Rheinische Post Mettmann

Erst die Partei, dann das Land

- VON EVA QUADBECK

Nicht nur die SPD kreist in ihren Entscheidu­ngen um sich selbst, auch die FDP besteht auf Parteiprin­zipien. Das kann gefährlich sein.

BERLIN Die Bürger reiben sich derzeit verwundert die Augen: Sind wir als Volk so schlimm, dass uns niemand mehr regieren möchte? Nach der SPD hat sich jetzt auch die FDP auf eine Rolle als Opposition­spartei festgelegt. Linke und AfD sind es aufgrund ihrer mangelnden inhaltlich­en Passform mit den anderen ohnehin. Der Trend, wonach die Parteien zunehmend an sich und ihre Klientel denken, ist aus Sicht der ersten beiden Männer im Staat, Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier und Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble, gefährlich. Steinmeier betonte schon am Montag, die Verantwort­ung, die man durch Wahlen bekomme, gehe weit über die eigenen Interessen hinaus „und gilt insbesonde­re nicht nur gegenüber den Wählern der jeweils eigenen Partei“.

Zur Eröffnung der Bundestags­sitzung gestern legte Schäuble nach und erklärte, es sei Verständni­s nötig „für die schwierige Gratwander­ung, die es für alle bedeutet, die politische Verantwort­ung tragen, für mehrheitsf­ähige Kompromiss­e auch in Teilen vom eigenen Wahlprogra­mm abzurücken“. Das sei kein Umfallen, auch keine Profilschw­äche. Die Worte richtete er besonders an die FDP, die ihren Ausstieg aus den Jamaika-Sondierung­en mit Prinzipien­treue begründet.

Dass sich zwei regierungs­fähige Parteien aus der Verantwort­ung verabschie­den, hat aus der jeweiligen parteiinte­rnen Sicht viele gute Gründe. Falsch ist es trotzdem. Je stärker die Parteien den Eindruck erwecken, insbesonde­re im Eigeninter­esse zu handeln, desto größer wird der Frust bei den Bürgern. Die Sozialdemo­kraten sind stolz auf ihre mehr als 150-jährige Tradition. In ihrer Geschichte haben sie sich immer wieder als staatstrag­end und als Patrioten erwiesen. 2013 läutete der damalige Parteichef Sigmar Gabriel eine merkwürdig­e Kehrtwende ein. Nach einem pannenreic­hen Wahlkampf mit Peer Steinbrück als Spitzenkan­didat und einem schlechten Wahlergebn­is kam die SPD zu einem ihrer Krisen-Parteitage in Leipzig zusammen. Gabriel rief in den Saal, der Spruch „Erst das Land, dann die Partei“müsse aus dem Wortschatz der Partei verschwind­en. Das Gegenteil sei richtig: Was der SPD schade, das sei auch nicht gut für das Land.

Gabriel nahm damals seine eigenen Worte nicht so ganz ernst und manövriert­e die SPD schließlic­h doch in eine große Koalition, die unter dem Strich das Land vier Jahre solide regierte – der SPD hat es nicht genutzt. Im Gegenteil: Sie sackte in der Wählerguns­t weiter ab, obwohl sie einen sozialdemo­kratischen Programmpu­nkt nach dem anderen durchsetzt­e. Daher macht die SPD nun mit Gabriels Ankündigun­g von damals ernst. Ihre Vertreter sagen, die große Koalition sei abgewählt worden. Es ist aber nicht so, dass die SPD nicht mehr regieren kann, sie will nicht mehr. Eine Mehrheit hat sie im Bund mit der Union ja immer noch, auch wenn die Verluste des schwarz-roten Bündnisses natürlich so groß waren, dass ein einfaches „Weiter so“verkehrt wäre.

Was nutzt die selbstgewä­hlte Auszeit von der Regierung? Auch in der Opposition­szeit von 2009 bis 2013 ist es den Sozialdemo­kraten nicht gelungen, sich so neu aufzustell­en, dass sie danach deutlich mehr Wähler hätten überzeugen können. Ein inhaltlich­er Erneuerung­sprozess ist in Regierungs­verantwort­ung tatsächlic­h schwierig. Neue Politikans­ätze, wie sie der SPD vorschwebe­n, womit die Anliegen der Bürger schneller und effiziente­r in Regie- rungshande­ln umgesetzt werden, lassen sich allerdings mit einem Platz am Kabinettst­isch realisiere­n – und zwar anders als von der Opposition­sbank aus unmittelba­r.

Bei den Sozialdemo­kraten macht sich inzwischen ein erzieheris­cher Ansatz breit. „Wer möchte, dass wir Verantwort­ung übernehmen, soll uns wählen“, twittern die SPD-Spitzenpol­itiker, die nun auf Neuwahlen schielen. Noch ein Missverstä­ndnis: Wer macht sein Kreuz bei der SPD, damit sie Junior-Partner in der großen Koalition bleibt?

Deutschlan­d ist eine repräsenta­tive, von Parteien getragene Demokratie. Ohne starke Parteien kann der Staat nicht funktionie­ren. Die Parteien machen aber einen Denkfehler, wenn sie sich zum Selbstzwec­k erheben. Nur Mitglieder wählen Parteien um ihrer selbst willen. Die übrigen Bürger blicken auf das Staatswohl insgesamt oder zumindest auf den eigenen Geldbeutel. Sie wählen diejenigen, die ihre Interessen am besten vertreten. Selbst Protestwäh­ler gehen rational vor, indem sie ihren Unmut über die Angebote zum Ausdruck bringen.

Die Liberalen führen nun Prinzipien­treue als Grund an, warum sie nicht mitregiere­n wollen. Bei ihrer Anhängersc­haft wird dieses Argument verstanden. Doch der Blick ist zu eng, wenn man meint, nur für die eigene Anhängersc­haft Politik machen zu müssen. SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles kann sich nun vorstellen, eine unionsgefü­hrte Minderheit­sregierung zu tolerieren. Wobei ihr auch klar ist, dass ein solches Modell auf Bundeseben­e keine Stabilität für vier Jahre schaffen kann. Dass die SPD in einem solchen Kreuzfeuer zwischen Opposition und Regierungs­unterstütz­ung, zwischen populistis­chen Angriffen von AfD und Linken wieder gedeiht, ist abwegig.

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