SPD sieht Autorität der Kanzlerin beschädigt
Der Glyphosat-Alleingang von Minister Schmidt (CSU) wirft die Frage auf, wie gut Merkel noch durchgreifen kann. Für sie ist das Gift.
BERLIN Im Streit zwischen Union und SPD um die Glyphosat-Entscheidung von Agrarminister Christian Schmidt (CSU) gerät Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) immer mehr in die Kritik. „Mit Blick auf die gescheiterten Jamaika-Sondierungen und Schmidts Glyphosat-Alleingang stellen wir fest, dass die Autorität der Kanzlerin bröckelt“, sagte SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach. Fraglich ist, wie sich der Groll der Sozialdemokraten nun
Kaum einer spricht heute noch von Geselligkeit. Das Wort scheint ausgemustert, muffig, überflüssig wie Kegelbahnen, Tanztees, Kaffeekränzchen oder all die altmodischen Vergnügungen, zu denen Menschen sich früher trafen. Es werden ja auch keine Zigarren mehr gepafft, bei Geburtstagen wird nichts Selbstgereimtes mehr vorgetragen und sonntags kein Frühschoppen mehr abgehalten. In welcher Kneipe gibt es noch einen Stammtisch? Und wie viele Kneipen sind längst Systemgastronomien, in denen hausgemachte Limonade serviert wird?
Man kann das für den Wandel der Zeit halten. Für Moden der Lebensführung. Heute gehen Leute eben lieber ins Fitnessstudio, um den Berufsstress wegzustrampeln, oder vergnügen sich mit ein bisschen Zocken am PC. Sie engagieren sich für begrenzte Zeit in Gruppen, deren Ziele sie für sinnvoll halten. Sie sind auf die anstehenden Gespräche der Parteichefs von CDU, SPD und CSU auswirken wird.
Gestern wurde zudem bekannt, dass Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) den Agrarminister noch am Montag explizit daran erinnert hatte, sich bei einem Dissens innerhalb der Bundesregierung enthalten zu müssen. Kurz darauf ließ Schmidt dennoch für eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung votieren, obwohl Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) dagegen war. Die Kanzlerin habe erst im Anschluss davon erfahren, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer gestern. Ihre Rüge folgte Dienstag.
Der Vorgang wirft nun die Frage auf, welche Autorität Merkel und ihr Kanzleramtschef noch genießen. Für bevorstehende Verhandlungen über eine mögliche Fortsetzung der großen Koalition oder die Tolerierung einer Minderheitsregierung braucht Merkel reichlich Rückhalt – zumindest in den eigenen Reihen.
Sozialdemokraten wie der Chef des konservativen Seeheimer Krei- nicht weniger enthusiastisch. Auch nicht weniger an ihrer Umwelt interessiert. Nur insgesamt flexibler.
Allerdings gibt es da tieferliegend schon einen grundsätzlichen Sinneswandel, eine Tönung im sozialen Miteinander, die nicht unerheblich ist. Dieser Wandel hat damit zu tun, dass heute alles Interessen folgen und Zwecke erfüllen muss. Es scheint, als führe jeder Einzelne unbewusst ständig Bilanz darüber, was „es bringt“, dieser oder jener Beschäftigung nachzugehen. Der Lustgewinn muss maximal sein. Oder wenigstens das Ziel sinnvoll, für das man sich engagiert. Und wenn es sich auch noch im Lebenslauf gut macht – umso besser.
Geselligkeit aber hat kein Ziel. Sie ist purer Selbstzweck. Das macht gerade ihr Wesen aus. Man trifft sich aus „Spaß an der Freud“, man trinkt ein Bier mehr, als einem am nächsten Tag guttut, man ist beisammen. Und schätzt das als Wert an sich. Das ses, Johannes Kahrs, forderten Wiedergutmachungen in Form von Gesetzen wie dem Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit. Der Chef der Parlamentarischen Linken in der SPD, Matthias Miersch, brachte einen Untersuchungsausschuss ins Spiel.
Die Union hält dagegen. CSULandesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, er sehe keinen Anlass für Zugeständnisse. Und auch in der SPD ist das Vorgehen umstritten. Lauterbach sagte, es sei der Situation nicht angemessen, nach dem Glyphosat-Alleingang jetzt mit ist keine Zeitverschwendung, sondern hat mit Lebensbejahung und Interesse an anderen zu tun.
Wenn das heute weniger gepflegt wird, ist das nicht nur ein harmloser Wandel des Freizeitverhaltens. Das Individuum, das in so vielen Lebensbereichen kämpfen, seine Anerkennung verdienen, seinen Status erhalten muss, tut sich immer schwerer damit, im anderen nicht den potenziellen Konkurrenten zu sehen. So zerbröselt ein Gemeinschaftssinn, der wenig mit tumber Kumpanei, dafür viel mit Vertrauen und Anteilnahme zu tun hat. Gerade in den geselligen Vereinen haben sich die Menschen ja immer ausgeholfen. Das war nur nicht der Zweck der Vereine, es war die schöne Nebenwirkung. Der Bedarf dafür ist nicht verschwunden. Die Wertschätzung schon. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de Forderungen zu reagieren: „Wir sind nicht auf einem Basar und dürfen kein politisches Geschacher nach dem Motto ,Auge um Auge‘ betreiben“, fügte er hinzu. Mit Blick auf eine geschwächte Position der Kanzlerin sagte Lauterbach, das dürfe keine Schadenfreude bei der SPD hervorrufen. „Eine intern geschwächte Angela Merkel macht mögliche Einigungen mit uns in den bevorstehenden Gesprächen unwahrscheinlicher“, sagte er.
Unterdessen zeigte sich FDP-Chef Christian Lindner überrascht von den Vorgängen: „Die GlyphosatEntscheidung war ein bemerkenswerter Vorgang.“Er habe erwartet, dass sich Union und SPD darüber abstimmten. Man habe ja auch in den Jamaika-Sondierungen über das Thema einer Verlängerung der Glyphosat-Genehmigung gesprochen, sagte Lindner. „Alle Beteiligten inklusive der Grünen waren dort bereit, einer einmaligen Verlängerung zuzustimmen. Umso mehr sind die Rücktrittsforderungen gegen Minister Schmidt nun besonders delikat“, so der FDP-Chef.
Probier’s mal mit Geselligkeit