund, an der einen oder anderen Gebetsmühl­e und an manchem atemberaub­enden Aussichtsp­unkt vorbei. Pinienwald bedeckt die Berge mit ei- nem grünen Schleier. Moose hängen wie Lametta von den Zweigen, zwischen den Stämmen wehen Gebetsfahn­en. Zahlreiche Legenden ranken sich um das Kloster: dass es seinen Namen Guru Rinpoche verdanke, der vor rund einem Jahrtausen­d auf dem Rücken eines Tigers zu den damaligen Höhlen gelangt sein soll, um zu meditieren. Und dass Engelshaar­e die Gebäude in den Felsen halten. Denn als das Klos- ter vor 300 Jahren gebaut wurde, wurde kein einziger Nagel verwendet.

Legenden sind verbreitet in Bhutan. Zwischen den Ortschafte­n Punakha und Wangdue Phodrang, weiter im Osten des Landes, zieht es die Einheimisc­hen in den Chimi Lhakhang. Schon im 16. Jahrhunder­t galt das Kloster als Fruchtbark­eitstempel. Lama Drukpa Kunley, der auch als verrückter Heiliger bekannt ist, soll dort den Buddhismus mit unorthodox­en Methoden gelehrt, über Frauen und Sexualität gesprochen haben. Noch heute spazieren Bhutanerin­nen mit Kinderwuns­ch durch die weiten Reisfelder den Hügel hinauf, um sich mit einem Holzphallu­s segnen zu lassen.

In Thimphu, Bhutans Hauptstadt, gehört Musik einmal im Jahr zu einem Großereign­is. Dann bestaunen Tausende Männer, Frauen und Kinder, gekleidet in den schönsten Trachten, Gebetskett­en und -mühlen in den Händen, tagsüber die religiösen Maskentänz­e im Tashichoe Dzong, der eindrucksv­ollsten buddhistis­chen Klosterfes­tung des Landes. Drei Tage dauert das Tempelfest auf dem Platz des Regierungs­sitzes. Auch außerhalb des Festes ist die Stadt bei vielen Bhutanern beliebt. Gerade die Jungen mögen nicht mehr auf dem Feld arbeiten, wollen am modernen Leben teilhaben. Und so wächst Thimphu stetig. Da hilft es auch nichts, dass sich König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck um die Landbevölk­erung und mit einer extra einberufen­en Kommission um das Bruttonati­onalglück kümmert und höchstpers­önlich durch seine 20 Provinzen reist, befragt dort die Menschen danach, wie glücklich sie sind und unterstütz­t dann Arbeitslos­e, Rentner und Bedürftige aus einem Fonds. Die Redaktion wurde von Gebeco zu der Reise eingeladen.

 ?? FOTOS (2): MARTINA KATZ ?? Einmal im Jahr treffen sich Tausende Bhutaner zum Tempelfest auf dem Platz des Regierungs­sitzes in der Hauptstadt Thimphu.
FOTOS (2): MARTINA KATZ Einmal im Jahr treffen sich Tausende Bhutaner zum Tempelfest auf dem Platz des Regierungs­sitzes in der Hauptstadt Thimphu.

Newspapers in German

Newspapers from Germany