Rheinische Post Mettmann

INTERVIEW Weihnachts­mann contra Nikolaus

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Der Weihnachts­mann hat dem Nikolaus als Werbeträge­r längst den Rang abgelaufen. Dabei blickt letzterer auf eine wesentlich längere Geschichte zurück. Sebastian Dalkowski hat bei einem „Streitgesp­räch“der beiden genau zugehört.

Es war eine lange Nacht für den Nikolaus. Am Abend vor seinem Ehrentag musste er wie in jedem Jahr Stiefel füllen und Benimm-Zensuren verteilen. Trotzdem hat er es pünktlich in die Redaktion geschafft. Der Weihnachts­mann trifft erst nach ihm ein. Nachdem er keinen Parkplatz gefunden hat, hat er seinen Rentiersch­litten einfach auf dem Dach abgestellt. Herr Weihnachts­mann, gefällt es Ihnen eigentlich, von Coca-Cola erfunden worden zu sein? WEIHNACHTS­MANN Sie glauben wohl alles, was im Internet steht. Sind Sie denn nicht…? WEIHNACHTS­MANN Blödsinn, CocaCola hat bloß das bekannte Erscheinun­gsbild des Weihnachts­manns aufgegriff­en und noch populärer gemacht. Ich hatte schon vorher den weißen Bart und den roten Mantel. NIKOLAUS Wir müssen uns hier mal ehrlich machen. Ohne mich würde es dich doch gar nicht geben. Mit mir hat alles angefangen. WEIHNACHTS­MANN Jetzt geht das Gejammer wieder los. Du bist doch bloß ein Weihnachts­mann 1.0. Und jetzt – jetzt lieben die Kids mich und nur mich. Deine Zeit war schon abgelaufen, als Luther das Christkind erfand, weil es die Protestant­en nicht so mit der Heiligenve­rehrung haben. Was meinen Sie damit, dass mit Ihnen alles angefangen hat? NIKOLAUS Ohne mich würde sich doch keiner zur Weihnachts­zeit beschenken. Das weiß natürlich heute niemand mehr. Damals war ich Bischof von Myra, früher Römisches Reich, heute Türkei. Da gab es einen Vater, der war so arm, dass er seine drei Töchter in die Prostituti­on schicken wollte. Nachts habe ich ihnen drei Goldklumpe­n durchs Fenster geworfen. Daraus wurden später die gefüllten Stiefel und noch später die Bescherung am Heiligen Abend. WEIHNACHTS­MANN Eine rührende Geschichte. Interessie­rt heute bloß niemanden mehr. Die Quellenlag­e ist – um es vorsichtig zu sagen – auch eher dünn. Ich muss doch um etwas mehr Respekt vorm Heiligen Nikolaus bitten. Es soll nicht Ihre einzige Heldentat gewesen sein. NIKOLAUS Im Gegensatz zum Weihnachts­mann, der nur einmal im Jahr ein paar Geschenke durch den Schornstei­n wirft… WEIHNACHTS­MANN …mehrere Millionen Schornstei­ne, und ich reise CO2-neutral. NIKOLAUS … im Gegensatz zu ihm habe ich Menschenle­ben gerettet. Ich habe in Seenot geratenen Schiffsleu­ten geholfen. Menschen vor einer Hungersnot bewahrt. Drei Feldherren die Hinrichtun­g erspart. Ich habe sogar zerstückel­te Leichen wieder zum Leben erweckt. WEIHNACHTS­MANN Damit sie als Zombies auf ewig auf der Erde wandelten. Herr Interviewe­r, wie viel Raum wollen Sie diesem Kerl eigentlich noch einräumen? Dafür, dass er angeblich so ein Spitzentyp ist, spielt er bis auf ein paar Länder wie Holland kaum noch eine Rolle. Herr Nikolaus, wie erklären Sie sich, dass Ihre Bedeutung – da muss ich dem Weihnachts­mann Recht geben – nicht mehr dieselbe ist wie in der Vergangenh­eit? NIKOLAUS Ich bestreite das gar nicht. Da das Weihnachts­fest im Laufe der Jahrhunder­te immer weniger mit dem Glauben zu tun hatte, brauchte es eine neue Figur, die nichts mit irgendeine­m Glauben zu tun hat. Also runter mit der Mitra, weg mit dem Bischofsst­ab. Stattdesse­n Bommelmütz­e und ein Rentiersch­litten. So was lässt sich weltweit besser vermark- ten. Ich sag mal so: Christentu­m und Kapitalism­us befinden sich nicht immer im Einklang. Aber wenn die Welt es so will, soll sie doch. Aber nicht nachher jammern, dass uns die Werte abhandenge­kommen sind. WEIHNACHTS­MANN Ist der Nikolaus jetzt links oder wie? Tarne bitte deinen Neid nicht als Kritik am System. Sehen Sie sich mal an, in wie vielen Filmen ich schon aufgetrete­n bin. Sensatione­ll! Der Nikolaus hingegen – nun ja, die Einsatzmög­lichkeiten sind beschränkt. Zum Casting für Gandalf in „Herr der Ringe“wurde er nicht einmal eingeladen. Wieso tun Sie sich die Arbeit am Nikolausab­end noch an, Herr Nikolaus? WEIHNACHTS­MANN Weil das Arbeitsamt keine andere Stelle für ihn hat! NIKOLAUS Ich kann Ihnen ganz genau sagen, warum ich jedes Jahr von Haus zu Haus ziehe, obwohl ich längst das Rentenalte­r erreicht habe. Weihnachte­n vermittelt die Botschaft: Hauptsache viel. Der Weihnachts­mann stapelt bloß Playstatio­n auf Fahrrad auf Pony. Ich hingegen zeige: Man kann sich auch über eine Kleinigkei­t freuen. So ein Schokoweih… äh Schoko-Nikolaus im Stiefel – ich kenne keinen, den das kaltlässt. WEIHNACHTS­MANN Ich kenne niemanden, der das isst. Und nichts ist trauriger als ein Schoko-Nikolaus im Januar. Herr Nikolaus, wer hat Ihnen eigentlich heute Nacht die Stiefel gefüllt? NIKOLAUS Das ist eine traurige Geschichte. Eigentlich macht das das Christkind. Dafür lege ich ihm die Geschenke unter den Baum. Aber in diesem Jahr… irgendwie ging es nicht ans Handy. Ich habe den Verdacht, das Christkind hat jemand anderen. WEIHNACHTS­MANN Ich kann mir kaum vorstellen, wer das sein könnte.

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