Rheinische Post Mettmann

Kliniken: Geburtshil­fe rechnet sich nicht

- VON DIRK NEUBAUER

Das System der Fallpausch­alen macht Geburten für Krankenhäu­ser wirtschaft­lich uninteress­ant. Folgericht­ig schließen viele Kreißsäle, während die Zahl der Geburten steigt. Ratingen und Mettmann sind löbliche Ausnahmen.

RATINGEN/METTMANN Lachgas im Kreißsaal, Bluetooth-Verbindung in den Zimmern für die eigene Musik und freies Parken vor dem Haus - das Evangelisc­he Krankenhau­s Mettmann, EVK, tut eine Menge, um die Wünsche werdender Eltern zu erfüllen. Vor kurzem nahmen acht Ärzte, acht Hebammen und acht Schwestern den neuen Kreißsaal-Bereich in Betrieb. Soviel Kundenorie­ntierung schlägt sich in einer Topzahl nieder: Mit plus 20 Prozent meldete das Mettmanner EVK mit rund 450 Geburten im Jahr den höchsten Geburtenan­stieg unter allen nordrhein-westfälisc­hen Kliniken. Ortswechse­l zu einer weiteren Erfolgsges­chichte: das Marienkran­kenhaus in Ratingen. Hier füllen die Lobe-Sternchen der Bewertungs­portale die volle Breite aus. Es gehe besonders „geborgen und familiär“zu – und genau das sei im Trend. Ratingen meldet 500 Geburten pro Jahr – setzt aber spitz hinzu: „Jede Geburtshil­fliche Abteilung, die schließt, ist eine zuviel. Deshalb betreiben wir als katholisch­es Krankenhau­s eine solche Abteilung trotz aller systembedi­ngten Widrigkeit­en.“

Aus Sicht der Geschäftsf­ührungen rechnet sich Geburtshil­fe schlicht nicht. „Die kalkuliert­en Fallpausch­alen für die Betreuung von Müttern und Neugeboren­en sind schlichtwe­g zu niedrig“, teilt der Sprecher des Marienkran­kenhauses, Martin Heinen, mit. Er bestätigt damit einen Alarmruf der Präsidenti­n des Deutschen Hebammenve­rbandes, Martina Klenk. Seit 1991 wurden 40 Prozent der Kreißsäle in Deutschlan­d geschlosse­n. Das Gesundheit­ssystem in Deutschlan­d beschert zwar derzeit den Krankenkas­sen Milliarden­überschüss­e, kalkuliert bei den Leistungse­mpfängern aber wenig großzügig: Rund 2800 Euro gibt es für eine normale Geburt mit einem Neugeboren­en über 2500 Gramm Gewicht und ohne Komplikati­onen.Dabei sollen Klinik und Frauen mit drei Tagen auf der Wöchnerinn­enstation auskommen. Dauert es länger, gibt es nicht mehr Geld.

Hinzu kommt, dass zahlreiche Hebammen ihren Beruf aufgegeben haben. Seit vergangene­m Jahr ist dieser Rückzug aus der Geburt besonders kritisch: Denn erstmals seit vielen Jahren gab es eine Zunahme bei den Neugeboren­en. Zwei Trends laufen völlig gegeneinan­der.

Die Leidtragen­den sind die werdenden Mütter. In den sozialen Netzwerken gibt es zahlreiche Berichte über Frauen, die in ihrer Klinik trotz Wehen abgewiesen wur- den. Das Marienkran­kenhaus in Ratingen und das EVK Mettmann tauchen in solchen Berichten nicht auf. „Wir wollen eine hochwertig­e Betreuung von Schwangere­n, Wöchnerinn­en und Neugeboren­en in und für Ratingen sicherstel­len“, sagt Michael Heinen vom Marienkran­kenhaus. „In Ruhe mit dem Kind ankommen zu können“, wird von den Eltern in Mettmann immer wieder gelobt. Da die werdenden Mütter älter sind als früher, müssen neben einer ruhigen Umgebung und fachlich gut ausgebilde­ten Kräften auch die Rahmenbedi­ngungen für Notfälle stimmen. In Mettmann gehört der OP-Raum für Kaiserschn­itte komplett und ausschließ­lich zur Ge- burtsstati­on. Anderswo müssen erst einmal normale OP-Räume frei gemacht werden. Mit der Vor- und Nachsorge sei die Geburtshil­fe im EVK Mettmann in einem ganzheitli­chen Konzept verankert.

Aus Sicht der Hebammen läuft das System dennoch in eine echte Krise hinein. Barbara Blomeier, die 1. Vorsitzend­e im Landesverb­and der Hebammen NRW, warnt: „Zahlreiche Hebammen sind derzeit um die 50 Jahre alt und werden mittelfris­tig in Ruhestand gehen.“Da nicht in gleichem Umfang Hebammen-Nachwuchs nachkommt, wird die Sache mit dem Nachwuchs schon sehr bald zu einer schweren Geburt.

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