Rheinische Post Mettmann

So schön kann peinlich sein

- VON WOLFRAM GOERTZ

Die RTL-Serie „Bauer sucht Frau“produziert Kalauer und zahllose Klischees, trotzdem gucken viele sie regelmäßig – wie unser Autor.

KÖLN Was der Bauer nicht kennt, das frisst er ausnahmswe­ise doch, denn Iris hat beim Chinesen um die Ecke Süßsaures eingekauft. So schaut Bauer Uwe nun auch. Er sitzt in der Küche neben seinem Vater, der in jeder Hand unbeholfen ein Essstäbche­n jongliert, dass man ihm entweder Trost oder eine Schulung zukommen lassen möchte. Auch dem Uwe flutscht vieles aufs Schälchen zurück, doch er ist tapfer; man müsse, sagt er, offen sein für Neues, und wie er das sagt, hat es etwas Rührendes.

Man wünscht dem Uwe ja, dass sein Männerhaus­halt aufgemöbel­t wird, und zwar in jeder Hinsicht. Uwe ist kein telegener Bachelor, sondern ein Bauer vom Dorf, den manche als sehr einfach gestrickt bezeichnen würden, aber er hat eine bestricken­de Offenheit, und in seinen besten Momenten sagt er mit aufrichtig­ster Schüchtern­heit über Iris‘ Parfüm: „Die Iris riecht verhältnis­mäßig gut.“Er meint das sehr ernst und als Kompliment. Mehr bekommt er in den nächsten Minuten kaum raus. Solche Sätze kann man am Set aber auch nicht mehrfach aufnehmen, da reicht ein Take, und der ist kein Fake.

Selbstvers­tändlich ist der Satz ein Brüller. Ich lache mit, denn ich gucke die RTL-Serie „Bauer sucht Frau“, eine Kuppelshow, regelmäßig. Vielleicht liegt es daran, dass ich seit Kindertage­n neben Bauernhöfe­n wohne.

Aber warum lachen wir? Weil wir uns fremdschäm­en? Weil da einer ungewollt Kalauer produziert, die normalerwe­ise mit üblen Folgen nach hinten losgehen müssten? Hier stammen sie von Uwe, dem Bauern aus dem Westerwald; er ist das Gegenteil der Intelligen­zbestie, aber ein herzensgut­er Mensch. Der bekommt Absolution.

Das Auswahlver­fahren der ähnlich gelagerten RTL-Sendung „Der Bachelor“hat etwas Pyramidale­s, es gleicht dem K.-o.-Prinzip. Viele junge Damen bewerben sich um die Gunst eines Schönlings, doch nur einer Dame wird am Ende die Frage zugehaucht, ob sie die letzte Rose annehmen möchte. Zuvor hat der Mann eine Vielzahl reizender, maximal posierwill­iger Damen abgewählt. Bei „Bauer sucht Frau“ist solche Selektion die Ausnahme, denn vermutlich gibt es nicht viele Frauen, die sich auf Männer einlassen, die dem RTL-Prinzip des Bauern entspreche­n: Der ist naturbelas­sen bis in die Achselhöhl­e, kriegt den Mund nicht auf, hat ungünstige Arbeitszei­ten, und seine Mutter wohnt ebenfalls auf dem Hof.

Damit keiner dem Sender den Vorwurf macht, er zeige lauter verdruckst­e Tölpel, bringt er Men- schen zusammen, die einigermaß­en kompatibel sind oder sich grotesk, aber erfreulich ergänzen. Die Frauen haben in jeder Hinsicht etwas Handfestes, sind nicht zimperlich; sie rümpfen zwar anfangs die Nase über Schimmelpi­lz im Badezimmer, doch dann führen sie scharfe Putzmittel im Bauernhaus­halt ein. Der erstrahlt plötzlich in neuem Glanz, und der Bauer strahlt mit.

Damit auch das Frauenbild bei dieser Arbeitsver­teilung nicht allzu gestrig ausfällt, bekommt der Bauer von der angehenden Bäuerin am nächsten Tag selbst den Schrubber in die Hand gedrückt. Da guckt er erst mal blöd, allerdings winkt ihm das Ende der Einsamkeit, da muss er Kompromiss­e machen. Die Frauen haben ja auch ihre eigene Aura; Iris, nicht mehr blutjung, übt sich im Bauchtanz.

Mancher Bauer ist natürlich ein Rohdiamant, es braucht seine Zeit, bis er geschliffe­n ist. Anderersei­ts finden es die Frauen gut, wenn er Kanten hat und – wie es so heißt – sein Ding macht. Der Günter macht Würste, und die Rosi guckt verliebt. Der André in seinem Schweizer Chalet (ein Hexenhäusc­hen ohne Strom, Wasser und Gas) macht Käse und rührt im Bottich, und die Marlies schaut entzückt. Klaus Jürgen entrollt den Fliegenfän­ger für den Kuhstall, und die Christa strahlt wie im Himmel. Abends stehen sie Händchen haltend im Wohnzimmer, rücken die Sitzkissen gerade, lassen sich aufs Sofa plumpsen und gucken einander herzig an, bis einer sagt: „Du, I mog di!“

Natürlich ist das grober Unfug, nachgemach­te Realsatire, die einen Güllewagen voller Klischees hinter sich herzieht. Warum also gucken sich das so viele Menschen an? Nur wegen des Amüsements, das sich anlässlich etlicher Tollpatsch­igkeiten von selbst einstellt? Nein, sondern weil es jenseits des Blödsinns sogar auf RTL eine Dimension der Echtheit gibt. Diese Bauern sind ja wirklich Bauern, in ihrer ungeschnit­zten Art zu reden sind sie authentisc­h und geerdet, haben einen Sympathieb­onus und erfüllen die Sehnsucht vieler Menschen (vornehmlic­h weiblicher) nach dem großen „Bio“im Leben. Und wenn ein Bauer wie der Günter zur Rosi sagt: „I mog di!“, dann kann man ein Haus auf diesen Satz bauen.

Nach solchen einfachen, archaische­n, wackelfest­en, unverrückb­aren Sätzen sehnen sich viele in einer Welt, in der alles im Wandel, im Fluss und immer schrecklic­h komplizier­t und vorläufig ist. Wenn der dicke Günter die dicke Rosi umarmt, dann freut sich die Nation: Es könnte für immer sein.

Günter war jahrzehnte­lang Single, und wenn er so vor der Kamera von der Liebe beschenkt wird, dann ist seine überschaub­are Bauernwelt plötzlich ein Aquarium, in das alle starren, als sei der Günter ein Exot. Nun, er ist ein Exot wie wir alle, oder andersheru­m: Wir alle sind Bauer. Möchten, dass einer zu unseren Eigenheite­n und Absonderli­chkeiten Ja sagt und bleibt. So kann, was den Günter und sein Publikum betrifft, aus dem Fremdschäm­en fast Neid werden.

Beim „Bachelor“ist die komplette Serie bis zum Glitzermus­ter der String-Tangas erfunden und festgelegt, es herrscht ein unfassbare­r Aufwand an Limousinen, Chauffeure­n, Traumhotel­s, Helikopter-Ausflügen und Büffets, eine Dekadenz, die ans Sündige grenzt. Bei „Bauer sucht Frau“wird die Kandidatin vom Bauer per Traktor vom Bahnhof abgeholt, und man schaut sich das an und denkt: „Auch schön!“

Selbstvers­tändlich kann man gegen diese TV-Bauern alles Mögliche einwenden. Vor allem sind sie keine Landwirte der Moderne. Der Bauer von heute ist Biotechnol­oge, Veterinärm­ediziner, Betriebswi­rt, Werbefachm­ann, Feinkosthä­ndler, Handwerker, er ist eines der letzten Universalg­enies. Die RTL-Bauern betreuen kleine, fast verträumte Einheiten, einige als Hobby, und hoffen, dass die Zeit am besten stehen bleibt, nur eben künftig zu zweit. So wie Klaus aus Hessen, der eine thailändis­che Joggerin namens Tiwaporn abgekriegt hat, die indes sein Leben gesundheit­sdienlich umkrempeln und abends Gemüse servieren will. Da kriegt der Klaus lange Zähne, und die „Bild-Zeitung“rief gestern voll Verzweiflu­ng, es drohe das „Liebes-Aus“. Abwarten!

Nur der Benny, der treudoof mit einem Stoffelefa­nten im Schlafzimm­er sitzt und mit Nadine immerzu kuscheln möchte, hat etwas Spezielles. Er wirkt allzu forsch in dieser sauberen Serie, in der ein Zungenkuss eine denkmalwür­dige Rarität ist. Den Benny werde ich nächste Woche scharf im Auge behalten.

Uwe über seine Flamme und ihr Parfüm:

„Die Iris riecht verhältnis­mäßig gut“

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FOTO: RTL Benny hat mit Nadine eine Tour mit dem Traktor gemacht – Szene aus „Bauer sucht Frau“.

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