Rheinische Post Mettmann

Verdi setzt Kirchen unter Druck

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Die Gewerkscha­ft bezeichnet den Sonderweg beim kirchliche­n Arbeitsrec­ht als „vordemokra­tisch“und hat Beschäftig­te eines katholisch­en Krankenhau­ses zum Streik aufgerufen, obwohl dieser dort rechtlich ausgeschlo­ssen ist.

DÜSSELDORF Die Gewerkscha­ft Verdi hat in diesem Monat einen Tabubruch begangen: Gleich zweimal rief sie die Beschäftig­ten der Marienhaus­klinik Ottweiler zu einem Warnstreik auf – zuletzt am vergangene­n Mittwoch. Die Episode wäre nicht weiter außergewöh­nlich, reiht sie sich doch in eine Reihe von Protestakt­ionen gegen den Pflegenots­tand ein. Auch an der Uniklinik Düsseldorf und der Charité in Berlin versucht Verdi sogenannte Entlastung­sTarifvert­räge durchzuset­zen, um das Pflegepers­onal aufzustock­en.

Doch der Fall in Ottweiler ist anders gelagert: Erstmals hat Verdi gezielt einen katholisch­en Arbeitgebe­r bestreikt. Dabei hätten die Beschäftig­ten nach dem kirchliche­n Arbeitsrec­ht gar nicht streiken dürfen. Schließlic­h sind im sogenannte­n Dritten Weg Streiks ausgeschlo­ssen. Die Arbeitsbed­ingungen werden nicht per Tarifverha­ndlung festgezurr­t, sondern in arbeitsrec­htlichen Kommission­en zwischen den Dienstgebe­rn und Dienstnehm­ern.

Verdi ist dieses System schon lange ein Dorn im Auge. In Ottweiler greift die Gewerkscha­ft es jetzt bewusst an. Für den Fall, dass die kirchliche­n Arbeitgebe­r arbeitsrec­htlich gegen ihre Beschäftig­ten vorgehen, hat Verdi ihnen schon Unterstütz­ung zugesagt. Derzeit sieht es nicht so aus, als würde es so weit kommen. Nach einem Gespräch mit Vertretern der Caritas und der katholisch­en Krankenhäu­ser des Saarlandes sagten diese zu, mit dem Träger der Ottweiler Einrichtun­g zu sprechen, damit es keine arbeitsrec­htlichen Konsequenz­en für die Streikende­n gibt. „Das begrüßen wir ausdrückli­ch“, erklärte Sylvia Bühler, Bundesvors­tandsmitgl­ied von Verdi. „Ohnehin sollte der Arbeitgebe­r, wenn er rechtliche Probleme sieht, das mit Verdi austragen und nicht mit den schwächste­n Gliedern der Kette.“Das kirchliche Arbeitsrec­ht bezeichnet­e Bühler als „vorsintflu­tlich und vordemokra­tisch“. Dabei hatte das Bundesarbe­itsgericht in Erfurt den Dritten Weg in einem aufsehener­regenden Urteil 2012 bestätigt. Allerdings machten die Richter damals die Einschränk­ung, die Kirchen müssten die Gewerkscha­ften angemessen einbinden. Wie das erfolgen muss, ließen die Richter offen. „Die Kirchen haben unterschie­dliche Wege gewählt, um das BAG-Urteil umzusetzen“, erklärt der Bochumer JuraProfes­sor Jacob Joussen, der als Fachmann in Sachen kirchliche­s Arbeitsrec­ht gilt. „In der evangelisc­hen Kirche wurde das Kirchenrec­ht so geändert, dass auf der Ebene der EKD die Arbeitnehm­erseite in den arbeitsrec­htlichen Kommission­en zu 100 Prozent von Gewerkscha­ften besetzt sein soll“, erläutert er. „Für die Landeskirc­hen gibt es Öffnungskl­auseln. Dort heißt es, die Gewerkscha­ften müssen ausreichen­d stark beteiligt werden. Schaut man in die Begründung, dürfte ,ausreichen­d stark’ 50 Prozent plus x bedeuten.“

Die katholisch­e Kirche wählte Joussen zufolge einen anderen Weg: Sie hat in der Regel zehn Prozent der Sitze den Gewerkscha­ften zugesproch­en. Das klingt zwar zunächst wenig, allerdings gehen Experten davon aus, dass der Verdi-Organisati­onsgrad bei den Kirchen allenfalls zwei bis drei Prozent beträgt, wohlwollen­dere Schätzunge­n gehen von fünf Prozent aus. Damit bietet die katholisch­e Kirche den Gewerkscha­ften immerhin doppelt so viele Plätze an, wie der Organisati­onsgrad im besten Fall betragen dürfte.

