Aufstieg und Verfall der AfD
BERLIN Amüsiert las der CDU-Politiker Michael Grosse-Brömer den ersten Antrag der AfD nach ihrem Einzug in den Bundestag. Denn eine Passage war ihm sofort aufgefallen. Da wollte die neue Fraktion mit ihren immerhin 92 Mitgliedern die Mindestzahl von Abgeordneten für die Nutzung von Minderheitenrechten auf 65 senken. „Möglicherweise vorbeugend“, witzelte der Unionsgeschäftsführer. Tatsächlich waren der AfD vom Tag der Bundestagswahl bis zum ersten Zusammentritt des Parlamentes bereits zwei Parlamentarier abhandengekommen: Neben der Parteichefin Frauke Petry auch der Abgeordnete Mario Mieruch aus NRW.
Das ist keine Ausnahme, sondern die Regel bei der AfD. In manchen Fraktionen und Vorständen gleicht das Erscheinungsbild nach dem Siegeszug schon fast Trümmerlandschaften.
Zum Beispiel in Bremen. Da ist von einst vier AfD-Bürgerschaftsabgeordneten noch einer übrig geblieben. Drei folgten nach der Abspaltung des Flügels von Bernd Lucke dem Parteigründer zu den liberal-konservativen Reformern. Und davon sind wiederum zwei schon wieder gewechselt und gehören nun zum Bündnis der „Bürger in Wut“.
Sachsens AfD sah sich nun sogar gezwungen, einen Notvorstand ins Leben zu rufen, da gleich sechs Vorstandsmitglieder Reißaus nahmen. Dabei sollte der Landesverband eigentlich den ganzen Stolz der Partei bilden, nachdem er bei der Bundestagswahl sogar vor der regierenden CDU gelandet war. Doch gerade in Sachsen trommelte Petry mit ersten Anfangserfolgen für ihr neues Projekt einer „blauen Wende“, mit der sie in Sachsen 2019 offenbar auch zur Landtagswahl antreten will.
Auch Anette Schultner, die Chefin der „Christen in der AfD“, hielt es nicht mehr aus. Für sie brachte die Haltung von AfDlern gegenüber der NPD das Fass zum Überlaufen. Nachdem sie es als völlig inakzeptabel bezeichnet hatte, dass ein Vorstandsmitglied der AfDChristen-Organisation früher für die NPD gespendet hatte, sei eine Unterschriftenaktion zugunsten des Spenders in Gang gekommen. Ihre Haltung sei als „verzerrt“kritisiert worden mit der Begründung, die NPD habe diesem Land lange nicht so sehr geschadet wie die CDU. Da sei für sie das Maß voll gewesen, sagte Schultner. Viele trauten sich auch nicht mehr, gegen den Flügel von Björn Höcke Position zu beziehen. Dabei ist Schultner selbst Gründungsmitglied der „Patriotischen Plattform“(PP) – einem Verein des äußerst rechten Parteiflügels um Höcke, der für islam- und fremdenfeindliche Positionen steht. PPSprecher ist HöckeAnhänger Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt.
Auch dort schrumpft der Landesverband. Schon im Sommer haben zwei AfD-Parlamentarier die Fraktion verlassen: Sarah Sauermann konnte die Zustände nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren – und trat aus. Gottfried Backhaus begründete seinen Schritt damit, dass er in seiner Partei seit geraumer Zeit „eine Entwicklung hin zu extremen und radikalen Auffassungen und Handlungen“erlebe. Ähnlich hatte NRWler Mario Mieruch auf Bundesebene eine Entwicklung beschrieben, die „viele in der Partei mit Sorge betrachten und von der sie schon viel zu lange hoffen, dass sie umkehrbar sei“.
Mieruchs Brief stieß in der NRW-AfD ebenso auf Protest wie der Abgang von Landeschef Marcus Pretzell, der seiner Ehefrau Petry nur einen Tag später gefolgt war und Fraktion sowie Partei verlassen hat. Gemeinsam mit Pretzell verabschiedete sich auch Alexander Langguth aus der Landtagsfraktion, die Fraktion sprach dennoch demonstrativ von Zusammenhalt.
„Es gibt eine Entwicklung hin zu radikalen Auffassungen
und Handlungen“
Gottfried Backhaus
Ex-AfD-Fraktionsmitglied Sachsen-Anhalt