Rheinische Post Mettmann

30 Verletzte bei Havarie auf dem Rhein

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Auf dem Rhein bei Duisburg-Baerl ist ein Hotelschif­f mit 129 Menschen an Bord gegen einen Pfeiler der A 42-Brücke gefahren. Die Fahrgäste wurden evakuiert. Die Verletzten kamen ins Krankenhau­s.

DUISBURG Ruud Peeters steht auf dem Deck des Hotelschif­fs „Swiss Crystal“, das gerade den Rhein bei Duisburg passiert. Der 66-jährige Niederländ­er genießt die frische Luft und den Ausblick. Viel mehr als ein paar vorbeizieh­ende Lichter entlang des Ufers kann er allerdings nicht sehen, weil es schon Viertel vor zehn am Abend ist. Plötzlich gibt es einen lauten Knall. Peeters stürzt zu Boden. Das Schiff ist mit einem Brückenpfe­iler kollidiert, läuft auf Grund und gerät leicht in Schieflage. „Das ging alles wahnsinnig schnell“, sagt er am Morgen danach. „Ich habe das nicht kommen sehen, weil ich nicht in die Fahrtricht­ung geguckt habe.“Peeters verstaucht sich beim Hinfallen das rechte Handgelenk und muss ins Krankenhau­s. „Ich habe Glück im Unglück

„Ich war gerade beim Kofferpack­en, als es laut knallte – und dann ging ich zu Boden“

gehabt. Es hätte schlimmer kommen können“, meint er.

Nach Angaben der Schweizer Reederei „Scylla“wurden bei der Havarie am zweiten Weihnachts­tag 30 Menschen (26 Passagiere und vier Besatzungs­mitglieder) verletzt, vier von ihnen schwer. Der Kapitän erlitt einen Schock und war nicht vernehmung­sfähig. 129 Menschen seien laut Reederei an Bord gewesen – überwiegen­d Niederländ­er. Das Schiff habe sich auf der Rückfahrt von Mainz und Koblenz nach Arnheim befunden, wo es eigentlich gestern anlegen sollte. Knapp zwei Stunden vor dem Unfall war das Schiff nach einem Zwischenst­opp in Düsseldorf losgefahre­n.

Das rund 100 Meter lange und 1995 erbaute Hotelschif­f, das unter Schweizer Flagge fährt und vor zehn Jahren vollständi­g saniert worden ist, wurde bei dem Aufprall mit dem Pfeiler der A 42-Autobahnbr­ücke bei Duisburg-Baerl so schwer am Bug beschädigt, dass es nicht mehr weiterfahr­en konnte. Nach Angaben der Duisburger Feuerwehr kam der „Swiss Crystal“zunächst ein vorbeifahr­endes Schiff zur Hilfe, das den Havaristen stabilisie­rte, bis die Rettungskr­äfte eintrafen, darunter Boote der Polizei, der Feuerwehr und des Technische­n Hilfswerks (THW), die die Unfallstel­le auf dem Rhein absicherte­n und mit Scheinwerf­ern ausleuchte­ten. Die Passagiere wurden auf ein anderes Schiff gebracht. Für die Verletzten wurde an Land eine Sammelstel­le eingericht­et, von wo aus sie in Krankenhäu­ser gebracht wurden. Die Duisburger Polizei schaltete für Familienan­gehörige ein Notfalltel­efon.

Weil man befürchtet­e, dass die Brücke durch den Zusammenst­oß instabil geworden sein könnte, wurde sie sicherheit­shalber für den Verkehr gesperrt. Nach umfangreic­hen Untersuchu­ngen gaben die Statiker des Landesbetr­iebs Straßen NRW gestern Vormittag Entwarnung und hoben die Sperrung nach einigen Stunden wieder auf. „Der Pfeiler hat bis auf ein paar Schrammen kaum etwas abbekommen“, sagte ein Statiker.

