Rheinische Post Mettmann

„Der Staat schreibt viele Langzeitar­beitslose ab“

- VON ANNA WOZNICKI

Caritas kritisiert Rückgang öffentlich geförderte­r Beschäftig­ung. Trauriger Spitzenrei­ter ist der Kreis Mettmann.

KREIS METTMANN Während Iris A. die Preise auf den Haushaltsw­aren listet, tauscht sie mit einer Kollegin Erfahrunge­n in den Arbeitsabl­äufen aus. Inzwischen ist sie schnell, weiß genau, welche Preise sie nehmen darf, damit es für die Kunden des Secondhand-Ladens bezahlbar ist. Ihre Berufserfa­hrung rührt aus ihrer bereits zweijährig­en Beschäftig­ung beim Sozialdien­st katholisch­er Frauen (SkF) Arbeit + Integratio­n – und aus eigenem Erleben. 15 Jahre blieb die gelernte Bäckereifa­chverkäufe­rin mit ihren Kindern zu Hause. „Du brauchst nicht arbeiten gehen“, hatte damals ihr Mann gesagt. Dann die Scheidung.

Der Schritt zurück ins Arbeitsleb­en gelang der 51-jährigen Langzeitar­beitslosen als Teilnehmer­in einer öffentlich geförderte­n Beschäftig­ung. Eine Möglichkei­t, ohne die Iris A. nicht aus der Arbeitslos­igkeit heraus gekommen wäre, wie sie selbst sagt.

„Menschen wie Iris A. brauchen Beschäftig­ungsmaßnah­men. Ein Einstieg auf den ersten Arbeits- markt funktionie­rt bei den meisten Langzeitar­beitslosen einfach nicht“, erklärt Dorothea Domasik, Leiterin der Beschäftig­ungsbetrie­be des SkF in Langenfeld.

Das Fatale beschreibt eine Pressemitt­eilung der Caritas im Erzbistum Köln. Darin kritisiert Diözesan-Caritasdir­ektor Dr. Frank Joh. Hensel den Rückgang öffentlich geförderte­r Beschäftig­ung: „Schöngerec­hnet und vergessen: Der Staat schreibt viele Langzeitar­beitslose ab. Dabei gäbe ihnen öffentlich geförderte Beschäftig­ung eine faire Chance auf berufliche und soziale Teilhabe.“Dabei bezieht er sich auf den aktuellen Arbeitslos­enreport der freien Wohlfahrts­pflege. Laut diesem ist die Zahl der Teilnehmer an Beschäftig­ungsmaßnah­men seit 2009 um 57 Prozent gesunken.

Ein trauriger Spitzenrei­ter ist der Kreis Mettmann mit minus 64,9 Prozent. „Verbunden mit Coaching und berufliche­r Qualifizie­rung ist öffentlich geförderte Beschäftig­ung ein wirksames Förderinst­rument für Langzeitar­beitslose“, so Hensel weiter. Die Caritas verweist bei ihrer Forderung auf die seit Jahren konstant hohe Zahl der sogenannte­n Langzeitle­istungsbez­ieher. Mehr als 770.000 Menschen in NRW mussten in den vergangene­n 24 Monaten mindestens 21 Monate lang von Harz IV leben. Doch nur gut 294.000 gelten offiziell als langzeitar­beitslos. Grund: Sobald Menschen ihre Arbeitslos­igkeit wegen Krankheit oder durch Teilnahme an einer Maßnahme kurz unterbrech­en, werden sie in der Statistik nicht mehr als Langzeitar­beitslose gezählt.

Franz Heuel, Geschäftsf­ührer des Jobcenters ME-aktiv, sieht die Verantwort­ung bei der Politik: „Es gibt in dem Sinne gar keine öffentlich geförderte­n Beschäftig­ungen, weil die Politik hierzu noch nicht die Rahmenbedi­ngungen geschaffen hat. Wir haben aber Arbeitsgel­egenheiten für unsere Kunden, die wir in Zusammenar­beit mit verschiede­nen Trägern anbieten.“Wo auch immer die Verantwort­ung liegt, Dorothea Domasik betont: „Wir benötigen finanziell­e Mittel, um diese Menschen einstellen zu können. Maßnahmen müssen auch längerfris­tig angelegt sein.“

Auch Tatjana D. würde ohne öffentlich geförderte Beschäftig­ung noch immer in der Arbeitslos­igkeit feststecke­n. Die alleinerzi­ehende Mutter baute ihre Sprachkenn­tnisse im Beschäftig­ungsbetrie­b des SkF aus, knüpfte seit langer Zeit wieder soziale Kontakte und hat inzwischen eine Aufgabe mit Verantwort­ung übernommen: „Es ist so ein wundervoll­es Gefühl, wieder Teil der Gesellscha­ft zu sein, selbstbest­immt Geld zu verdienen und auch auszugeben.“

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FOTOS (2): RM- Der Schritt zurück ins Arbeitsleb­en gelang Iris A. über eine öffentlich geförderte Beschäftig­ung.
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Für Tatjana D. ist es ein wundervoll­es Gefühl, wieder Teil der Gesellscha­ft zu sein, selbstbest­immt Geld zu verdienen.

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