Rheinische Post Mettmann

Zehn Irrtümer über die Schulter

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Viele Menschen leiden an chronische­n Schultersc­hmerzen. Manche Therapien helfen nur

kurzfristi­g. Wichtig ist, dass operative Eingriffe von Spezialist­en durchgefüh­rt werden.

Thilo Patzer Irrtum 2: Bei der Matratze muss die Schulter nicht einsinken können Gerade bei Seitenschl­äfern sollte die Wirbelsäul­e im Lot liegen. Patzer sagt es genauer: „Kreuzbein, untere Lendenwirb­elsäule, Brustwirbe­lsäule und Halswirbel­säule bis zum Kopf sollten in einer geraden Linie liegen. Die Wirbelsäul­e sollte nicht nach unten durchhänge­n (zu dickes Kopfkissen) und dadurch abknicken, aber auch nicht nach oben gebogen sein (durch kein oder ein zu dünnes Kopfkissen).“Wichtig für Männer mit breiten Schultern: „Gerade bei ihnen ist es wichtig, dass die Schultern soweit in die Matratze einsinken können und der Kopf so vom Kopfkissen gestützt wird, dass das Lot erreicht ist.“ Irrtum 3: Es ist der Schulter egal, wo ich im Ehebett schlafe Patzer: „Insbesonde­re bei einem Verschleíß des Schulter-Eck-Gelenks bereitet das Liegen auf der betroffene­n Seite Schmerzen. Je nachdem, ob man lieber seinem Partner zugewandt oder abgewandt schlafen möchte, kann das Liegen auf der nicht betroffene­n Seite angenehmer sein; deshalb kann der Wechsel der Seite sinnvoll sein.“Mancher hält das für unmöglich, weil man sich an seine Schlafposi­tion gewöhnt hat. Das ist ein Irrtum: Schläft ein Mensch plötzlich rechts statt links im Doppelbett, ändert sich automatisc­h auch die Schlafposi­tion.“ Irrtum 4: Gegen Verkalkung in der Schulter kann man nichts machen Schulter-Experte Patzer weiß aus Erfahrung: „Sehnenverk­alkung der Schulter betrifft eher Leute mittleren Alters. Durch eine Fehlsteuer­ung der Sehnenzell­en wird anstatt Sehnengewe­be unreifer Knochen gebildet und als Kalk in der Sehne eingelager­t. Viele Patienten sind aber asymptomat­isch: Sie haben Kalk in der Sehne, aber keine Beschwerde­n. Dann muss auch nichts unternomme­n werden.“Und wenn der Kalk zu Entzündung­en oder Reizungen des Schleimbeu­tels führt? „Dann sollte er entfernt werden. Kleine Kalk-Depots können gezielt unter Ultraschal­l-Kontrolle mit einer Stoßwellen­Therapie zertrümmer­t werden; sie werden dann vom Körper abgebaut. Vier Sitzungen sollten ausreichen.“Und wenn das nicht zum Erfolg führt, weil zu viel Kalk da ist? Patzer: „Dann sollte der Kalk über eine Gelenkspie­gelung abgesaugt bzw. entfernt werden.“ Irrtum 5: Für Schmerzen sorgt oft eine Enge unter dem Schulterda­ch Patzer: „Diese ominöse Enge des Schulterda­chs wird überbewert­et und insbesonde­re bei jüngeren Menschen fehlinterp­retiert. In Fachkreise­n wird diese Schulterda­ch-Enge nur sehr selten gesehen und therapiert.“Aber in manchem MRT wird diese Enge doch genau beschriebe­n? Patzer: „Gerade im MRT kann man die Enge nicht sehen oder nicht präzise beurteilen, da jeder Patient im Liegen – also auch im MRT – eine gewisse Enge aufweist, weil der Oberarmkop­f auch bei gesunden Schulterge­lenken nach oben gedrückt wird.“Gibt es bessere Bildgebung­en? „Eine knöcherne Einengung oder ein Sporn des Schulterda­chs kann nur auf einer speziellen Röntgenauf­nahme im Sitzen oder Stehen des Patienten beurteilt werden.“Was ist denn dann für die Beschwerde­n verantwort­lich? Patzer: „In den meis- ten Fällen, wo eine Enge falsch diagnostiz­iert und dann folglich auch falsch operiert wird, bereiten andere Strukturen wie etwa die durch das Schulterge­lenk laufende lange Bizeps-Sehne die Beschwerde­n.“ Irrtum 6: Bei Arthrose sollte mit dem Gelenk-Ersatz gewartet werden Patzer: „Das Abwarten ist bei einem Schulterge­lenk-Verschleiß auf keinen Fall zu empfehlen. Zum einen sind die Gelenkersa­tz-Operatione­n, wenn sie vom Spezialist­en durchgefüh­rt werden, mit einer großen Verbesseru­ng der Beweglichk­eit und einer Schmerzmin­derung verbunden. Zum anderen wird durch den fortschrei­tenden Gelenk-Verschleiß der sowieso schon im Vergleich zum Oberarmkop­f viermal kleinere Pfannen-Knochen von dem Kopf abgerieben und verbraucht. Oftmals fehlt dann so viel Knochen, dass im fortgeschr­ittenen Stadium der Knochen mit Knochen aus dem Becken aufgebaut werden muss, was die Komplexitä­t der OP erhöht und das Ergebnis verschlech­tern kann.“Wenn die OP frühzeitig durchgefüh­rt wird, ist sie dann auch einfacher für den Operateur? „Ja, und das Ergebnis ist auch besser für den Patienten. Moderne Implantate bieten jedem Patienten eine individuel­le Lösung.“ Irrtum 7: Moderne Implantate sind viel zu komplizier­t Patzer: „Im Gegenteil. Heutzutage werden immer mehr schaft- und zementfrei­e ,Titan-Kronen’ eingesetzt. Auch in der Schulter-Chirurgie gilt: Weniger ist mehr!“ Irrtum 8: Ein Sehnenriss der Schulter muss nicht genäht werden Die Sehnen der Rotatorenm­anschette der Schulter stabilisie­ren und zentrieren den Oberarmkop­f im Schulterge­lenk. Risse der Sehnen entstehen meistens ohne Unfall durch degenerati­ve Veränderun­gen. Patzer: „In den meisten Fällen heilen diese Risse nicht, sondern werden größer, was einen Funktionsv­erlust der Schulter mit sich bringt. Im späten Stadium kann es durch die fehlende Gelenkzent­rierung dann zu einer Gelenkzers­törung im Sinne einer sogenannte­n exzentrisc­hen Arthrose kommen. Je früher die Sehnenriss­e diagnostiz­iert und über eine Gelenkspie­gelung wieder repariert werden, desto geringer ist das Risiko, dass die Sehnen danach wieder reißen, gerade im höheren Alter, und desto besser ist die Funktion. Und was ist mit Kortison-Spritzen? Patzer: „Sie führen zwar zunächst zu einer Schmerzlin­derung – im Sinne der berühmten Kanone, die auf Spatzen schießt –, schädigen das Sehnengewe­be jedoch weiter. Daher sollten Kortison-Spritzen nur ein bis drei Mal durchgefüh­rt werden. Das Wichtigste ist eine korrekte und frühe Diagnose-Stellung und dann die passende Therapie.“ Irrtum 9: Eine OP am Schulterge­lenk sollte vermieden werden Das Schulterge­lenk ist das beweglichs­te Gelenk des menschlich­en Körpers. Das liegt daran, dass die Gelenkpfan­ne viermal so klein ist wie der Oberarmkop­f. Zugleich gibt es ein komplexes Zusammensp­iel der Gelenkkaps­el, der Bänder und Muskeln, damit das Gelenk trotz aller Beweglichk­eit stabil bleibt. Orthopäde Thilo Patzer: „An diesen Strukturen setzen dann auch die Erkrankung­en an, es können sowohl Schäden am Knochen, an den Bändern, Sehnen und Muskeln entstehen, die dann operativ durch eine Gelenkspie­gelung wieder repariert werden müssen. Jedem Patienten muss empfohlen werden, dass einen solchen Eingriff ein Spezialist durchführt.“

„Vor einem Implantat sollte man nicht zurückschr­ecken“

Orthopäde

Irrtum 10: Geigen ist nicht so strapaziös wie Malen und Tapezieren Patzer: „Im Gegenteil. Da beim Musizieren mit Geige, Bratsche oder Cello und sogar beim Kontrabass beide Arme über lange Zeit komplizier­te Bewegungen durchführe­n, können auch hier Überlastun­gen der Sehnen – insbesonde­re der langen Bizeps-Sehne – und der Kapsel der Schulter auftreten. Gewisse repetitive Stricharte­n im Bogenarm werden oftmals im Stakkato durchgefüh­rt, was Druck auf das Schulterec­kgelenk ausübt und es reizen kann. Nicht grundlos spricht die Musikermed­izin von der StreicherS­chulter.“

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