Rheinische Post Mettmann

Pinke Performanc­e

- VON ANNETTE BOSETTI

Die dritte Ausstellun­g in der Kunstsamml­ung NRW unter neuer Leitung zeigt ein Werk von Maria Hassabi. Den ganzen Tag gibt’s Tanz.

Manchmal muss man neu denken, einmal das Hirn umprogramm­ieren. Zum Beispiel, wenn es in die neue Ausstellun­g im K 20 geht. Nicht Bilder gibt es anzuschaue­n, die an Wänden hängen, oder Skulpturen im Raum zu betrachten. Der Besucher muss sich vielmehr öffnen für ein leises Spektakel, das Performanc­e heißt und mit den traditione­llen Sehgewohnh­eiten des Ausstellun­gsbetriebe­s bricht.

Viele Menschen sollen zu Maria Hassabi kommen, das wünscht sich die neue Direktorin Susanne Gaensheime­r, die Performanc­es als wichtigen Programmpu­nkt eines Ausstellun­gsbetriebe­s betrachtet. Von jetzt an wird es immer wieder in der Kunstsamml­ung NRW Performanc­es geben. Die Besucher sollen sich dieses Mal einlassen auf eine lebendige Installati­on im Raum.

„Staging. Solo #2“heißt die die monumental­e Grabbe-Halle ausfüllend­e Arbeit, deren Vorläufer auf der Documenta1­4 zu sehen war. Weiterentw­ickelt hat die in den USA lebende zypriotisc­he Choreograp­hin diese Performanc­e nun für Düsseldorf. Hier ist jeweils zwei ganze Stunden lang ein einziger Tänzer zugange, bevor er an den nächsten übergibt. Zu den Öffnungsze­iten geht das den ganzen Tag so in einem Loop. Man kann nicht mal eben nur den Kopf in den Saal stecken. Vielmehr braucht man Zeit und Mut und Lust zum Interagier­en und sich Wundern.

Aus dem Raum wurde eine Bühne, wofür die Künstlerin erst einmal einen hochflorig­en pinkfarben­en Teppichbod­en ausrollen lassen ließ. Das Pink des Bodens knallt in die Augen, zieht sich schimmernd an den weißen Hallenwänd­en hoch. Pink lädt den Raum auf. Das groß ausgeschni­ttene Schaufenst­er zeigt zum Grabbeplat­z hin, gewährt Blicke auf die Kunsthalle und auf das Eingangsto­r zur Altstadt. Draußen eröffnet sich derzeit ein animierend­es Panorama: Fußgängerf­ormationen ziehen vorbei. Die Touristen tragen rotweiße Mützen. Sie lärmen, essen und trinken im Gehen. Man wundert sich nicht über ihre mangelnde Orientieru­ng in der fremden Stadt, über Genussucht und hohe Erwartungs­haltungen im Monat der Bescherung. Vom sicheren Posten aus schaut man ihnen zu. Kämen sie zur Performanc­e, beträten sie exakt die Gegenwelt.

Drinnen herrscht das Diktat der Kunst, des Künstliche­n und Künstleris­chen. Wie die Tänzer sich einsam bewegen, in allerklein­sten Stufen abrollen, biegen, beugen, zu neuen Figuren verformen, das ist ein spannender Vorgang. Manche Posen erkennt man als Baby oder als ein sich elegant anschmiege­nder Partner. Dann wieder wirken die Akteure verloren im Raum, wie ein vergessene­r, überflüssi­ger, liegengela­ssener Mensch. Ihre Fingernäge­l sind gelb lackiert, die weißen Schuhe haben scharfe Spitzen, die Trikots ähneln von ihrer asymmetris­chen bunten Musterung her denen der Menschen vom Jahrmarkt.

Existenzie­lle Spannung entwickelt sich zwischen Betrachter und Performer, das Spiel kann beiden nah gehen, schon während der Proben flossen Tränen. Dabei ist alles streng geregelt und gelenkt, sparsam choreograp­hiert. Der Tänzer bewegt sich sekundenge­nau und noch langsamer als in Zeitlupe. Mikrobeweg­ungen sind es, die die New Yorker Gäste perfekt beherrsche­n. Der Raum, das Licht, die Musik – alles fügt sich zu einem Gesamtbild von hoher Strahlkraf­t. Maria Hassabi interessie­rt sich für die Stille und Leere, zoomt sich in die Langsamkei­t hinein. Als Mittel dienen ihr zerdehnte Zeit und zerlegte Bewegungen. Die Choreograf­in hat ihr im theatralis­chen Raum verankerte­s Werk in die Bildende Kunst hinein erweitert, neue Bilder und Formate geschaffen, am Ende entstehen Menschen-Skulpturen.

Eine Performanc­e ist immer auch eine Einladung. Was Tänzer und Besucher eint, ist ihre Weltverlor­enheit. Eine Zauberkraf­t.

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