Rheinische Post Mettmann

Wohnorte kann man wechseln – Heimat nicht

- VON DIRK NEUBAUER

Drei RP-Leser erzählen, was Heimat für sie bedeutet und welche Auswirkung­en Heimat auf ihr Leben hatte. Und immer noch hat.

KREIS METTMANN Fasziniere­nde Landschaft­en, gutes Essen, spannende Museen – über viele Tage hat die Rheinische Post nun den Scheinwerf­er auf nahezu alle Facetten des MegaThemas „Heimat“gerichtet. Doch was genau ist Heimat eigentlich für jeden Einzelnen? Ist es ein Gefühl, eine Erinnerung oder ein Geruch? Dirk Neubauer hat mit drei Menschen – stellvertr­etend für ganz viele – über ihre Heimat gesprochen. Es war jedes Mal anders, aber immer fasziniere­nd.

Maria Czerny, 60: Wichtig sind das Elternhaus, die Kindheit, die Freunde und Verantwort­ung

Fern von zuhause hat Maria Czerny sehr lange „Essen“geantworte­t, wenn sie nach ihrer Heimat gefragt wurde. Damals wohnte sie schon viele Jahre lang in Mettmann, hatte sich hier gemeinsam mit ihrem Mann ein Haus gekauft und zog Kinder groß. „Heimat – das ist dort, wo man geboren wurde und seine Kindheit verbracht hat“, sagt die heute 60-Jährige: „Den Wohnort kann man wechseln, aber die Heimat nicht.“

In Essen steht ihr Elternhaus, in Essen hat sie – nach dem Studium der Mathematik in Dortmund – lange gearbeitet, als Managerin mit Zahlen hantiert. Mittlerwei­le lautet die Auskunft auf die Kennenlern­Frage im Urlaub nicht mehr „Essen“, sondern „Mettmann“. Aber das hat halt etwas Zeit gebraucht. Vermutlich niemand würde Maria Czerny als „sprunghaft“bezeichnen. Sie selbst sagt: „Erst, wenn man sesshaft wird, beginnt man zu verstehen, was Heimat ist.“Heimat hat etwas mit den eigenen Wurzeln zu tun. „Manche brechen ja jetzt alle Zelte ab, wenn sie vom Beruf in den Ruhestand wechseln“, beobachtet die Ehrenamtle­rin aus dem „Café Grenzenlos“im Mettmanner Mehrgenera­tionenhaus. Da wird ein Haus an der Nordseeküs­te gekauft und alle Sachen hier zusammenge­packt. Auch das kann Maria Czerny nur schwer nachvollzi­ehen: „Man verlässt damit doch sein ganzes Umfeld und kann sich nicht mehr so um Freunde kümmern wie bisher.“Freunde sind für sie ein weiterer wichtiger Heimatfakt­or – neben dem Geburtshau­s und den Straßen und Plätzen der Kindheit. Heimat gibt Sicherheit und Stabilität sagt die Frau, die sich zurzeit dafür engagiert, neuen Mettmanner Mitbürgern – ja was – eine Heimat zu geben? „Wir bemühen uns darum, dass sich die Geflüchtet­en hier wohl fühlen, dass sie sich hier ein neues Zuhause finden“, sagt sie nach kurzem Nachdenken. „Ich selbst bin ja hier zufällig geboren, ich kann ja nichts dafür. Ich habe auch nichts mit dem zu tun, was in deutschem Namen an Verbrechen verübt worden ist. Ich kann aber nicht so tun, als ginge mich das nichts an.“Heimat – das bedeute auch Verantwort­ung, die niemand einfach abstreifen könne.

Daniel Gehrmann, 43: Plötzlich war das dieses Gefühl . . .

In Langenfeld geboren, in Monheim aufgewachs­en, in London erstmals Heimat gefühlt: Daniel Gehrmann hat zunächst Bedenken, von seiner Heimat zu erzählen. Denn eine Reaktion kennt er schon: Viele Zuhörer reagieren mit einem Kopfschütt­eln, wenn er es tut. „Für mich ist Heimat nicht an etwas Biographis­ches aus meinem Leben gebunden, sondern ich brauche dazu einen Ort, an dem ich mich zu Hause fühle.“Und das ist bei Daniel Gehrmann seit dem ersten LondonBesu­ch England geworden.

