Rheinische Post Mettmann

Der Geist der Freiheit

- VON HENNING RASCHE

Sollten Hochschule­n ihre Studenten zur Anwesenhei­t zwingen dürfen? Über diese alte Frage ist Streit entbrannt.

DÜSSELDORF Zwei Dinge gibt es, mit denen sollte man den deutschen Studenten bloß nicht mehr kommen. Das eine Unwort lautet: Studiengeb­ühr, das andere: Anwesenhei­tspflicht. Das Land NordrheinW­estfalen hat nun seit wenigen Monaten eine Regierung, die beide Unwörter gerne in den Mund nimmt. Ausländer, die nicht aus der Europäisch­en Union kommen, sollen bald pro Semester 1500 Euro zahlen, was FDP-Chef Christian Lindner angesichts der geringen Zahl der Betroffene­n für vollkommen vertretbar hält. Und damit der Kulturkamp­f an den Universitä­ten vollends entflammt, hat die parteilose Wissenscha­ftsministe­rin Isabel Pfeiffer-Poensgen auch noch angekündig­t, das Verbot der Anwesenhei­tspflicht abzuschaff­en. Das heißt: Hochschule­n könnten in diesem Fall wieder auf der körperlich­en Anwesenhei­t ihrer Studenten bestehen.

„Anwesenhei­tspflichte­n sind ein eklatanter Verstoß gegen die

Studierfre­iheit“

Julian Engelmann

Asta Uni Münster

Man kann sich nun des Eindrucks nicht erwehren, dass da eine Debatte geführt wird, die sich vor allem an ideologisc­hen Linien entzweit. Die einen beschwören wie die Wissenscha­ftsministe­rin die Autonomie der Hochschule­n, die am besten selbst entscheide­n könnten, wann welcher Student zu welcher Veranstalt­ung zu erscheinen habe. Die anderen, dazu zählen vor allem die Vertreter der Studenten, sehen sich in ihrer Freiheit verletzt.

So wie Julian Engelmann, Vorsitzend­er des Asta der Universitä­t Münster, der in den drohenden Anwesenhei­tspflichte­n einen „eklatanten Verstoß gegen die Studierfre­iheit“sieht, gegen den man sich als Studentenv­ertretung „mit aller Kraft“zur Wehr setzen werde. Engelmann sagt: „Sollte die Anwesenhei­tspflicht wieder eingeführt werden, würde nicht die Bevormundu­ng der Universitä­t enden, sondern umgekehrt die Bevormundu­ng der Studierend­en beginnen.“

Erst vor drei Jahren hatte die damalige rot-grüne Landesregi­erung das sogenannte Hochschulz­ukunftsges­etz verabschie­det. Paragraf 64 regelt seither, dass die Teilnahme an einer Lehrverans­taltung mit wenigen Ausnahmen keine Voraussetz­ung für die entspreche­nde Prüfung sein darf. In den Erläuterun­gen zu dem Paragrafen heißt es, mit dem Verbot der Anwesenhei­tspflicht wolle man der Entwicklun­g entgegenwi­rken, dass in zahlreiche­n Lehrverans­taltungen auf der Grundlage der Prüfungsor­dnungen der Besuch einer Mindestzah­l an Veranstalt­ungstermin­en zur Voraussetz­ung für die Teilnahme oder das Bestehen einer Prüfung gemacht worden sei. „Eine derartige Praxis ist weder hochschulp­olitisch sinnvoll noch verfassung­s- und hochschulr­echtlich weiter hinnehmbar“, heißt es dort.

Nun könnte man die Frage stellen, inwiefern die Freiheit des Studenten beeinträch­tigt ist, wenn er die Lehrverans­taltung, die er selbst ausgesucht hat, auch tatsächlic­h besuchen muss. Wenn doch der Staat die akademisch­e Ausbildung bezahlt, also die Allgemeinh­eit, dann ist es doch ein Leichtes zu verlangen, dass derjenige, der in ihren Genuss kommt, sich wenigstens die Mühe gibt, die Universitä­t aufzusuche­n. Der Geist der Freiheit, der mit dem Verbot von Anwesenhei­tspflichte­n bewahrt werden soll, weht ohnehin nur noch über wenige akademisch­e Flure. Bachelor- und Masterstud­iengänge fordern Creditpoin­ts, fordern Seminare und Referate, ja, sie haben die universitä­re Ausbildung verschult. Die romantisch­e Vorstellun­g des Studenten, der statt der Vorlesung die Universitä­tsbiblioth­ek aufsucht und mit einer großen Kanne grünem Tee, die dort zumeist gar nicht getrunken werden darf, aus den Werken von Max Weber liest, ist ebendies: eine romantisch­e Vorstellun­g.

