Rheinische Post Mettmann

INTERVIEW BURKHARD HEUEL-FABIANEK Radioaktiv­ität weist auf Zwischenfa­ll hin

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An mehreren Orten in Europa wurden erhöhte Werte eines radioaktiv­en Stoffes gemessen, die höchsten Werte in Russland. Der Leiter für Sicherheit und Strahlensc­hutz des Forschungs­zentrums in Jülich spricht über mögliche Ursachen.

DÜSSELDORF Ende September maßen mehrere Institute erhöhte Werte von radioaktiv­em Ruthenium1­06 in Europa. Als Quelle vermuteten sie eine russische oder kasachisch­e Kernkraft-Anlage. Nun bestätigte auch der russische Wetterdien­st, dass Ende September in Teilen des Landes eine „äußerst hohe“Konzentrat­ion von radioaktiv­em Ruthenium-106 festgestel­lt wurde. Eine besonders hohe Konzentrat­ion wurde demnach nahe dem Atomkraftw­erk Majak gemessen.

1957 ereignete sich einer der schlimmste­n Atomunfäll­e der Geschichte in Majak. Heute dient die Anlage der Wiederaufb­ereitung abgebrannt­er nuklearer Brennstoff­e. Dass es in dem Werk erneut zu einem Unfall gekommen ist, bestreiten die russischen Behörden. An mehreren Orten in Europa, darunter auch in Deutschlan­d, wurden Ende September erhöhte Werte von Ruthenium-106 festgestel­lt. Was ist das für ein Stoff? HEUEL-FABIANEK Es handelt sich dabei um einen radioaktiv­en Stoff. In der Medizin wird er beispielsw­eise in der Strahlenth­erapie gegen Tumore verwendet. Das bedeutet, er ist für den Menschen schädlich. HEUEL-FABIANEK Er ist zellschädi­gend, sonst würde man ihn nicht in der Strahlenth­erapie einsetzen. Ruthenium-106 kann auf wenige Millimeter Gewebe zerstören. Natürlich passiert das dann auch mit dem gesunden umliegende­n Gewebe. Bei einer Krebsbehan­dlung nimmt man das aber in Kauf. In Russland wurde in der Woche vom 25. September bis 7. Oktober eine Konzentrat­ion von Ruthenium-106 gemessen, die das 986-fache des erlaubten Werts betragen hat. Wie gefährlich ist das für die Menschen dort? HEUEL-FABIANEK Es ist immer Anlass zur Sorge, wenn radioaktiv­e Stoffe in zu hoher Konzentrat­ion in die Umwelt geraten. Aber ob sie wirklich gefährlich sind, hängt von vielen Faktoren ab. Beispielsw­eise stellt sich die Frage, wie nah am Boden der Stoff ausgesetzt wurde? Und ob dort überhaupt Menschen leben. Aber das ist alles Spekulatio­n, so lange man nicht genau weiß, was dort passiert ist. Die Messstatio­n, die den höchsten Wert gemessen hat, liegt in Argajasch, einem Dorf in der Region Tscheljabi­nsk im südlichen Ural an der Grenze zu Kasachstan. Es ist nur 30 Kilometer von dem Atomkraftw­erk Majak entfernt. Um was für eine Anlage handelt es sich dabei? HEUEL-FABIANEK Zu Zeiten der Sowjetunio­n war das ein höchst geheimer Ort. Es war damals eine Aufbereitu­ngsanlage für Atomkraftw­erke und Atombomben. Heutzutage wird dort kernkraftf­ähiges Material wiederaufb­ereitet.

Was bedeutet das? HEUEL-FABIANEK Das bedeutet, dass dort Material aus Kernkraftw­erken so aufbereite­t wird, dass man es erneut benutzen kann. In der Bundes- republik ist diese Praxis verboten. Das Verfahren hat den Vorteil, dass man immer neue Brennstoff­e erzeugen kann. Das Verbot hat den Nachteil, dass in Deutschlan­d sehr viel Atommüll anfällt. Bislang ist nichts von einem Unfall in der Anlage in Majak bekannt. Was sagen Sie dazu? HEUEL-FABIANEK Es ist sehr wahrschein­lich ein Unfall in der Atomanlage passiert. Denn irgendwo müssen diese Werte, die definitiv nicht normal sind, ja herkommen. Aber deswegen müssen dort keine Menschen zu Schaden kommen. Warum nicht? HEUEL-FABIANEK Wenn sich dort beispielsw­eise irgendwo etwas ge- öffnet hat und der Stoff über den Kamin nach draußen gepumpt wurde, kann es sein, dass er sich sehr weit oben verteilt und dann verdünnt hat. Müssen sich die Menschen in Europa dennoch Sorgen um ihre Gesundheit machen? HEUEL-FABIANEK Nein. Sowohl in Nordeuropa als auch in Deutschlan­d ist der Stoff längst schon durch die Winde verdünnt worden. Und was immer die Ursache war, sie muss inzwischen beseitigt worden sein, sonst würde man jetzt immer noch oder wieder erhöhte Werte von Ruthenium-106 feststelle­n. SUSANNE HAMANN FÜHRTE DAS INTERVIEW.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Arbeiter bei der Wiederaufb­ereitung von Brennstoff­en in Majak. Die Anlage liegt an der Grenze zu Kasachstan, in der unmittelba­ren Nähe wurde eine besonders hohe Konzentrat­ion des radioaktiv­en Stoffes Ruthenium-106 gemessen.
FOTO: IMAGO Arbeiter bei der Wiederaufb­ereitung von Brennstoff­en in Majak. Die Anlage liegt an der Grenze zu Kasachstan, in der unmittelba­ren Nähe wurde eine besonders hohe Konzentrat­ion des radioaktiv­en Stoffes Ruthenium-106 gemessen.

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