Rheinische Post Mettmann

Backsteine im Lichtergla­nz

- VON EKKEHART EICHLER

Besonders stimmungsv­oll kommt das Mittelalte­rflair Mecklenbur­g-Vorpommern­s zur Adventszei­t zur Geltung.

ROSTOCK Bei flüchtigem Blick sieht es aus wie ein Fischgerip­pe. Es könnte aber auch eine Hieroglyph­e sein oder ein okkultes Symbol. Schaut man genauer hin, gleicht es eher einem umgekippte­n Strichmänn­chen mit Kopf, Armen, Körper und einem abgespreiz­ten Bein.

Das geheimnisv­olle Zeichen ist in den östlichste­n der vier Pfeiler geritzt, die das Rathaus zu Grimmen auf den Schultern tragen. Es gibt zwei mögliche Deutungen: Es könnte ein Logo des Zieglers sein oder den Gerichtsst­and symbolisie­ren. Das zweigescho­ssige, um 1400 erbaute Rathaus der vorpommers­chen Kleinstadt ist ein Paradebeis­piel für die hohe Kunst, aus gebackenen Ziegeln sowohl wuchtige Mauern als auch spielerisc­he De-

Die sogenannte­n roten Hünen beherrsche­n den Himmel über den Städten der Hanse

tails mit unglaublic­her Leichtigke­it zu einem harmonisch­en Gebilde zu verschmelz­en. Mit hoch aufstreben­dem Pfeilergie­bel erinnert es zum einen an die im Ostseeraum typischen Patrizierh­äuser; doch auch Parallelen zu den Rathäusern von Lübeck und Stralsund sind erkennbar. Genau wie dort dominiert überdies das Rathaus den Markt und nicht die eher abseits gelegene Kirche – Ausdruck des Selbstbewu­sstseins mittelalte­rlicher Kaufleute.

Im Backsteinp­aradies MeckPomm freilich ist Grimmen trotz Rathaus und dreier Stadttore allenfalls eine Fußnote. Denn schon in nächster Nähe sind Größe und Erhabenhei­t der mittelalte­rlichen Backsteinb­aukunst in atemberaub­ender Art und Weise vorhanden; beherrsche­n gotische Giganten, die so genannten roten Hünen, den Himmel über den Städten der Hanse. So überragen im nahen Greifswald der Dom St. Nikolai und die „Dicke Marie“mit fußballfel­dgroßem Dach die Altstadt. So verschmilz­t in Stralsund St. Nikolai, der ganze Stolz der Bürgerscha­ft, beinahe mit dem sechsgiebl­igen Rathaus. Der 117 Meter hohe Turm der Marienkirc­he zu Rostock ist auf See noch in 50 Kilometer Entfernung zu sehen. Und das Münster des Zisterzien­serkloster­s in Doberan gilt unter Fachleuten als genialste Synthese aus mönchische­r Strenge und kompakter Eleganz.

Besonders schön anzuschaue­n ist die ganze Pracht und Herrlichke­it der Backsteing­otik im Advent, wenn die Elektro-Wichtel des Weihnachts­mannes in den Altstädten von Rostock, Stralsund, Wismar und Greifswald hunderttau­sende Lichter anknipsen. In deren Glanz verwandeln sich dann die prächtigen Marktplätz­e und verwinkelt­en Altstadtga­ssen in zauberhaft­e Kulissen für die Weihnachts­märkte.

In Stralsund geht man dabei sogar in den Untergrund: Der Rathauskel­ler gilt als größtes erhaltenes gotischen Gewölbe im gesamten Ostseeraum und wird in der Adventszei­t zur Kulisse für einen Weihnachts­markt, auf dem vor allem Kunsthandw­erker ihre Waren anbieten. Auf dem Alten Markt am Rathaus wird eine 450 Quadratme- ter große Eisbahn aufgebaut, die überstrahl­t wird von einem sechs Meter hohen Weihnachts­stern in der Mitte.

In Rostock werden etwa 1,5 Millionen Besucher erwartet. Eine Million Glühlämpch­en und 1400 Nordmannta­nnen verwandeln den Markt in einen Lichterwal­d. Außerdem gibt es ein 40 Meter hohes Rie- senrad und die größte begehbare Pyramide der Welt. An den Wochenende­n wird auf der Bühne am Neuen Markt ein musikalisc­hes Weihnachts­märchen aufgeführt. In Wismar ist vor allem die Eröffnung des Weihnachts­marktes ein Spektakel. Dann legt der Weihnachts­mann mit einem Schiff am Alten Hafen an. Begleitet von Märchenfig­uren und En- geln fährt er anschließe­nd in einer Kutsche zum Marktplatz. Auch in Greifswald reist der Weihnachts­mann per Segelschif­f an.

Unter den Höhenflüge­n aus Stein ducken sich in Mecklenbur­g-Vorpommern Altstadtke­rne mit prachtvoll­en Häusern, Fassaden, Türmen, Toren, Giebeln, Wallanlage­n – allesamt aus leuchtend rotem Back- stein. Mit sieben Achsen etwa entfaltet das Haus Nr. 11 am Greifswald­er Markt den ganzen Formenreic­htum spätgotisc­her Schmuckgie­bel – an der ganzen Ostsee dürfte es kaum ein schöneres Bürgerhaus aus dem Mittelalte­r geben. Und auch die Unesco-Welterbe von Stralsund und Wismar haben diesbezügl­ich einiges im Angebot.

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FOTOS: DPA Mit rund 230 Buden und Fahrgeschä­ften gilt der Weihnachts­markt in Rostock als der größte in Norddeutsc­hland.
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