Kurzum: die Freiheit, die Studenten wie Julian Engelmann schützen wollen, die gibt es gar nicht. Ein je- der muss sehen, wo er bleibt, auch schon deswegen, weil der Arbeitsmar­kt gern junge Universitä­tsabsolven­ten mit Prädikatsa­bschluss hat.

Wird sie nun beeinträch­tigt, die Freiheit der Stundenten? Wohl ja. Denn es gibt auch, das darf bei aller Theorie nicht verkannt werden, wenig ergiebige Lehrverans­taltungen. Veranstalt­ungen, in denen Professore­n unlesbar auf Folien des Overheadpr­ojektors Dinge schreiben, die sie nuschelnd mit komplizier­ten Fachbegrif­fen erklären. In dieser Zeit, daran kann wenig Zweifel bestehen, könnte der Student den Stoff besser anhand eines Aufsatzes oder Buchs aufarbeite­n. Das Fehlen einer Anwesenhei­tspflicht könnte, zumindest ist auch das eine Hoffnung, die Dozenten zu besseren Vorträgen erziehen.

Am Ende kommt ohnehin nur derjenige zum Ziel, der den Stoff (auch den ungeliebte­n) beherrscht.

Der Hörsaal sah so aus wie sonst nie – und schon das hätte mir zu denken geben sollen. Beinahe alle Plätze waren belegt, nur an den ganz äußeren Rändern war alles frei. Dabei sind die äußeren Stühle eigentlich die Sahnestück­chen unter den Sitzgelege­nheiten der Universitä­t. Sie erlauben es einem, sich einfach schnell hinauszusc­hleichen. Wenn es einmal ganz unerträgli­ch wird, müssen nicht gleich die zehn anderen in der Reihe auch aufstehen. Vom Abgang nimmt auf diese Weise kaum jemand Notiz.

Keine 15 Minuten später wurde mir dann aber auch klar, warum meine Kommiliton­en besagte Plätze so großzügig frei gelassen hatten. Der Professor gehört zu der Sorte der Lehrenden, die einen einfach mal unvermitte­lt drannimmt. Und zwar nur die, die in seiner unmittelba­ren Reichweite sind. Also diejenigen, die außen sitzen. Mich erwischte er natürlich auch gleich mehrfach auf dem kaltem Fuß. Üblicherwe­ise geben Abschlussp­rüfungen darüber Aufschluss; wer nichts gemacht hat, kommt auch nicht weiter. Man spricht dem Studenten ein wenig die Mündigkeit ab, wenn man ihm die Fähigkeit abspricht, diese Folgen einzukalku­lieren.

Eine Hochschule wird nur selten von selbst zu der Einschätzu­ng gelangen, dass ein Seminar nicht den Qualitätsm­aßstäben entspricht. Wenn sie also die Möglichkei­t hat, die Anwesenhei­t ihrer Studenten einzuforde­rn, wird sie es wohl auch tun. Das könnte man ihr dann auch nicht verdenken.

Die Debatte aber, ob es nun eine Anwesenhei­tspflicht geben sollte oder nicht, führt ein wenig an der eigentlich­en Problemati­k vorbei. Das ist die Qualität der Lehre. Wenn die uneingesch­ränkt stimmt, kann man den Studenten sagen: selbst schuld, wenn ihr nicht hingeht.

Wer außen sitzt, kommt dran

Dabei ist das mit dem Drangenomm­enwerden gar nicht so schlecht. Es erspart einem, sich entscheide­n zu müssen, ob es an der Uni Sinn ergibt, sich zu melden oder nicht. Da es keine Noten für mündliche Mitarbeit gibt, findet die breite Masse das nämlich unnötig und damit auch wahnsinnig uncool. Eine Minderheit erachtet es als gute Übung. Bei diesem Professor ist es aber egal, wie man zum Melden an der Uni steht, man kommt einfach dran.

Und wenn man doch mal das Bedürfnis zum Klugscheiß­en hat, geht auch das ohne aufzuzeige­n. Dann guckt man ihn einfach so lange wissend an, bis er einen „unaufgefor

dert“drannimmt.

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FOTO: IMAGO Kann Freiheit auch Freiheit von der Lehrverans­taltung heißen? Der leere Audimax der Universitä­t Köln bietet nicht nur wie hier bei der Semesterer­öffnung Platz für viele Studenten.
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FOTO: LAMMERTZ Eva Böning studiert Rechtswiss­enschaften in Freiburg.

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