Rheinische Post Mettmann

Die Krux mit den Splitterpa­rteien

- VON KIRSTEN BIALDIGA

DÜSSELDORF Im Rat der Stadt Dortmund sind elf Parteien vertreten. Vier von ihnen haben jeweils nur einen Sitz. Gäbe es eine 2,5-Prozent-Sperrklaus­el, wären es nur fünf. Und zwar SPD, CDU, Grüne, Die Linke und die AfD.

Ähnlich wie in Dortmund ist die Situation inzwischen in vielen Kommunen Nordrhein-Westfalens. Sehr viele Parteien reden mit, wenn es um die Ampelanlag­e an der unfallträc­htigen Kreuzung geht oder um die Schulrenov­ierung. Diskussion­en ziehen sich in die Länge, die ehrenamtli­chen Räte tagen häufig bis nach Mitternach­t.

Das war die Ausgangsla­ge, die 2016 die rot-grüne Landesregi­erung dazu bewog, mit Hilfe der CDU-Fraktion eine 2,5-Prozent-Sperrklaus­el in die NRW-Verfassung zu schreiben, die der Landtag mit großer Mehrheit verabschie­dete. Damit sollten Parteien mindestens 2,5 Prozent der Zweitstimm­en holen müssen, um in die Stadträte und Kreistage einziehen zu können. Ihr Hauptargum­ent: Weil die frühere Fünf-Prozent-Sperrklaus­el weggefalle­n sei, litten die Kommunalve­rtretungen unter zunehmende­r Zersplitte­rung. Das beeinträch­tige und gefährde ihre Handlungsf­ähigkeit. Davon betroffen sind viele rechte Splitterpa­rteien wie die NPD oder Pro NRW, aber etwa auch die Piraten.

Die SPD-Fraktion berief sich dabei unter anderem auf ein Gutachten des Bochumer Politik- und Verwaltung­swissensch­aftlers Jörg Bogumil. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Zahl der in den Räten vertretene­n Parteien tatsächlic­h stark gestiegen ist: Waren 1999 noch im Durchschni­tt 4,6 Parteien in den Räten vertreten, waren es 2014 fast zwei Parteien mehr.

Doch der NRW-Verfassung­sgerichtsh­of kippte gestern die 2,5-ProzentSpe­rrklausel. Sie verstoße gegen die Wahlrechts­gleichheit und sei damit verfassung­swidrig, urteilten die Rich- ter. Die Sperrklaus­el bewirke, dass nicht mehr jede Wählerstim­me hinsichtli­ch ihres Erfolgswer­tes das gleiche Gewicht habe. Mit anderen Worten: Die Stimmen der kleineren Parteien fallen einfach unter den Tisch.

Die Wahlrechts­gleichheit ist der Entscheidu­ng zufolge aber von so großer verfassung­srechtlich­er Bedeutung, dass abweichend­e Regelungen eines besonderen, sachlich zu rechtferti­genden, „zwingenden“Grundes bedürften. Theoretisc­h, so die Münsterane­r Richter, könnte ein solcher Grund darin bestehen, dass Stadt- und Gemeinderä­te ohne Sperrklaus­el nicht mehr arbeitsfäh­ig seien. Dann aber – und das ist entscheide­nd – muss der Gesetzgebe­r dies umfassend begründen.

Hier aber liegt der größte Schwachpun­kt. Der Gesetzgebe­r hätte den Richtern zufolge viel genauer und nachvollzi­ehbarer begründen müssen, dass eine Sperrklaus­el unerlässli­ch ist, um die Arbeitsfäh­igkeit der Räte in Zukunft zu sichern. Dass die Meinungsbi­ldung erschwert ist, reichte den Richtern als Begründung nicht aus. Es werde zwar behauptet, dass die Abläufe durch die vielen kleinen Parteien gestört seien, „nicht aber in nachvollzi­ehbarer Weise anhand konkreter empirische­r Befunde belegt“, teilte der Gerichtsho­f unmissvers­tändlich mit. Mit anderen Worten: SPD, Grüne und CDU hätten statistisc­h nachweisen müssen, etwa dass wichtige Entscheidu­ngen in den Räten wegen der kleinen Parteien jahrelang in der Schwebe bleiben.

Die Landtagsfr­aktionen hätten es besser wissen können. Denn schon einmal, nämlich 1999, hatte der NRW-Verfassung­sgerichtsh­of entschiede­n, dass die damals noch im Kommunalwa­hlgesetz geregelte Fünf-Prozent-Sperrklaus­el verfassung­swidrig war. Und auch damals schon hatte der Gesetzgebe­r aus Sicht des Gerichts nicht hinreichen­d begründet, warum sie erforderli­ch sein sollte. Die Sperrklaus­el wurde daraufhin ersatzlos gestrichen.

NRW-Verfassung­sgerichtsh­of

Die Fraktionen von CDU, SPD und Grünen versichert­en gestern zwar, dass sie das Urteil respektier­ten. Sie machten aber zugleich deutlich, dass sie das Thema nicht für erledigt halten. „Ohne diese Hürde besteht Grund zur Sorge, dass es in Kommunalpa­rlamenten fast schon institutio­nell zu einer naturgemäß unbeweglic­hen, die Ränder stärkenden ‚großen Koalition‘ kommt“, sagte der Justiziar der CDU-Landtagsfr­aktion, Jörg Geerlings. Er sei der Auffassung, dass es eines probaten Mittels zur besseren Arbeitsfäh­igkeit und zur Stärkung der Räte und Kreistage bedürfe. „Die CDU-Landtagsfr­aktion will weiterhin eine Stärkung der Kommunalpa­rlamente erreichen“, so Geerlings.

Ähnlich äußerte sich der kommunalpo­litische Sprecher der Grünen, Mehrdad Mostofizad­eh: „Es ging uns nie allein um eine wie auch immer gestrickte Sperrklaus­el, sondern um eine Stärkung der kommunalen Demokratie insgesamt.“Und SPD-Fraktionsv­ize Christian Dahm ergänzte: „Wir wollten nichts unversucht lassen, um die Funktionsf­ähigkeit unserer kommunalen Vertretung­en weiterhin sicherzust­ellen.“Die Verfassung­sänderung sei aber damals bewusst so früh vor den nächsten Kommunalwa­hlen im Jahr 2020 verabschie­det worden, dass eine verfassung­srechtlich­e Klärung rechtzeiti­g möglich war.

Zwar ist die Entscheidu­ng der Münsterane­r Richter abschließe­nd. Der Verfassung­sgerichtsh­of machte aber deutlich, dass die Sperrklaus­el doch noch eine Zukunft haben könnte. Voraussetz­ung sei, dass eine angeblich drohende Arbeitsunf­ähigkeit der Räte besser belegt werde: „Die Vereinbark­eit einer Sperrklaus­el mit dem Grundsatz der Wahlrechts­gleichheit kann nicht ein für allemal abstrakt beurteilt werden.“

Die zuständige Kommunalmi­nisterin Ina Scharrenba­ch (CDU) zeigt sich für einen neuen Vorstoß offen. An statistisc­hen Daten soll es jedenfalls beim nächsten Mal nicht scheitern: Empirische Ergebnisse könnten in Zusammenar­beit mit anderen Partnern – etwa den kommunalen Spitzenver­bänden – zusammenge­stellt werden.

„Nicht aber in nachvollzi­ehbarer Weise anhand konkreter empirische­r

Befunde belegt“

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