Rheinische Post Mettmann

Boris Becker wird 50. Über ein deutsches Sportidol, dem vieles verziehen wird.

- VON KRISTINA DUNZ

Plötzlich steht Angela Merkel als Verliereri­n da. Sie scheint den Kampf noch einmal aufnehmen zu wollen. Aber vielleicht auch nicht um jeden Preis.

Seite A 7

Angela Merkel ist immer dann besonders gut, wenn der Konflikt am größten und die Lösung am schwierigs­ten ist. So hat sie Deutschlan­d und Europa durch die Schuldenkr­ise, die Eurokrise, die Griechenla­ndkrise und auch die Flüchtling­skrise gesteuert. Sie kann gesichtswa­hrend mit populistis­chen, autokratis­chen, provokante­n Staatschef­s verhandeln, mit Donald Trump, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan. Seit zwölf Jahren ringt sie über Tage und Nächte auf internatio­nalen Gipfeln von G 7 bis G 20, von EU bis Nato um Ergebnisse. Sie ist in der Lage, blitzschne­ll umzusteuer­n, wenn der Wind sich dreht. So reagierte sie auf den Reaktorunf­all in Fukushima mit dem Atomaussti­eg, obwohl ihre damalige schwarz-gelbe Bundesregi­erung die Laufzeiten für die Meiler gerade erst verlängert hatte. Und als die Briten unerwartet Ja zum Abschied aus der EU gesagt hatten, pochte sie trotz aller Enttäuschu­ng auf eine schnelle Umsetzung. Die Bundeskanz­lerin nimmt die Dinge, wie sie kommen. Einen Plan B erarbeitet sie erst, wenn es nötig wird. Dann aber mit brutaler Konsequenz.

All das hat ihr das Prädikat „mächtigste Frau der Welt“eingebrach­t. Sie ist bei Weitem nicht allen sympathisc­h, aber Länder und Regierungs­chefs zollen ihr Respekt und haben Vertrauen in ihre Stärke. Gerade jetzt, in der Berliner Krise, wird noch einmal ganz deutlich, wie sehr Europa auf Merkel schaut. Das Scheitern von Jamaika wird von Paris bis Budapest mit Sorge verfolgt, weil Deutschlan­d derzeit nicht die sonst auch gerne beklagte Führungsro­lle ausfüllen kann. Die dienstälte­ste Regierungs­chefin Europas steht plötzlich als Verliereri­n da. Ausgerechn­et Merkel, die Moderatori­n, die Verlässlic­he, schafft es nicht, „die Enden zusammenzu­binden“, wie sie es oft formuliert.

Aber so verfahren die Lage ist, sie spornt die 63-Jährige nur an. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Sondierung­en scheitern, erst recht nicht an der Regierungs­unwilligke­it des langjährig­en Wunschpart­ners FDP. Mag sie nach dem Paukenschl­ag der Freien Demokraten mit ihrem schnittige­n Vorsitzend­en Christian Lindner in der Nacht zu Montag noch so müde und niedergesc­hlagen gewirkt haben – amtsmüde ist Merkel nicht. Vielleicht beschleich­t die FDP noch ein ungutes Gefühl wegen ihrer keck geäußerten Botschaft, sie habe keine Angst vor einer Neuwahl. Denn Merkel hat bereits den harten Kampf um die Macht aufgenomme­n. In Interviews kündigte sie ohne Umschweife ihre erneute Kanzlerkan­didatur an, wofür sie vor einem Jahr noch Monate gebraucht hatte. „Deutschlan­d braucht jetzt Stabilität“, sagt sie schlicht und er- innert an ihr Verspreche­n, dass sie für vier weitere Jahre dem Land dienen wolle. Sei’s drum, dass dann eben zweimal dafür gewählt werden muss. Es sollte den anderen Parteien eine Warnung sein, wenn Merkel über die Sondierung­en sagt: „Auch ich habe da sehr viel gelernt.“Sie könnte die Chance nutzen, den in den Sondierung­en schon ausgehande­lten parteiüber­greifenden Kon- sens mit den Grünen zum eigenen Programm zu erklären. So wie sie nach langem Widerstand gegen den Mindestloh­n der SPD nachgegebe­n hatte und dann als eigene Errungensc­haft verkaufte. An Rückzug denkt sie jedenfalls nicht.

Dabei wäre dafür jetzt eine gute Gelegenhei­t. Vor fast 20 Jahren hatte Merkel sich vorgenomme­n, irgendwann den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik zu finden, ohne ein „halbtotes Wrack zu sein“. Sollte Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier einer Neuwahl zustimmen, wäre eigentlich der richtige Zeitpunkt gekommen, sich von Kanzleramt und CDU-Vorsitz zu verabschie­den. Nicht, weil sie gescheiter­t wäre. Sondern weil sie alles erreicht hat. Die Physikerin aus der DDR ist zur mächtigste­n Frau der Welt geworden. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslos­enquote ist vergleichs­weise niedrig, das Land ist stabil trotz rechtsnati­onaler Tendenzen und Polarisier­ung.

Merkel könnte das Feld jetzt anderen überlassen. Der saarländis­chen Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r zum Beispiel. Auch wenn ein auf Wahlen basierende­r Übergang keine Garantie verspricht: Merkel ist zwar geschäftsf­ührende Bundeskanz­lerin, aber nicht Geschäftsf­ührerin eines Unternehme­ns, die über ihre Nachfolge bestimmen kann. Oder sie ließe Raum für eine Richtungsd­ebatte in der CDU darüber, ob es doch die nächste Generation, die Jüngeren, die Konservati­veren um Finanzstaa­tssekretär Jens Spahn reißen sollen, die im Übrigen jetzt auffallend still sind. Ist dann doch ganz schön schwierig und heikel, die CDU und die ganze Union mit der CSU-Schwesterp­artei sicher durch solche Wirren zu steuern.

Viele Menschen würden Merkels Abgang bedauern, aber mit Hochachtun­g aufnehmen. Merkel, die so ungewöhnli­ch uneitle Regierungs­chefin, die zwar umständlic­h formuliert und keine große Rednerin ist, aber auch keine Stimmungen anheizt und die Partei nicht über das Land stellt. Nun aber ist die Frau, die von einem selbstbest­immten Abschied aus der Politik träumte (und vielleicht auch von Zeit und Muße und Kalifornie­n), genau in jener Zwickmühle, aus der sich schon ihre Vorgänger nicht befreien konnten. Der Druck von außen und der eigene Anspruch sind zu groß, es noch einmal richten zu wollen, die eigene Erfahrung, das Wissen und auch die Härte einzubring­en, um die neuen Herausford­erungen zu meistern. Für Merkel geht es darum, ein weiteres Erstarken der AfD zu verhindern und nicht ausgerechn­et jenen das Feld zu überlassen, die doch gar nicht regieren wollen wie FDP und SPD. Es ist aber ein gefährlich­er Moment, sich für unentbehrl­ich zu halten. Helmut Kohl hat diesen Fehler gemacht und wurde nach 16 Jahren Kanzlersch­aft abgewählt. Merkel hat gerade auch ihre vierte Wahl gewonnen. Was will sie mehr?

 ??  ?? Unsere Montage imitiert das Titelbild des „Time Magazine“, das Merkel 2015 zur „Person des Jahres“kürte.
Unsere Montage imitiert das Titelbild des „Time Magazine“, das Merkel 2015 zur „Person des Jahres“kürte.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany