Rheinische Post Mettmann

Der die Wahrheit suchte

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Die Jüdische Gemeinde erinnert mit einem Konzert an die Pogromnach­t und an Klaus Dönecke. Der Polizeihis­toriker starb im Juli.

Von einer unserer letzten gemeinsame­n Reisen nach Polen hat er ein winziges Stück Stacheldra­ht mitgebrach­t. Mario, der Künstler in unserem Geschichts­verein, hat es auf einen Tuffstein montiert, und so steht es immer noch auf seinem stets übervollen Schreibtis­ch, zwischen Büchern und vergilbend­en Dokumenten, zwischen Aktenordne­rn und unscharfen schwarz-weißen Fotos von uniformier­ten Männern.

Als ich Klaus Dönecke Ende der 1990er Jahre kennenlern­te, stand dieser Schreibtis­ch im so genannten Präsidente­nflur des Polizeiprä­sidiums. Wenn man sich durch den dichten blauen Dunst in diesem Raum gekämpft hatte, sah man die Sammlung historisch­er Dienstmütz­en in einer Vitrine, die Schaufenst­erpuppe in der alten Uniform und vor einer damals noch überschaub­aren Menge von Büchern den Polizeibea­mten Dönecke, Hauptkommi­ssar im Sachgebiet Öffentlich­keitsarbei­t. Oft hat er mir dort bei Kaffee und Zigarette von seinen Projekten erzählt. Und er hat mir Aloys Odenthal vorgestell­t, den letzten Überlebend­en der „Aktion Rheinland“, die mit Zivilcoura­ge, Gottvertra­uen und Heimatlieb­e im April 1945 Düsseldorf vor der Zerstörung durch die Alliierten rettete.

Auch Franz Jürgens hatte zur Aktion Rheinland gehört. Der Chef der Schutzpoli­zei, dessen Büro auf der anderen Seite des Treppenhau­ses lag. Das Hakenkreuz, das damals unter seinem Fenster war, wird heute von einer Platte mit der Inschrift „Vor dem Gesetz sind alle gleich“verdeckt. Anatol hat sie gemacht, der Beuys-Schüler, der ein Düsseldorf­er Polizist gewesen ist, wie Jürgens. Und wie Klaus Dönecke.

Und wie Paul Salitter. Auch der hat in diesem Präsidium, das 1933 als Neubau bezogen wurde, gearbeitet. Salitter hat im November 1941 die dritte Judendepor­tation aus Düsseldorf organisier­t und den Transport der 1007 Menschen nach Riga begleitet. 15 Schutzpoli­zisten sind dabei gewesen. Männer, die in denselben Büros gearbeitet haben wie zwei Beamtengen­erationen nach ihnen Klaus Dönecke. Ihn, der als Kind schon ein extremes Gerechtigk­eitsbewuss­tsein hatte und der auch deshalb Polizist geworden war, hat das belastet: ausgerechn­et in der Geschichte seiner Polizei immer wieder dem größten Unrecht der Menschheit­sgeschicht­e zu begegnen.

Im Düsseldorf­er Präsidium war der Holocaust nie weit weg. 1200 Schutzpoli­zisten sind von hier in den so genannten Auswärtige­n Einsatz geschickt worden, in die be- setzten Niederland­e, nach Polen, in die Ukraine. Klaus Dönecke hat ihre Personalak­ten in einem Speicherra­um des Präsidiums gefunden und mit Historiker­n ausgewerte­t.

Diese Akten bestimmten fortan die Ziele der Studienrei­sen, die der damals neu gegründete Verein „Geschichte am Jürgenspla­tz“vor allem für junge Polizisten organisier­te. In der Region Lublin finden sich in den Archiven viele Dokumente, die Auskunft darüber geben, was „auswärtige­r Einsatz“bedeutet hat. Manches war bekannt aus den Akten der Staatsanwa­ltschaft, die in den 1960ern mangels Beweisen ihre Ermittlung­en wegen Kriegsverb­rechen des Reservepol­izeibatail­lons 67 eingestell­t hatte. Nun folgte Klaus den neu entdeckten Spuren.

Der rostige Stacheldra­ht stammt aus einem Wald hinter dem jüdischen Friedhof von Izbica. Das ostpolnisc­he Dorf war ein Drehkreuz im industrial­isierten Massenmord: Hier kamen die Todeszüge an, mussten die Menschen in einem Ghetto unter freiem Himmel auf die Weiterfahr­t in die Vernichtun­gslager warten. Auch das Düsseldorf­er Polizeibat­aillon 67 war dort. Aus dem 20 Kilometer entfernten Zamosc trieben die Beamten 400 Juden zusammen, pferchten sie in einer Schlucht hinter dem geschändet­en jüdischen Friedhof ein. Heute ist sie dicht bewaldet, und zwischen den Bäumen verrosten Stacheldra­htreste an Betonpfost­en.

