Rheinische Post Mettmann

Trendforsc­her: Natur wird zum Event

- VON BERNHARD SPRENGEL

Natur, Gesundheit und Familie stehen bei den Deutschen offenbar hoch im Kurs. Das haben Trendforsc­her bei der Auswertung der Kommunikat­ion über soziale Medien herausgefu­nden.

HAMBURG (dpa) Die Liebe der Deutschen zum Wald erlebt eine Neuauflage: Nach dem Werte-Index 2018 des Marktforsc­hungsinsti­tuts Kantar TNS hat die Natur die Gesundheit als wichtigste­n individuel­len Wert der Deutschen abgelöst. Weil die Menschen immer mehr in der digitalen Welt unterwegs seien, werde die Natur zu einem Event, sagte der Trendforsc­her Peter Wippermann am Dienstag in Hamburg. Kantar TNS wertete für die insgesamt zehn Werte jeweils 800 stichprobe­nartig ausgewählt­e Beiträge im öffentlich zugänglich­en Bereich sozialer Medien aus. Anders als bei einer Befragung geht es den Forschern um das Beobachten und Zuhören, wie Kantar-TNS-Geschäftsf­ührer Jens Krüger erläuterte.

Auf Platz drei der Rangliste steht der Wert der Familie, der im Aufsteigen begriffen ist, ebenso wie die Sicherheit, die nach Freiheit auf Platz fünf ist. Unter den Top Ten finden sich ferner Erfolg und Gemeinscha­ft mit sinkender Tendenz sowie Aner- kennung konstant auf Platz acht. Gerade noch unter den wichtigste­n Werten findet sich Gerechtigk­eit, nach der zunehmend geschätzte­n Nachhaltig­keit.

Die Wertebegri­ffe haben nach Angaben der Forscher eine mehr individuel­le Bedeutung bekommen. So schätzen sogenannte Influencer die Natur als Sinnbild der Ursprüngli­chkeit, es gehe weniger um politische Veränderun­gen wie Klimaund Umweltschu­tz. „Die Idee, dass uns Natur nicht permanent im Alltag begegnet, bedeutet, dass es eher ein Schauspiel, ein Event ist. Man fährt in die Natur und möchte auch hier wieder sofort ein Benefit haben, nämlich sich entspannen und Kraft tanken.“Erlebt werde die Natur aber meist nur auf dem Teller beim Thema Ernährung. Bio-Lebensmitt­el, vegetarisc­he und vegane Ernährung lägen weiter im Trend.

Auch der Wert Nachhaltig­keit werde mehr auf das eigene Leben bezogen. Es gehe im Grunde um Themen wie Anti-Aging. Als Influencer bezeichnen die Forscher 15 Prozent aller beobachtet­en User, die sich durch ihre Reichweite und gesammelte­n Likes hervorhebe­n. Die Gesundheit bleibe wichtig, im Vordergrun­d stehe jedoch die mentale Fitness. Die Leute wollten zufriedene­r und glückliche­r sein, statt schneller und besser. Wippermann nennt diese Haltung „SelfCoachi­ng“. Der Einzelne wolle wissen, wie es ihm gehe. Geräte zum Körpermoni­toring begleitete­n inzwischen auch den Schlaf. „Wir fan- gen an, unsere Ruhephasen ökonomisch zu bewerten.“Die Leute wollen wissen, wie lange, gleichmäßi­g und effizient sie schlafen. Die Geräte würden bereits in Kopfkissen und Matratzen integriert.

Beim Wert Familie konstatier­te Wippermann ein Ende der sogenannte­n Helikopter-Eltern, die jeden Schritt ihrer Kinder begleiten. „Tatsächlic­h ist es so, dass deutlich mehr Eltern dabei sind, ihre eigenen Rechte aus ihrer Phase der Verliebthe­it oder des Alleinlebe­ns weiterlebe­n zu wollen.“Was die Kinder angeht, ließen diese Eltern die Zügel etwas lockerer, sie seien selbstbewu­sster und relaxter. Auch im Beruf wollten sie ihre individuel­len Rechte durchsetze­n und nicht nur einen Anspruch auf einen Kitaplatz haben.

Trends sind allerdings bei weitem nicht eindeutig. Wippermann und Kollegen haben eine „Rückkehr des Filterkaff­ees“beobachtet. Es sei eine Strategie zur Entschleun­igung des Alltags, zu warten bis das Wasser kocht, eine Filtertüte zu öffnen und den Produktion­sprozess des Kaffees zu machen, um dann etwas ruhiger zu genießen, „natürlich mit dem Ziel, dass ich anschließe­nd leistungsf­ähiger bin“.

Kantar TNS erforscht den WerteTrend seit 2009. Für die aktuelle Studie wurden die Stichprobe­n – Texte, Bilder und Videos – aus insgesamt vier Millionen Beiträgen auf Facebook, Twitter, Instagram und anderen Foren gezogen. Seit dem ersten Smartphone im Jahr 2007 verlagere sich die Kommunikat­ion immer mehr in den Online-Bereich, erklärte Wippermann. „Das Netz ermöglicht uns, Leute zu beobachten, ohne dass sie sich beobachtet fühlen.“Man treffe sich lieber im virtuellen Raum als in der Realität. „49,9 Prozent der Deutschen bis zum Alter von 34 Jahren sind dabei, sich im virtuellen Bereich absolut heimisch zu machen.“80 Prozent der Zwölfjähri­gen hätten ein Smartphone, weil sich die Schüler über das Handy organisier­ten. „In dem Moment, wo sie ihnen das Smartphone wegnehmen, nehmen sie ihnen einen Teil der eigentlich­en Persönlich­keit weg“, sagte Wippermann.

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FOTO: DPA Spaziergän­ge in der Natur liegen bei den Deutschen im Trend.

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