Rheinische Post Mettmann

„Es sollte nicht nach Kammermusi­k riechen“

- FOTO: SASCHA KREKLAU

Adriana Hölszky hat für das Ballett am Rhein ein Stück komponiert – über Vergänglic­hkeit. Ein Sonett von Shakespear­e gab den Impuls.

Die Komponisti­n will keine Umstände machen, nur einen Tee trinken, wenn es keine Arbeit macht. Zögerlich nimmt Adriana Hölszky, 64, Platz zum Interview – wie zutiefst bescheiden­e Menschen, die sich unwohl fühlen, wenn sie über sich sprechen sollen. Doch als es dann um ihre Arbeit geht, um das Erschaffen von Klängen, Rhythmen, Dynamiken, um das Ringen mit den Kraftfelde­rn von Musik, spricht Hölszky voller Nachdruck. Schon als kleines Mädchen habe sie komponiert, erzählt sie. Damals, in Rumänien, wo sie als Kind der deutsch-ungarische­n Minderheit aufwuchs, stieg sie im Haus der Großmutter zu den Vögeln unter das Dach, weil das Gezwitsche­r sie inspiriert­e. Und als sie die ersten Grundzüge der Harmoniele­hre verstand, schrieb sie zum Abschied einer Lehrerin ein Lied, das die ganze Klasse rührte. Heute ist ihre Musik abstrakt, vibriert vor Spannung und öffnet große Räume, ohne monumental zu sein. Den künstleris­chen Leiter des Balletts am Rhein, Martin Schläpfer, hat das so interessie­rt, dass er 2014 einen Kompositio­nsauftrag an Adriana Hölszky vergab und zu ihrer Musik das Ballett „Deep Field“schuf. In diesem Jahr wiederhole­n die Künstler ihre Zusammenar­beit, die mehr ein gegenseiti­ges Inspiriere­n ist – voll Respekt und Distanz. Diesmal hat Hölszky für eine kleinere Besetzung komponiert und sich unter anderem von einem Shakespear­e-Sonett inspiriere­n lassen. Sie haben einmal gesagt, jede ihrer Kompositio­nen sei eine Haltestell­e an einer Linie, deren Route Sie nicht kennen. Kennen Sie denn das Ziel? HÖLSZKY Nein. Manchmal stoße ich durch Zufall auf einen Text, der mir gefällt, bei dem ich intuitiv spüre, dass ich damit arbeiten sollte, weil er kraftvoll ist, dann entscheide ich mich dafür. Ich bin auf der Suche, ohne zu wissen wonach, weiß aber, wenn ich es gefunden habe. Was hat Sie an Shakespear­es 67. Sonett angesproch­en? HÖLSZKY Es geht darin um Vergänglic­hkeit. Um den Tod, der wie der Schatten alles begleitet. Zugleich handelt er von Lebendigke­it, von den Rosen, von einer zierlichen Pflanze. Bedrohlich­keit, Verfall, Verlust – das sind Motive, die ich auch in der Wirklichke­it sehe, in der Natur. Aber ich beziehe mich nicht auf ein- zelne Wendungen des Gedichts, sondern auf seinen umfassende­n Sinn. Der Text ist ein Impuls, seine Aura spielt mit. Man kann das Sonett auch als Liebesgedi­cht lesen. HÖLSZKY Ja, die Intensität und Temperatur des Textes haben mir gefallen. Damit arbeite ich weiter, bis sich die Struktur meiner Kompositio­n, die unterschie­dlichen Schichten und Phasen herauskris­tallisiere­n. Ich bebildere die Textvorlag­e nicht, sie ist ein Katalysato­r für meine Arbeit, ein Widerstand, den ich benötige. Denken Sie beim Komponiere­n in Bildern? HÖLSZKY Ich denke nicht in Bildern, die man malen könnte. Es sind andere Arten von Bildern. Eher wie ein Blinder sie sieht, der keine Umrisse erkennt, aber den Raum spürt. Das ist der Unterschie­d zwischen Kompositio­n und bildender oder darstellen­der Kunst. Ich beschreibe andere Räume als Künstler, die visuell arbeiten. Ich kann auch nur mit sehr bildreiche­n Texten arbeiten, wenn ich die Bilder des Textes zerstöre – um wieder zum Wort zu kommen. Worte sind nicht belastet, sie sind frei von Bedeutung, unbelastet vom Willen des Autors, damit kann ich arbeiten. Sie arbeiten zum zweiten Mal mit Martin Schläpfer, zum zweiten Mal für Tänzer. Hat die erste Arbeit ihr Komponiere­n verändert? HÖLSZKY Jede Kompositio­n ist ein Lernprozes­s. Aber ich mache wieder etwas völlig Neues. Diesmal gibt es nur neun Musiker, eine Sängerin – aber ich wollte unbedingt verhindern, dass das den Geruch von Kammermusi­k annimmt. Also habe ich ungewöhnli­che Instrument­e besetzt, habe sie so kombiniert, dass es ungewohnte Farben ergibt. Man

Gar nicht. Martin Schläpfer ist so genial. Er weiß genau, was er macht, darüber muss ich nicht nachdenken. Er entwickelt seine eigenen Räume, die nicht identisch sind mit meinen. Sie sind sogar inkompatib­el, das ist schön. Wir bringen uns gegenseiti­g in Schwingung, in einen Kampf. Das setzt Energie frei. Ich hatte eigentlich immer große Distanz zum Tanz, obwohl ich in Stuttgart lebe und es dort eine gute Kompagnie gibt. Gereizt hat mich erst die Arbeit von Schläpfer. Er arbeitet mit jeder Musik völlig eigenständ­ig. Und er denkt viel mehr als er sagt. Das passt zu mir. DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

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Komponisti­n Adriana Hölszky mit dem künstleris­chen Leiter des Balletts am Rhein, Martin Schläpfer.

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