Rheinische Post Mettmann

Ikone in der Tonhalle

- VON ARMIN KAUMANNS

Der türkische Pianist Fazil Say zog nicht nur Klassik-Fans ins Konzerthau­s.

Kaum grummelt Fazil Say im BassRegist­er seines Steinways herum, kurz nachdem er sich wieder in den Schweinwer­ferspot in der Tonhalle gesetzt hat, schon fährt ein Aufschrei der Begeisteru­ng durchs Publikum. Zwei, drei Sekunden ist der voll besetzte Saal hörbar aus dem Häuschen in Erwartung des MegaHits des Ausnahmepi­anisten. „Kara Toprak“– Titel fürs internatio­nale Publikum: „Black Earth“– ist so etwas wie eine Exil-Hymne der längst in Deutschlan­d angekommen­en Türken. Ein trauriges, ein starkes Stück Musik, das Say von der Langhalsla­ute Saz aufs Klavier transponie­rt hat, indem er mit den Händen in den offenen Bauch seines Instrument­s fasst und dort die Saiten dämpfend abgreift und zum melancholi­schen Klang des Nationalin­struments moduliert. Andächtige Stille unterm Kuppelgewö­lbe, nur die Saaldiener­innen wuseln durch die Gänge, um dieses unselige Smartphone-Geblitze zu unterbinde­n. Es ist kurz vor zehn an diesem denkwürdig­en Abend in der Tonhalle. Und längst ist klar, dass hier kein gewöhnlich­er Heinersdor­ff-Klavierabe­nd über die Bühne geht.

Fazil Say ist so etwas wie ein Popstar. Wunderkind-Pianist, Idol seiner Community, Musiker, der nicht nur mit Mozart und Beethoven etwas zu sagen hat, sondern auch zu Erdogan und Konsorten seine Meinung kundtut. Say komponiert mit Weltverbes­serungsans­pruch, grandios wie bei seiner „Istanbul-Sym- phony“oder kammermusi­kalisch wie bei seinem Werk „The Art of Piano“, aus dem er vier Sätze auch in der Tonhalle zum Besten gibt – eine musikalisc­he Hommage an Atatürk, im fröhlichen Stilmix von Jazz und spätester Romantik. Gerade hat er seinen vierten Echo-Klassik erhalten, für die Mozart-Sonaten.

Mit dem zarten Beginn der F-DurSonate KV 332 platzt er denn auch unbarmherz­ig in die Unruhe hinein, die im Saal ein zu beträchtli­chem Teil mit den Usancen eines Klassik-Konzerts wenig vertrautes Publikum verbreitet. Aber von Beginn an gibt er sich der Musik völlig hin und trägt zugleich seine Emotion nach außen. Sein Mienenspie­l erzählt beredt von dem, was auch seine Hände allein könnten, indem sie eine wunderbare Vielfalt an Klängen aus dem Steinway zaubern. Says Körperspra­che holt die klassische Musik aus dem Elfenbeint­urm ins wirkliche Leben. Mozart scherzt, tänzelt, stapft, schwingt sich auf in himmlische Gefilde, trübt sich, hält inne, zweifelt und rauscht auf und davon. Say wippt, tapst mit den Füßen, legt den Kopf in den Nacken und sehnt die Sterne herab.

Das alles geht bei Beethovens „Pathetique“ähnlich zu, ernst, immer authentisc­h und virtuos selbstvers­tändlich. Saties „Gnossienne­s“nach der Pause, ihrem Wesen nach Anti-Musik, geraten Say zu zauberhaft­en Märchenbil­dern. Das Publikum ist außer sich. Lange Schlangen gibt es anschließe­nd bei der Autogramms­tunde.

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FOTO: SUSANNE DIESNER Fazil Say am Steinway-Flügel in der Tonhalle.

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