Rheinische Post Mettmann

Der unheimlich­e Herr Trifonov

- VON WOLFRAM GOERTZ

Der russische Pianist Daniil Trifonov hat eine neue CD aufgenomme­n und gab einen Klavierabe­nd in der Düsseldorf­er Tonhalle.

DÜSSELDORF Vor ein paar Jahren hat er noch in der Stadthalle in Mülheim an der Ruhr gespielt, die Bosse seiner Plattenfir­ma hatten ihn durch die Welt geschickt, also auch in die Dörfer, sie wollten kein Risiko eingehen, der junge Mann sollte systematis­ch aufgebaut werden und viele Podien betreten, dazu zählten auch Konzerte in der Provinz. Zeitgleich entwarfen sie ein CD-Cover, das den jugendlich­en Klinkenput­zer zeigt, wie er aus der New Yorker Subway ans Tageslicht klettert, fein im Anzug mit Krawatte, und nicht an irgendeine­r Adresse, sondern in Midtown Manhattan. Noble Gegend, viel Kapital.

Dort, in der Carnegie Hall, dem berühmtest­en und gefürchtet­sten Konzertsaa­l der Welt, hatte er eine Solo-Platte aufgenomme­n, die der Welt neben Musik den ungeheuren Wahnsinn vor Ohren führte, in der Carnegie Hall live aufzunehme­n. Es war eine Dreistigke­it ohnegleich­en, ein Vabanque-Spiel, das er indes mit größter Mühelosigk­eit gewann. Klavierstü­cke von Skrjabin und Liszt, das sind die gefährlich­en Gorgonen der Klassik, für den Spieler wie für die Hörer, doch der junge Mann spielte uns alle schwindlig, bis wir vor Staunen erstarrt waren.

Seitdem hat sich die Welt an einigen Stellschra­uben verändert, ach was, die Schrauben drehen längst durch, wenn von Daniil Trifonov die Rede ist. Es gibt – Lang Lang ausgenomme­n – keinen Pianisten von Weltrang, der in diesen Tagen eine derartige Hysterie erzeugt wie der 1991 in Nischni Nowgorod geborene Russe. Sein neues Chopin-Album bei der Deutschen Grammophon schoss kurz nach Veröffentl­ichung durch die Decke, und wo er spielt, sind die Karten binnen kurzer Zeit ausverkauf­t.

So auch in der Düsseldorf­er Tonhalle, wo Trifonov diese ChopinPlat­te ebenfalls ausgiebig bewirbt, indem er ihr die ganze erste Hälfte des Programms widmet. Da gibt es lauter Chopin in Ableitunge­n, also kleine Meta-Stücke und Meta-Variatione­n von Federico Mompou (dem Spanier), Peter Tschaikows­ki (dem Russen), Samuel Barber (dem Amerikaner), Edvard Grieg (dem Norweger) und Robert Schumann. Kaum ist ein Stück zuende, beginnt schon das nächste, nirgendwo kommt man zur Ruhe, nirgendwo wird man dieses Herrn Trifonov habhaft, von dem alle so bannende Geschichte­n erzählen.

Jedenfalls kann man bei Mompou zwischen lauter ausgereizt­en Akkorden, die ein bisschen Richtung Jazz kommt, weil seine Haare wie eine Gardine vor seine Augen fallen, wie ein Vorhang zwischen Künstler und Außenwelt. In dieses Innere möchte man gern vorgelasse­n werden, aber Trifonov bittet uns einstweile­n nur auf die Schwelle. Der ganze erste Teil ist eine Initiation, eine vorbereite­nde Übung, die etwas Feierliche­s, Erhabenes besitzt, auch wenn am Ende der Mompou-Variatione­n fast frivol galoppiert wird.

Der Abend läuft unerbittli­ch und sehr konsequent auf Chopins große b-Moll-Sonate zu. Dieser Erwar- tungsdruck wird ein weiteres Mal erhöht, indem Trifonov auch noch Rachmanino­ws Chopin-Variatione­n zwischensc­haltet, bei denen man abermals begreift, was für eine unfassbare Technik dieser Pianist besitzt, der jedes Piano in 50 Schattieru­ngen aufbricht.

Doch in der b-Moll-Sonate wird es ernst, weil Trifonov nun nicht etwa donnert und glänzt und lauter furiose Dinge und Effekte in die lauernde Arena schickt, sondern weil er sich darauf konzentrie­rt, die Materie zu zelebriere­n. Nicht dass er im Kopfsatz besonders langsam spielt, aber wir bemerken unverkennb­ar die Haltung des Auskostend­en, des Genießers; da ist einer in die Akkorde verliebt, die er aus dem Flügel holt, aber sie sind eben keine bloßen Ballungen mehrerer Töne, sondern Momente des Treffens und Vereinigen­s. Zugleich sind sie für Trifonov Wolkenkrat­zer, deren Geheimniss­e in einer sehr weiten Vertikale und teilweise auch in den Wolken liegen.

Von dort nämlich, von ganz oben, aus dem Glockentur­m der Musik, hallt dann der dritte Satz, der Trauermars­ch, zu uns herab. Das ist kein Marsch, sondern die zu Musik gewordene Angst vor dem nächsten Ton und Schritt, eine Prozession der Gelähmten, Schweigend­en, Sprachlose­n. Unheroisch­er hat man diesen Satz nie gehört, aber es ist grandios, wie Trifonov die Spannung aushält, und fast unheimlich wird einem zumute, wenn dieser Mühsal der Füße die Antwort des Himmels zuteil wird: wenn im Mittelteil diese DesDur-Melodie ihre Kreise zieht, ist es, als falle eine Sternschnu­ppe in äußerster Langsamkei­t vom Firmament. Das ist ein unglaublic­her Moment, für den sich sämtliche vorbereite­nden Übungen des Abends gelohnt haben. Im Finale, diesem Irrlichter­n von Tonleitern, löst sich dann alles in einem Nebel auf, aus dem lediglich alle paar Sekunden ein Positionsl­icht aufflacker­t.

Das ist Klavierspi­el an den Grenzen. Doch mit wem verliert man lieber die Orientieru­ng als mit Trifonov? Großer Jubel, eine Zugabe.

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FOTO: SUSANNE DIESNER Daniil Trifonov bei seinem Klavierabe­nd in der Düsseldorf­er Tonhalle.

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