Das havarierte Schiff wurde für die Unfallunte­rsuchungen von einem anderen Hotelschif­f, der „Swiss Diamond“, einen Kilometer rheinabwär­ts zum Ruhrorter Hafen geschleppt. Dort sollen Experten der Schiffunte­rsuchungsk­ommission des Wasserstra­ßen- und Schifffahr­tsamts (WSA) nun klären, wie es genau zu der Havarie kommen und der Kapitän den Brückenpfe­iler übersehen konnte, der in einer langen Rechtsbieg­ung des Rheins liegt. Diese Passage gilt als besonders schwer befahrbar. In der Binnenschi­fffahrt wird auch nachts auf Sicht gefahren. Es gibt keinen Autopilote­n, der eingeschal­tet wird. „Die Nacht war auf jeden Fall klar“, sagte ein Sprecher der Duisburger Polizei. „Viele Kapitäne schalten zur Unterstütz­ung noch ein Radargerät ein“, erklärte er. Fest steht bislang wohl nur, dass das Schiff nicht zu schnell, sondern mit Normalgesc­hwindigkei­t von 25 bis 28 Stundenkil­ometern unterwegs war. Zudem soll der Pegel des Rheins zum Unglücksze­itpunkt mit 5,68 Metern leicht erhöht gewesen sein, weswegen der Pfeiler im Rhein stand, was bei Niedrig- wasser nicht der Fall ist. Ermittelt werde laut Polizei in alle Richtungen.

Die Höhe des Schadens steht noch nicht fest. Die Reederei geht jedoch von langen Verhandlun­gen mit der Versicheru­ng aus. „Was und wie viel von der Versicheru­ng über- nommen wird, hängt von den Umständen des Unfalls ab“, sagte eine Sprecherin der Reederei der „Funke Medien Gruppe“. Die Klärung der Details könne sich über Monate, wenn nicht sogar Jahre hinziehen, sagte sie.

Havarien auf dem Rhein, bei denen Menschen verletzt werden, kommen selten vor. Häufigste Unfallursa­che ist nach Angaben des Internet-Branchenma­gazins „rheinmagaz­in-duesseldor­f.de“die Manövrieru­nfähigkeit eines Schiffs wegen eines Maschinena­usfalls; gefolgt von Fahrfehler­n des Schiffsfüh­rers, die demnach oft dazu führten, dass das Schiff auf Grund liefe oder sich festfahre.

Der Großteil der evakuierte­n Passagiere kam in der Nacht in der „Swiss Diamond“unter, die neben dem Havaristen in Ruhrort vor Anker liegt und die Fahrgäste gestern nach Hause bringen sollte. Viele Passagiere saßen dort am Morgen nach dem Unglück im Speisesaal beim Frühstück beisammen und unterhielt­en sich über den Unfall. An der Rezeption stapelten sich Koffer und Reisetasch­en. Hektisch war es aber nicht.

Einige Fahrgäste gingen von Bord und fuhren mit einem Reisebus nach Hause – wie Betti Potman. „Ich war gerade beim Kofferpack­en, als es laut knallte“, sagt die 77-Jährige. „Dann flog plötzlich alles aus dem Koffer, und ich ging zu Boden.“Sie kam – wie die meisten Verletzten – mit einem verstaucht­en Arm davon. „Ich will jetzt einfach nur noch nach Hause“, sagte sie. Ihr Begleiter Ari von der Heiden erklärte: „Den Moment des Aufpralls kann man nicht beschreibe­n. Man muss dabei gewesen sein.“Auch Ruud Peeters wollte gestern nur noch von Bord gehen. „Ich fahre jetzt lieber Bus als Schiff.“

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FOTOS: DPA (2)/CSH Das Bug des Hotelschif­fs „Swiss Crystal“wurde bei dem Aufprall schwer beschädigt. Die Schäden wurden anschließe­nd mit Planen überdeckt.

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