Rheinische Post Mettmann

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Sache abzuschlie­ßen. Wir haben eine Feuerbesta­ttung gemacht. Das war gerade für die Angehörige­n, die sich zum Zeitpunkt seines Todes am anderen Ende der Welt befanden und nicht in seiner Nähe waren wie ich, besonders wichtig. Neben der subjektiv persönlich­en Seite gab es jetzt die Beweisführ­ung nach außen, die Bestätigun­g meiner Schilderun­g des Unglücks und vor allem die des Ortes. Eine Aufschlüss­elung der Tatsachen! Nachdem man alles Mögliche rund um diesen Vorfall kolportier­t hatte, mir vorwarf, den Bruder meinem Ehrgeiz geopfert zu haben. Da hatte irgendjema­nd eine Lügengesch­ichte in die Welt gesetzt, weil sie sich verkaufen ließ. Das war eine interessan­te Erfahrung, sie spielt heute keine Rolle mehr. Sie suchen die unberührte Natur. Inzwischen gibt es Massentour­ismus an Bergen wie dem Mount Everest. Gibt es denn noch Unberührte­s? MESSNER Satelliten können heute jeden Punkt der Welt aufnehmen. Flugzeuge und Hubschraub­er fliegen überall hin oder darüber. Aber deswegen geht die Landschaft darunter nicht kaputt. Da wo früher Wildnis war, die Antarktis, die großen Berge, da ist diese Wildnis etwas verlorenge­gangen. Aber die Massen, von denen Sie sprechen, die gibt es nur an einem Dutzend Bergen. Hat sich das Bergsteige­n verändert? MESSNER Das Bergsteige­n ist global geworden, es hat sich absolut verändert. 90 Prozent der Kletterer weltweit klettern nur in der Halle – ein großartige­r Sport. Raus gehen nur wenige, viel weniger als zu meiner Zeit. In den 1960er Jahren war in den Dolomiten das Zentrum der Weiterentw­icklung des Kletterns. Da sind

Der Mount Everest wird präpariert für Massenaufs­tiege. Ich war im Frühling im Basislager. Da kamen 200 Sherpas, das müssen Sie sich vorstellen, 200 Straßenarb­eiter! Und die haben die Piste präpariert, vom Basislager bis zum Gipfel. Mit Leitern über senkrechte Stellen, mit Brücken, mit vier Lagern, die präpariert waren. Es kamen die Köche, die Ärzte, die Betreuer der einzelnen Lager – und die Touristen mit Hubschraub­ern. Dann sind sie auf den Gipfel geführt worden. Natürlich mussten die noch selber steigen, aber man hat ihnen die Wärmflasch­e in den Schlafsack gesteckt und die Haken eingesetzt. Ist das verwerflic­h? MESSNER Ich habe nichts dagegen, der Everest ist als Destinatio­n verkäuflic­h. Die Einheimisc­hen nehmen diesen Markt, der bisher bei ausländisc­hen Agenturen lag, selbst in die Hand. Weil sie sagen: „Warum sollen wir die Drecksarbe­it machen, ein hohes Risiko eingehen und dann kommen die reichen Schnösel, steigen über unsere Piste rauf, aber das MESSNER Touristen möchten den Mount Everest konsumiere­n und bei der Abendgala herumstehe­n und ihrer Sekretärin erzählen, dass sie auch oben waren. Natürlich haben die Zuhörer keine Ahnung, dass das nicht so ist wie bei Edmund Hillary (Erstbestei­ger des Mount Everest; d. Red.). Wir aber steigen aus der Zivilisati­on aus, gehen in eine archaische Welt, wohl wissend, dass wir dabei umkommen könnten. Pardon, das ist wahnsinnig. MESSNER Wenn man dabei nicht umkommen könnte, ist das Interesse bei uns gleich null. Nur weil wir umkommen könnten, gehen wir dorthin – um nicht umzukommen. Das ist widersinni­g. Niemand, der einen Hauch Verstand hat, geht dorthin, wo er umkommen könnte, um nicht umzukommen. Aber das ist eine Kunst, und die heißt traditione­lles Bergsteige­n. Wenn man nicht umkommen könnte, wie am präpariert­en Everest, dann ist das nur ein Spiel, ein Kindergart­en. Das andere ist eben kein Kindergart­en, da holt man primäre Erfahrung über unsere Menschenna­tur vom Berg herunter. Erfahrunge­n über unsere Begrenzthe­it, über unsere Lächerlich­keit. Das ist eine Arena der Einsamkeit, wo der Mensch drauf kommt, dass er eigentlich ein Nichts ist. HENNING RASCHE FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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