Genauer: Die über Jahrhunder­te gewachsene Struktur, die Straßenzüg­e mit historisch­en Fassaden. In dieser Umgebung hat der 43-Jährige das Gefühl: „Hier gehöre ich hin!“Natürlich gibt es in Monheim oder Mettmann, seinem augenblick­lichen Wohnort, auch historisch­e Häuser, über Jahrhunder­te gewachsene Häuserzeil­en. Aber das ist nicht dasselbe: „In Deutschlan­d bekommen wir das nicht so gut hin. Durch den Zweiten Weltkrieg ist viel Bausubstan­z zerstört worden.“Neue und alte Häuser fügen sich nicht – wie in England – zu einem Gesamtbild zusammen, das Gehrmann überzeugt.

Selbst in London, wo ultramoder­ne Bürobauten entstanden sind, sei die Modernisie­rung einer Stadt besser gelungen als etwa in Düsseldorf oder Köln. Seit dieser Entdeckung reist Daniel Gehrmann, der für die Caritas in Mettmann tätig ist, regelmäßig auf die britische Insel. Und spätestens auf der Rückfahrt an Bord der Fähre zum französisc­hen Festland stellt sich Heimweh ein: „Ich hätte nichts dagegen, in England zu leben und zu arbeiten. Aber das ist zu teuer, da muss man realistisc­h bleiben.“So ist Heimat für Daniel Gehrmann etwas geworden, was die meiste Zeit des Jahres in der Ferne liegt.

Samir Palani, 71: Ein Zuhause verloren, eine Heimat gewonnen

„Wir haben in unserer Jugend nicht genug auf unsere Heimat aufgepasst. Deshalb haben wir sie damals verloren“, sagt Samir Palani leise. Der Aufstand gegen die politische Unfreiheit im Persien unter Mohammad Reza Pahlavi hatte vielen jungen Iranern Hoffnung gemacht auf einen Wechsel zu einer freien Demokratie. „Und dann haben uns die Mullahs, die Religionsf­ührer, die Revolution gestohlen“, sagt der Senior, dessen Namen wir auf seinen Wunsch hin geändert haben. Die Vergangenh­eit soll keine Chance bekommen, Schatten auf die Gegenwart zu werfen.

Damals habe er seine Heimat verloren, sagt der Mann, der ab 1971 in Köln Maschinenb­au studierte und dort seine Frau kennengele­rnt hat. Schiras im Süden des Irans ist seine Geburtssta­dt. Sie gilt als Stadt der Poeten – die Verse des Dichters Hafis inspiriert­en Goethe zu seinem Gedichtzyk­lus „West-östlicher Diwan“. Und sie ist die Stadt des guten Weins – „vielleicht hat ja das eine mit dem anderen zu tun“. Mittlerwei­le ist Deutschlan­d seine Heimat, sagt der Rentner: „Heimat ist dort, wo sich das Herz freut.“Und das sei nun mal bei der Ehefrau und den beiden Jungen. Die beiden haben mehr mit Deutschlan­d zu tun als mit dem Iran, aber er habe ihnen seinen Geburtsort Schiras gezeigt. Die Jungs staunten über Autos, Straßen, Autobahnen. „Sie dachten, bei uns in Schiras gäbe es nur Esel und Pferdefuhr­werke.“

Nach Besuchen bei Bekannten und Verwandten war die ganze Familie wieder froh, zurück in Mettmann zu sein. Hier ist jetzt der Lebensmitt­elpunkt, die Heimat. Das andere ist eine Erinnerung, die manchmal weh tut.

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Wer sesshaft wird, der versteht, was Heimat ist, sagt Maria Czerny.
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FOTOS: DNE Daniel Gehrmann fühlte in London erstmals Heimat.
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