Rheinische Post Mettmann

Jazzies landen bei der WM auf Rang 16

- VON SVEN LORIG UND BIRGIT SICKER

Die Tanzformat­ion des TuS Hilden zeigt eine tolle Leistung, hadert aber mit einem nicht transparen­ten Wertungssy­stem.

RAWA MAZOWIECKA/HILDEN Dienstagvo­rmittag in der Nähe von Warschau. Normalerwe­ise würden die zehn- bis elfjährige­n Kinder jetzt in einer Hildener Schule sitzen und sich auf den Unterricht konzentrie­ren. Für die Weltmeiste­rschaft im Jazz and Modern Dance wurden die Deutschen Meisterinn­en aber freigestel­lt und fokussiere­n sich nun mitten im Chaos des Warm-MachBereic­hs auf ihren großen Auftritt. Gleich müssen sie raus auf die WMHauptbüh­ne A in einem gigantisch großen Kongress-Zentrum Ossa in Rawa Mazowiecka, etwa 80 Kilometer von Warschau entfernt.

Hinter den Kulissen ist es extrem wuselig und leicht chaotisch. Überall auf den Gängen und in den Sälen liegen Jacken, Taschen und Schuhe. Ständig laufen Kinder und Jugendlich­e in Trainingsa­nzügen durcheinan­der, Trainer aus 30 Nationen rufen ihre Kommandos durch die Räume. Es hat etwas von Olympische­n Spielen.

Den acht jungen Damen aus Hilden ist die Aufregung zunächst genauso anzumerken wie der Trainerin Maren Klever und den mitgereist­en Eltern, die bereits auf der Tribüne Platz genommen haben. Als die Kinder dann aber endlich auf die schwarze Bühne dürfen, ist alle Nervosität plötzlich verschwund­en. Sie halten dem Druck stand und laufen, springen, tanzen genauso, wie sich das alle erhofft hatten. All das harte Training der vergangene­n Wochen scheint sich gelohnt zu haben. Ihre Choreograp­hie, mit der sie im Mai in Saarlouis Deutscher Meister wurde, dauert genau 3:20 Minuten – danach hüpfen die Kinder überglückl­ich und außer Atem von der Bühne.

„Als die Kinder von der Fläche kamen, sind wir uns alle in die Arme gefallen und haben vor Freude und Anstrengun­g geweint, weil das Gefühl auf und neben der WM-Bühne einfach so unglaublic­h ist.“, sagte Maren Klever später. Die erst 26-jährige Trainerin ist bereits zum zweiten Mal hintereina­nder mit einer Mannschaft des TuS Hilden bei einer WM und weiß um das starke Umfeld der anderen Nationen aus Moldawien, Polen, Ukraine, Weißrussla­nd, Russland, Serbien, Tschechei oder Kanada. „Wir haben Deutschlan­d super vertreten. Wir haben der Welt gezeigt, dass Deutschlan­d Power-Tanzen kann. Heute haben sie sich für die harte Arbeit des ganzen Jahres belohnt. Das ist unser Jahreswerk. Ich bin super stolz auf meine Mädchen“, sagt sie.

Auch die Kinder waren überglückl­ich über ihren Auftritt. Marielle Müller erklärte: „Das war richtig cool. Die Bühne, die vielen Lichter, der große Applaus. Das hat uns super gut getan.“Und ihr Mannschaft­skameradin Lotte Timmer ergänzte: „Hier einmal zu tanzen war härter als zwei ganze Trainingse­inheiten. Es hat aber totalen Spaß gemacht.“

Auch auf der Tribüne schauen sich glückliche Eltern an und freuen sich auf das Halbfinale, das sicher erreicht zu sein scheint. „Ich habe gefühlt 200 Sekunden die Luft angehalten. Danach ist mir der Hildener Jaberg vom Herzen gefallen. Selbst wir Papas waren den Tränen nahe“, bringt Vater Frank Lehmann die Stimmung auf den Punkt.

Jetzt heißt es warten, bis die letzte Formation getanzt, die sieben Wertungsri­chter im Geheimen ihre Wertung abgeben und das Ergebnis errechnet ist. Wie nach einer UniKlausur warten alle Trainer und Tänzer hinter den Kulissen darauf, dass in einem langen Gang der Ergebnisze­ttel ans Schwarze Brett geklebt wird.

Dann der Schock und die große Enttäuschu­ng: Platz 16. Ausgeschie- den. Bereits in der ersten Runde. Und die anderen beiden deutschen Teams sind weiter im Halbfinale. Überall bei den Jazzies fließen Tränen. Maren Klever und alle anderen Hildener verstehen die Welt nicht mehr: „Es ist ein unberechen­bares, nicht transparen­tes und zuweilen grausames Wertungssy­stem. Es ist doch unglaublic­h, dass Platz drei und vier der Deutschen Meistersch­aften ins Halbfinale kommen und wir als Deutscher Meister bereits im Viertelfin­ale ausscheide­n. Nach dieser Leistung ist es absolut unfair und traurig.“Die junge Frau, die in den vergangene­n Monaten jede Minute ihrer Freizeit für diese Mannschaft geopfert hat, wünscht sich auch mehr Unterstütz­ung vom Deutschen Verband: „Vielleicht muss das deutsche Wertungssy­stem verändert werden oder wir Trainer vom Verband anders auf große Turniere vorbereite­t und gefördert werden. In Deutschlan­d hätten wir heute jede Mannschaft geschlagen.“

Selbst nach ausführlic­hem VideoStudi­um war nicht zu klären, warum die Jazzies nicht weiterkomm­en durften. Lag es daran, dass sie mit „nur“acht Tänzerinne­n die mit Abstand kleinste Formatione­n auf die Bühne brachten? Oder dass sie – wie in Deutschlan­d üblich – auf Requisiten verzichtet­en, während andere – auch deutsche Mannschaft­en bei dieser WM – genau darauf setzten? Bei der WM gibt es auf all diese Fragen keine Antworten von offizielle­r Seite.

Nach der ersten großen Trauer kam aber dann auch schnell wieder das Glücksgefü­hl, zu den besten Tanz-Mannschaft­en der Welt zu gehören. „Wir sind super stolz auf unsere Kinder. Es ist doch unfassbar, dass sie so etwas Tolles erleben können. Das stärkt die Kinder für ihr ganzes Leben“, betont Mutter Sibylle Görgen.

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FOTO: TUS HILDEN Die Jazzies und Trainerin Maren Klever (rechts) bewahren bei der WM Haltung.

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