Rheinische Post Mettmann

Jamaika-Aus gibt den Grünen Aufwind

- VON BIRGIT MARSCHALL

Die Öko-Partei hat sich in den Sondierung­en mit Union und FDP als einig, kompromiss­bereit und standhaft erwiesen. Das zahlt sich aus.

BERLIN Der Paukenschl­ag der FDP hat die Grünen erschütter­t und enttäuscht. „Ich glaube, wir brauchen jetzt alle eine Therapie“, sagte Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpr­äsident Robert Habeck. Auch in der Bundestags­fraktion am Montagnach­mittag herrschte Frustratio­n. Aber eines sind sie nicht, die Grünen: Unzufriede­n mit sich selbst. Das 14-köpfige Sondierung­steam habe so gut wie alles richtig gemacht. Aufstellun­g und Strategie während der Verhandlun­gen seien aufgegange­n, heißt es unisono.

Es sieht ganz so aus, als sei dies auch der überwiegen­de Eindruck in der Bevölkerun­g nach dem gescheiter­ten Jamaika-Experiment. Dass die Grünen trotz erhebliche­r Differenze­n zur Union und zur FDP einen pragmatisc­hen, konstrukti­ven Kurs gefahren haben, scheint in der Öffentlich­keit hängengebl­ieben zu sein. Die Öko-Partei war am Ende sogar bereit, weitgehend­e Zugeständn­isse in der Flüchtling­spolitik zu machen, um dafür im Gegenzug wichtige Erfolge in der Klima-, Umwelt- und Europapoli­tik zu erzielen. Die Grünen stellten damit nicht nur ihre Ernst- und Standhafti­gkeit unter Beweis, sie konnten auch ihr Profil als Umweltpart­ei schärfen.

Das zahlt sich offenbar aus: In einer Blitzumfra­ge des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa schnitten die Grünen als einzige Partei besser ab als vor den Sondierung­en. Sie kamen auf zwölf Prozent und teilten sich damit Platz drei mit der AfD. Bei der Bundestags­wahl landeten sie mit 8,9 Prozent nur auf Platz fünf. „Selbst Leute, die nicht zu unserer Kernwähler­schaft gehören, haben uns viel Erfolg bei den Verhandlun­gen gewünscht. Es gibt eine Wertschätz­ung unserer Arbeit, die weit über unsere engere Wählerscha­ft hinausgeht“, hat der GrünenPoli­tiker Gerhard Schick beobachtet. „Wir haben die Sondierung­en ernst genommen und dafür Kompromiss­angebote bis an unsere Schmerzgre­nze gemacht“, sagte der Anführer der Parteilink­en, Jürgen Trittin. Die FDP „stand mit ihrer Verweigeru­ng von Verantwort­ung am Ende allein.“Das war das Kalkül von Strategen wie Trittin im Falle eines Scheiterns: Nicht die Grünen sollten den Schwarzen Peter erhalten. Deshalb blieben die Grünen trotz aller Zumutungen von FDP oder CSU am Verhandlun­gstisch. Für die Grünen war das nie einfach. Es gehöre „einfach zur Wahrheit, dass die Gespräche unglaublic­h schwierig waren“, sagte Habeck „Spiegel Online“. Auch die Grünen hätten mehr als ein dutzend Mal an Abbruch gedacht, aber uns immer wieder mühsam zusammenge­rauft.

Den Unterschie­d machte die innere Verfassung der Partei: Anders als die FDP waren die Grünen nach zwölf Jahren Opposition einig, bereit und auch selbstbewu­sst genug, einen Pakt mit den Gegnern einzugehen. Auch auf dem Parteitag am Samstag, der nun weniger brisant sein wird, erwarten selbst Parteilink­e keine größeren Auseinande­rsetzungen. „Ich gehe nicht davon aus, dass es auf dem Parteitag eine harte kritische Debatte gibt. Die Zufriedenh­eit mit der Arbeit des Sondierung­steams ist groß“, sagte Schick.

INTERVIEW MARIE-AGNES STRACK-ZIMMERMANN

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