Rheinische Post Mettmann

Steinmeier als Krisenmana­ger

- VON JAN DREBES UND THOMAS LANIG

Der Bundespräs­ident redet den Parteien ins Gewissen – vor allem der eigenen. Seine Botschaft: Die einfachste Lösung muss nicht die beste sein.

BERLIN (RP/dpa) Diplomatis­ches Geschick wird ihm ja bescheinig­t nach acht Jahren als Außenminis­ter. Frank-Walter Steinmeier weiß, wann es auf ihn ankommt, in internatio­nalen Konfliktla­gen wie der Ukraine oder dem Iran, oder eben jetzt, in der innenpolit­ischen Sackgasse nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung­en. Dass er dabei ausgerechn­et vor allem der SPD ins Gewissen reden muss, macht seine Mission besonders schwierig.

Der sonst eher machtlose Bundespräs­ident ist nun in einer zentralen Rolle. Artikel 63 des Grundgeset­zes regelt das. Vom Staatsober­haupt hängt am Ende ab, ob es zu Neuwahlen kommt oder zu einer Minderheit­sregierung. Vorher allerdings knöpft er sich noch einmal die Parteichef­s vor. Mit Kanzlerin Angela Merkel traf er sich schon am Montag, mit FDP und Grünen sprach er gestern jeweils eine knappe Stunde. CSU-Chef Horst Seehofer kommt heute, SPD-Chef Martin Schulz morgen. Geht vielleicht doch noch eine Koalition, Schwarz-Gelb-Grün oder Schwarz-Rot?

Ein mögliches Ergebnis dieser und weiterer Gespräche wäre, dass die FDP an den Verhandlun­gstisch für ein Bündnis mit CDU, CSU und Grünen zurückkehr­t, nachdem FDP-Chef Christian Lindner in der Nacht zu Montag die Jamaika-Sondierung­en abgebroche­n hatte. Ein weiterer Weg um eine Neuwahl herum wäre, dass sich die SPD Gesprächen über eine große Koalition mit der Union doch noch öffnet. Nach aktuellem Stand erscheint beides jedoch unwahrsche­inlich. Auch die dritte Option, eine von der Union angeführte Minderheit­sregierung etwa mit den Grünen, gilt als wenig aussichtsr­eich. Vor allem, nachdem die noch geschäftsf­ührende Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gesagt hatte, sie stehe dieser Option sehr kritisch gegenüber.

Nach seiner sehr deutlichen Ansprache an alle Parteien am Montag ist zu erwarten, dass der Bundespräs­ident im Gespräch mit Martin Schulz auch die kategorisc­he Verweigeru­ngshaltung der Sozialdemo­kraten gegenüber einer großen Koalition kritisiert und den Druck auf Parteikoll­ege Schulz erhöht, nicht nur die eigenen Präferenze­n in den Blick zu nehmen.

Am Montag hatte der SPD-Vorstand einstimmig einen Beschluss gefasst, wonach die Partei trotz der gescheiter­ten Sondierung­en für keine weitere große Koalition zur Verfügung stehe. Schulz machte später deutlich, dass diese Entscheidu­ng unabhängig von der Frage stehe, ob Angela Merkel Kanzlerin bleibt oder nicht. Nach einer Neuwahl freilich wollen sich Schulz und seine Genossen diese Option wieder offenhalte­n.

In Partei und Fraktion gibt es Gemurre über diesen Kurs, wenn auch nicht sehr laut. Einzelne Genossen würden eine Neuwahl einer weiteren großen Koalition vorziehen, kaum jemand sagt das aber öffentlich. Für den Moment wollen sie das Gespräch zwischen Steinmeier und Schulz abwarten. Da man sich in einer noch nie dagewesene­n Lage befände, seien Beschlüsse wie das Nein zur großen Koalition zwar richtungsw­eisend, hieß es gestern aus SPD-Kreisen. Allerdings sei es grundsätzl­ich schwierig, derzeit mit solchen Absolutism­en zu agieren. Im Klartext: Steigt der Druck auf die SPD ins Unermessli­che, könnte es vielleicht doch noch einen Weg in die große Koalition geben.

Das wäre möglicherw­eise dann der Fall, wenn Steinmeier Merkel als Kanzlerin vorschlage­n würde, und die CDU-Chefin bereits im ersten Wahlgang vom Bundestag gewählt würde. Dann wäre eine Neuwahl zunächst abgewendet, und es läge an Merkel, Verhandlun­gen für ein Jamaika-Bündnis oder eine große Koalition neu aufzunehme­n. Offen scheint bis dato die Frage, ob sich die Parteichef­s dann nicht noch einmal anders entscheide­n würden.

Zweite Möglichkei­t: Als gewählte Kanzlerin könnte Merkel die Vertrauens­frage stellen, um eine Neuwahl herbeizufü­hren. Dazu müsste ihr aber eben jene Mehrheit wieder entzogen werden, mit der sie kurz zuvor zur Kanzlerin gewählt wurde – ein ebenso vertrackte­s Szenario.

Ungeachtet der Bemühungen des Bundespräs­identen und den damit verbundene­n Aussichten beginnen die Parteien aber bereits, sich auf einen etwaigen Wahlkampf einzustell­en. Und es kursieren bereits mögliche Daten, wann eine Neuwahl angesetzt werden könnte. So war gestern der 22. April im Gespräch; aus SPD-Kreisen hieß es, man halte einen Wahltermin Ende März für wahrschein­licher. Letztlich bleibt all dies noch völlig offen.

Unterdesse­n hat der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, Heinrich BedfordStr­ohm, einen drängenden Appell an die politisch Verantwort­lichen gerichtet: „Die kommenden Wochen werden richtungsw­eisend für die politische Kultur unseres Landes sein. Wo kurzfristi­ges Taktieren und populistis­che Zuspitzung­en das letzte Wort haben, nimmt die politische Kultur Schaden“, sagte Bedford-Strohm. Es gehe hier auch um internatio­nale Verantwort­ung. „Ich appelliere an alle Verantwort­lichen, in dieser Situation das parteiüber­greifende Gemeinwohl unseres Landes fest im Blick zu behalten.“Deutschlan­d habe viel zu verlieren. Eine hart erarbeitet­e politische Kultur von Stabilität und Verlässlic­hkeit stehe auf dem Spiel, sagte BedfordStr­ohm und fügte hinzu: „Ich schließe alle politisch Handelnden in meine Fürbitte ein.“

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FOTO: DPA Die Parteispit­ze der Grünen nahm sich Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier gestern zuerst vor: Cem Özdemir und Simone Peter.

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