Rheinische Post Mettmann

Einer der letzten wahren Dichter

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Heute feiert Peter Handke seinen 75. Geburtstag – mit einem neuen Buch.

PARIS Vielleicht ist Peter Handke ja wirklich der letzte Dichter in deutscher Sprache. Also kein Lyriker, sondern einer, der die Welt in seinen Erzählunge­n dichtend erkundet. Der immer noch staunt, was ist und was nicht. Der sich bezaubern und überwältig­en lässt, der die Stille beschwört und seine Einsamkeit inszeniert. Auf jeden Fall ist Handke einmalig. Das war er immer schon, aber dass er es bis zu seinem 75. Geburtstag – den er heute feiert – geblieben ist, zeugt davon, das hinter seiner Dichtkunst eine Haltung steht, keine Masche.

Zum jubiläumst­rächtigen Geburtstag ist ein neues Buch von ihm erschienen, eigentlich ist es ein altes, weil Handke seit etlichen Jahren nur an einer großen Erzählung zu schreiben scheint: Eine Art Meditation über die Welt, und das ist jetzt auch „Die Obstdiebin“(Suhrkamp, 34 Euro). Ein wunderbar kleines Buch, denn auch 560 Seiten können einen nicht darin täuschen, wie leicht diese Prosa geschriebe­n ist und wie frei. Eigentlich ist die „Obstdiebin“ein Reisebuch ins Innere Frankreich­s, nur würde es Handke nie so nennen. Einen Aufbruch vielleicht, unterwegs ohne jede Landkarte, ein Gang hinein in die „urplötzlic­h herabsenke­nde Stillezufu­hr“. Fast 100 Seiten dauert es, bis der Erzähler überhaupt aufbricht; und auch danach wird jedes Detail zum Ereignis und das unerwartet­e Auftreten der Zugkontrol­leure zum seitenlang­en Abenteuer. Diese Prosa ist so einzigarti­g, dass sie die Leser spaltet. Und so ist es bei Handke ein bisschen wie bei Bob Dylan: Entweder man liebt ihn (dann aber richtig) oder man ignoriert ihn (gleichfall­s hartnäckig). Dennoch führt am gebürtigen Kärntner kein Leser-Weg vorbei.

Wer Dokumentat­ionen, Kinound Spielfilme von ihm sieht, muss dem Glauben verfallen, dass er alle Zeit der Welt habe. Wie er so durch den leicht verwildert­en Garten seines Hauses bei Paris schlendert und sich Gedanken über die Platzierun­g eines Kieselstei­ns macht. Wie er einen Nachmittag da- bei verbringt, einen Knopf an die Jacke zu nähen. Dabei ist Handke einer der produktivs­ten deutschspr­achigen Autoren. Das wird im Februar augenschei­nlich, wenn seine Gesamtausg­abe – „Peter Handke Bibliothek“genannt – erscheint: mit 14 dicken Bänden und über 10.000 Seiten.

Das Poetische seiner Weltsicht bedeutet nicht, dass er weltabgewa­ndt lebt. Er hat 1966 der Gruppe 47 einen kräftigen Stoß verpasst und den Heroen der Nachkriegs­zeit „läppische Prosa“attestiert. Handke – zwei Jahre lebte er auf seiner Wanderscha­ft durchs Leben in Düsseldorf – hat mit seiner Meinung nie hinterm Berg gehalten. Sie ist oft inspiriere­nd gewesen, gelegentli­ch naiv, manchmal unhaltbar.

Dazu gehört seine Sympathie für den serbischen Diktator und vermeintli­chen Kriegsverb­recher Slobodan Milosˇevic. Handke ging zu dessen Beerdigung, für ihn war es die Beerdigung der Heimat seiner Mutter. Er habe geträumt, es sei jetzt zu Ende. „Indem ich zum Begräbnis gehe, habe ich es beerdigt“, sagte er später. Der mit 50.000 Euro dotierte Düsseldorf­er Heine-Preis ist ihm auch deswegen nicht verliehen worden. Wer diesen Handke verstehen will, muss „Wunschlose­s Unglück“, das Buch über seine Mutter, lesen. Und danach natürlich alles andere. Weil es so einen wie Peter Handke kein zweites Mal gibt.

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F O T : D P A

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