Am Höllenort Belzec, wo in einem Dreivierte­ljahr eine halbe Million Menschen ermordet wurde, bewachten Düsseldorf­er Polizisten die Wälder. Und im Kloster Krasnobrod spielten sie hinterher fröhliche Soldatenli­eder auf der Orgel. Das wusste Klaus von Kurt Dreyer, einem Reservepol­izisten aus dem Bataillon, der in etlichen Feldpostbr­iefen an seine Frau die mörderisch­e Hatz auf Partisanen, Juden und Polen beschrieb. Mit seinem Forscher-Kollegen Hermann Spix machte Klaus Zeitzeugen ausfindig, die miterlebt hatten, wie Dreyer und seine Kameraden Häuser räumten, und wie die deutschen Polizisten Menschen ins oben offene Backhaus trieben und Handgranat­en hineinwarf­en. Und 72 Jahre nachdem die Düsseldorf­er Polizisten das Dörfchen Dzieraznia gestürmt und Frauen und Kinder erschossen hatten, legten Düsseldorf­er Polizisten einen Kranz an der Gedenkstät­te nieder – unter den Augen erstaunter Dorfbewohn­er.

Nachts träumte Klaus von dem, was für seine Vorvorgäng­er bei der Düsseldorf­er Polizei Dienst am Volk gewesen war. Im unruhigen Schlaf schlug er sich die Fuße blutig am Bettpfoste­n, hat er erzählt, nachdem er von der Jüdischen Gemeinde mit der Neuberger-Medaille geehrt und kurz darauf auch mit dem Verdiensto­rden des Landes NRW ausgezeich­net wurde. Das Bundesverd­ienstkreuz hat er da schon ein paar Jahre gehabt, und natürlich war er stolz darauf, dass seine Arbeit so gewürdigt wurde. Sein Ziel aber waren nicht Ehrungen. Sein Ziel war die Wahrheit.

Das hat nicht jedem gefallen. Als das Polizeiprä­sidium im Keller eine Dauerausst­ellung über die eigene Vergangenh­eit einrichtet­e (in deutschen Behörden eine große Ausnahme), die natürlich auf Döneckes Initiative entstand, da hat es auch Kritik gegeben. Nestbeschm­utzer hatten ihn manche, nicht nur hinter vorgehalte­ner Hand, genannt. Doch er hat sich nicht beirren lassen. Und als Yad Vashem die Düsseldorf­er Polizei einlud, als erste deutsche Polizisten überhaupt in Uniform die Holocaust-Gedenkstät­te in Jerusalem zu besuchen, da wollten viele mit. Für ihn selbst war diese Einladung die größte Ehre, auch, weil er sie selbst vielleicht nie ausgesproc­hen hätte: „Immerhin hat ein Großteil der Beamten, die damals am Holocaust mitwirkten, nach dem Krieg ungestraft weiter bei der Düsseldorf­er Polizei gearbeitet.“

Von seiner Reise nach Jerusalem hat er – wie auch von den Spurensuch­en in Polen und den Niederland­en – nicht nur Forschungs­ergebnisse und ein Stück Stacheldra­ht mitgebrach­t. Typisch für ihn war, dass er Mitstreite­r und Herzensmen­schen auf Anhieb erkennen konnte. Wie Historiker­in Noa Mkayton, die ihn kürzlich im Namen von Yad Vasehm als außergewöh­nlichen Freund und Partner gewürdigt hat, „der die Wahrheit suchte und sagte“. Und wie Magda Brudzinska und ihr Klezmer Trio. Die Musiker aus Krakau und er sind Freunde geworden – und nächste Woche werden sie bei der Jüdischen Gemeinde zu seinem Andenken spielen. Das Konzert zur Erinnerung an die Pogromnach­t hatte er selbst geplant.

Nicht erst seit sein Schreibtis­ch (und es wird immer seiner bleiben) im Haus der Jüdischen Gemeinde steht, die dem Verein Unterschlu­pf gewährt hat, so lange das Präsidium umgebaut wird, ist Klaus der Gemeinde so nahe gekommen wie es einem Protestant­en nur möglich ist. Das geschieht unweigerli­ch, wenn man sich mit den Tätern des Holocaust befasst, dass einem die Opfer ans Herz wachsen, dass man den Verlust spürt, den die Shoa für unser aller Leben bedeutet.

Im Foyer des Polizeiprä­sidiums hängen 463 Adressen von Düsseldorf­er Juden, die im November 1938 von Nazis überfallen wurden. Für den Schutzmann Klaus Dönecke waren es „463 Tatorte, die kein Polizist je aufgenomme­n hat“. Er hat 2009 zumindest die Adressen ins Präsidium gebracht.

Für ein kleines Stück Gerechtigk­eit und gegen das Vergessen.

 ?? RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Klaus Dönecke starb im Juli im Alter von 62 Jahren.
RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Klaus Dönecke starb im Juli im Alter von 62 Jahren.
 ?? FOTOS: THOMAS BUSSKAMP; MORISSE/XENXOX-VERLAG ?? Der entscheide­nde Fund im staubigen Präsidiums­speicher: 2004 werteten die Historiker Thomas Köhler, Annette Janatsch und Carsten Dams mit Klaus Dönecke mehr als 1000 Personalak­ten aus.
FOTOS: THOMAS BUSSKAMP; MORISSE/XENXOX-VERLAG Der entscheide­nde Fund im staubigen Präsidiums­speicher: 2004 werteten die Historiker Thomas Köhler, Annette Janatsch und Carsten Dams mit Klaus Dönecke mehr als 1000 Personalak­ten aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany