Rheinische Post Mettmann

Wandern an Asterix‘ Küste

- VON WOLFRAM GOERTZ

Der bretonisch­e Küstenwand­erweg bietet auf 1600 Kilometern viele großartige Momente. Die Allgegenwa­rt des Meeres und seiner Gezeiten sorgt für imposante Naturschau­spiele. Nach den Touren verwöhnt den Wanderer die französisc­he Küche.

Die Gelehrten streiten sich bis heute, wo genau das gallische Widerstand­snest von Asterix, Obelix & Co. zu lokalisier­en ist. Laut lateinisch­er Quellenlag­e befindet es sich an der Küste von Armorica; das kommt aus dem Keltischen und heißt: „vor dem Meer“. Damit ist zweifellos die Küste der Côtes d’Armor der Bretagne gemeint, aber es bieten sich mehrere Orte an, auf die die Beschreibu­ngen in den Asterix-Heften zutreffen. Wer diesen Möglichkei­ten mit geografisc­her Gründlichk­eit und sogar per pedes auf die Fährte gehen will, der kann den bretonisch­en Küstenwand­erweg beschreite­n. Bekannt ist er als der „Zöllnerweg“.

Die Zollbehörd­en hatten ihn während der Französisc­hen Revolution eingericht­et; zahllose Zöllner patrouilli­erten dort Tag und Nacht, um die Küste vor Schmuggler­n und Strandräub­ern zu schützen. Die war wegen ihrer zerklüftet­en Gestalt bestens geeignet, dass Halunken nachts verbotene Geschäfte machten. Unsereiner ist als Bretagne-Tourist natürlich tagsüber unterwegs und kommt aus dem Staunen nicht heraus, wie sich dieser Weg wie ein kolossaler Lindwurm etwa an die legendäre rosa Granitküst­e anschmiegt.

Wer viel Zeit und noch mehr Energie hat, kann in 75 Tagen die 1600 Kilometer vom Mont Saint-Michel (Normandie) bis zum Golf von Morbihan (fast schon bei Nantes an der LoireMündu­ng) absolviere­n. 1600 Kilometer? Ja, kein Druckfehle­r, die bretonisch­e Küste hat etwas Norwegisch­es mit ihren Fjorden und tief ins Land ragenden Flussmündu­ngen.

Jeder Teilabschn­itt hat seinen individuel­len Zauber. Man erlebt Wildheit, sprühende Gischt, die Urgewalt der Natur, malerische Buchten und kleine Fischerdör­fer. Anderswo begegnet man einer fast mediterran­en Gelassenhe­it, die Sonnenanbe­ter einlädt, den Rucksack fallen zu lassen und die Sonne in vollen Zügen zu genießen. Wer je Gerüchte über das launische bretonisch­e Wetter gehört hat: Sie stimmen. Doch gerade an der Küste reißt der Himmel immer wieder auf, und kaum erlebt man eine schönere Harmonie von Mensch und Natur als in den Momenten, da man über schmale Pfade, über Klippen, mitten durchs Gestrüpp, an Herrenhäus­ern, Burgen und Seeräuber-Forts vorbei pilgert und dabei die Sonne im Gesicht oder im Rücken spürt.

Wir sind zwei Teilabschn­itte gegangen: den einen von der Austern-Metropole Cancale bis ins fast mondäne Saint-Malo, der Korsarenst­adt mit der verwinkelt­en Altstadt „Intra muros“, den zweiten hinter dem See- städtchen Dinard bis zum Cap Fréhel, wobei man das majestätis­che Fort la Latte sieht, auf dem mehrfach die Geschichte von Tristan und Isolde verfilmt wurde. Man braucht festes, rutschsich­eres Schuhwerk und sollte lange Hosen tragen. Schwindelf­rei muss man allerdings nur an wenigen Stellen sein; die Wege sind gut geführt und auch bestens ausgeschil­dert. Es empfiehlt sich freilich, sich mit den teilweise heftigen bretonisch­en Gezeiten anzufreund­en. Es kann sein, dass ein Weg durch eine Bucht führt, die dann plötzlich wegen der Flut nicht zu passieren ist. Belohnt wird man spätestens in Saint-Malo, wenn dort eine Springflut über die Strandmaue­r auf die Häuser an der Promenade klatscht.

Wir haben auf dieser Tour unsere Lieblingsb­ucht entdeckt, sie liegt in Höhe der Ortschaft Saint Coulomb, ist nach dem Herrenhaus „Roz Ven“benannt und von einer geradezu gottverlas­senen Einsamkeit. Wer hier nicht gerade im Hochsommer durch den feinen Sandstrand spaziert, hat die Bucht meist für sich allein. Gleich nebenan liegt die erhabene Bucht des Forts du Guesclin, das eine wechselhaf­te Geschichte erlebte: Erst diente es als Schutz vor den Engländern, dann nach der Besatzung als deutscher Wehrpunkt innerhalb des Atlantik-Walls. Später befand sich das Gemäuer unter anderem im Besitz des berühmten französisc­hen Chansonnie­rs Léo Ferré.

Und wer sich abends für die Wanderei belohnen will, kehrt in Saint-Malo in einem der vielen kleinen Restaurant­s ein und bestellt sich Crêpes, Galettes, eine Portion fangfrisch­e Muscheln mit Pommes frites und einen leckeren Cidre oder einen trockenen Muscadet. Auf dem Weg zur Verwöhnsta­tion bekommt man von der Promenade aus am riesigen Strand von Saint-Malo bei frischem Wind aufregende Darbietung­en von Surfern, Segelund Strand-Katamarane­n geboten. Dies ist als Theater am Wasser spektakulä­rer als der überschätz­te Mont Saint-Michel – der ist längst zur Neppfalle verkommen.

Man erlebt Wildheit, sprühende Gischt, malerische Buchten

und kleine Fischerdör­fer

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FOTOS: CHRISTIANE KELLER Spektakulä­res Schauspiel: Bei starker Flut spritzt die Gischt in Saint-Malo über die Ufermauer.

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