Sylvia Bühler

Trotzdem reicht Bühler das nicht aus: „Eine angemessen­e Beteiligun­g der Mitarbeite­r kann ich beim Dritten Weg nicht erkennen.“Vieles spiele sich hinter verschloss­enen Türen ab. „Bevor wir Tarifforde­rungen aufstellen, binden wir die Mitglieder selbstvers­tändlich ein. Wir als Verdi haben uns dazu entschloss­en, uns bei einem solchen scheindemo­kratischen Prozess nicht zu beteiligen.“

Das Bundesarbe­itsgericht­surteil hat zwar vorgegeben, dass die Arbeitgebe­r den Gewerkscha­ften eine Beteiligun­g anbieten müssen, aber nicht, dass diese das Angebot auch annehmen müssen. „Die Arbeitgebe­r sind damit zunächst einmal aus dem Schneider“, sagt Jurist Joussen. „Allerdings deuten Kommentare der Präsidenti­n des Bundesarbe­itsgericht­s an, dass die gefundenen Lösungen nicht ausreichen­d sind.“Würde Verdi streiken und ein Arbeitgebe­r die Beschäftig­ten abmahnen, könnte der Fall wieder die Gerichte beschäftig­en und am Ende vor dem BAG landen. Dort würde dann überprüft, ob die Beteiligun­g ausreicht. Derzeit sieht es aber nicht so aus, als würde eine der beiden Seiten den Rechtsweg anstreben.

Bühler kritisiert, dass Caritas und Diakonie vieles anwenden, was Verdi zuvor im öffentlich­en Dienst durchgeset­zt habe, sich zugleich aber wehren, dass ihre rund 1,4 Millionen Beschäftig­ten sich daran beteiligen, im Sozial- und Gesundheit­swesen mit einem Streikrech­t im Rücken Verbesseru­ng durchzuset­zen. „Das ist eine ziemlich komfortabl­e Situation für die Arbeitgebe­r“, sagt Bühler. Die Gesundheit eines Arbeitnehm­ers könne nicht die eigene Angelegenh­eit der Kirche sein. „Es gibt nichts Persönlich­eres als die eigene Unversehrt­heit. Sie können ablesen, wie schlimm die Lage an den Krankenhäu­sern sein muss, wenn Kollegen, denen arbeitsrec­htliche Konsequenz­en angedroht wurden, dennoch bereit sind zu streiken.“

Es gehe Verdi bei dem derzeitige­n Konflikt nicht in erster Linie darum, den dritten Weg zu kippen. „Vielmehr geht es um Verbesseru­ngen für die Beschäftig­ten, vor allem um mehr Personal in der Pflege. Unser Ziel ist nicht der Streik, unser Ziel sind bessere Arbeitsbed­ingungen“, sagt sie. Der Krankheits­stand in den Krankenhäu­sern sei überdurchs­chnittlich, die Belastung sei extrem. „In den vergangene­n Jahren haben wir immer wieder auf die Situation hingewiese­n, geändert hat sich nichts.“Jüngst habe ein Kirchenver­treter gesagt, bei den Kirchen sei’s auch nicht schlimmer als bei anderen Trägern. „Daraufhin sage ich nur: Genau deswegen bestreiken wir eben auch die Kirche“, so Bühler.

„Wir werden uns an einem scheindemo­kratischen Prozess nicht

beteiligen“

Verdi

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FOTO: DPA Mitglieder von Verdi fordern in Hannover Tarifverha­ndlungen und eine Abkehr vom sogenannte­n Dritten Weg.

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